München: Tamara und der Anti-Gentrification-Wecker

München: Tamara und der Anti-Gentrification-WeckerJa, die Gentrification ist als Schlagwort der aktuellen Veränderungsprozesse in den Städten in aller Munde. Von der kleine Stadtteilzeitung „Unser Viertel“ im Münchener Stadtteil Giesing gibt es gerade die fünfte Ausgabe (pdf) mit Berichten zu Hotelneubauten und steigenden Mieten.

Doch die Kritik an den sozialen Kosten der Aufwertung findet mittlerweile auch  prominente Unterstützung und damit hoffentlich auch noch mal neuen Schwung.

Konstantin Wecker – bekannt für sein politisches Engagement – wurde für die Stadtteilzeitung interviewt und durfte davon erzählen wie die Boheme der 1970er Jaher in das proletarische Giesing gezogen ist ohne sich von den dortigen Bewohner/innen abzukapseln.

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt eine Künstlerkneipe aufzumachen und da kam ich auf Giesing. Das Viertel schien mir ideal um den Menschen näher zu sein, was mich auch sehr inspiriert hat. Das Kaffee  Giesing war dann ein großer Glücksgriff.  Anfangs haben wir überlegt ob die Einwohner, vor allem die 60’ger Fans uns im Viertel akzeptieren, später hatten wir aber ein freundschaftliches Verhältnis mit ihnen. Meist kamen sie nach den Spielen zu uns und haben den Tag dort ausklingen lassen.

Die Vorstellung einer Gentrification findet Konstantin Wecker eher unattraktiv, weil er die Folgen der Auswertung bereits anderenorts erfahren musste:

Wenn ich heute durch Lehel spaziere dann gleicht das Viertel in keiner Weise dem wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Es wäre schrecklich wenn dasselbe mit Giesing passiert!

Ich wurde für die aktuelle Ausgabe für einen Grundsatztext zur Ermutigung in Sachen Anti-Gentrification angefragt und habe wunschgemäß geschrieben, dass es immer auch Alternativen zu Aufwertung und Verdrängung gibt. TAMARA (There Are Many And Realistic Alternatives) statt TINA (There Is No Alternative) also: sie müssen nur noch durchgesetzt werden.

TAMARA gegen die Gentrification

von Andrej Holm

Die Gentrification-Debatte leidet unter dem TINA-Syndrom. TINA (There Is No Alternative) hören wir von allen Seiten: Die Aufwertung von Stadtvierteln und die Verdrängung der ärmeren Bewohner/innen sei ein ‚ganz normaler Wandel’. Es habe keine Alternativen zur Aufwertung gegeben und so wie es war, konnte es doch nicht bleiben. Natürlich steigen die Mieten, wenn die Bausubstanz verbessert wird – irgendwer muss es ja schließlich bezahlen…

Stadtteilgruppen und Mieterorganisationen kennen die Polyphonie der Notlagen- und Normalzustandserklärungen. Doch städtische Entwicklungen folgen weder unumstößlichen Naturgesetzen noch sind sie alternativlos. Die meisten Aufwertungsmaßnahmen in den Städten können als wohnungswirtschaftliche Inwertsetzungsstrategien oder politisch initiierte Aufwertungsprogramme beschrieben werden, in denen sich die Interessen von Hauseigentümer/innen und Investor/innen, von der Bauwirtschaft, den Banken und Stadtregierungen zu einer Immobilien-Verwertungs-Koalition zur Steigerung der Tauschwerte verdichten. Dem gegenüber stehen regelmäßig die Interessen derer, die im Gebiet wohnen und arbeiten und vor allem an den Gebrauchswertqualitäten des Viertels interessiert sind.

Schon in den 1980er Jahren wurde daher von Aktivist/innen und kritischen Forscher/innen richtigerweise festgestellt:

Langfristig gibt es nur eine Verteidigung gegen Gentrification: die ‘Dekommodifizierung’ von Wohnraum. Anständiger Wohnraum und anständige Nachbarschaften sollten ein Recht sein, kein Privileg.“

Das Zauberwort der Dekommodifizierung beschreibt dabei das Herauslösen der Wohnungsversorgung aus dem Warencharakter. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und sollte keine Ware sein! Die Abschaffung des Kapitalismus wäre die wohl grundlegendste Wohnungsreform – doch wollen und können Mieter/innen in Aufwertungsvierteln, von Verdrängung bedrohte Gewerbetreibende oder Obdachlose nicht so lange warten. Deshalb erscheint es sinnvoll, auch im Hier und Heute nach Alternativen zu suchen.

Den Dekommodifizierungs-Gedanken aufgreifend, erscheinen alle wohnungspolitischen Instrumente sinnvoll, die bei der Produktion, Verteilung und Bewirtschaftung von Wohnungen andere Prinzipien als die Marktlogik durchsetzen. Von bau-, miet- und sanierungsrechtlichen Auflagen über gezielte Förderprogramme bis zur Unterstützung nichtgewinnorientierter Eigentumsformen und selbstorganisierte Aneignungen ist eine Vielzahl von Alternativen denkbar. TAMARA (There Are Many And Realistic Alternatives): Letztendlich geht es ‚nur’ noch darum, diese auch durchzusetzen.

(aus: „Unser Viertel„, #5, 1-2)



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