„Stell dir vor, du wärst eine Spaghetti in kochendem Wasser.“ Das ist doch gaga? Richtig! Gaga, das ist ein Tanz, oder vielmehr eine „Bewegungssprache“, die vor etwa zehn Jahren von dem israelischen Choreographen und Tänzer Ohad Naharin entwickelt wurde und seither nicht nur von ihm an der Batsheva Dance Company in Tel Aviv unterrichtet wird.
Denn inzwischen hat Gaga die gesamte Tanzwelt erobert und ist auch in Münchener Tanzstudios angekommen. Wen die Imitation der im blubbernden Salzwasser sich windenden Nudel zunächst an den Tanz des eigenen Namens erinnert, der wird sich wundern. Denn im Gegensatz zur Eurythmie, die mit „schöner Bewegung“ übersetzt werden kann, lehnt sich der Name „Gaga“ vielmehr an „Babysprache“ an. Ziel ist es, bekannte Bewegungsmuster zu durchbrechen und dabei geht es in erster Linie nicht um Eleganz und Anmut, die in der Praxis der Eurythmie grundsätzlich zum Ausdruck kommen. „Das Ziel der Bewegung ist nicht die Form, sondern der Ausdruck eines Gefühls, einer Emfpindung.“, sagt die Münchener Tänzerin Claudia Parra Weitzman. Bilder, mit denen gearbeitet wird, können dabei von außen angeboten oder auch im eigenen Inneren aufgespürt werden. Ähnlich wie das von Imrich Lichtenfeld entwickelte Selbstverteidigungssytem „Krav Maga“ („Kontaktkampf“) und die nach ihrem Erfinder Moshé Feldenkrais benannte Feldenkrais-Methode beruht auch Gaga vorrangig auf dem menschlichen Instinkt, geht von dem aus, was schon da ist. In Ergänzung zu unserer derzeit gezeigten Wechselausstellung „NEVER WALK ALONE. Jüdische Identitäten im Sport“ möchten wir in den kommenden Wochen hier diese drei in Israel entwickelten oder weiterentwickelten Bewegungstechniken in ihrem Münchener Kontext nacheinander vorstellen.
Die Tänzerin Anna Becher kam bereits in Berlin, der Stadt, die deutschlandweit wohl im regsten Austausch mit Tel Aviv steht, mit Gaga in Berührung und begann die Kurse nach ihrem Umzug nach München schnell zu vermissen. Seit etwa zwei Jahren bieten sie und Claudia Parra Weitzman nun regelmäßig Workshops an verschiedenen Orten in München an, die auf ein überraschend starkes und stetig wachsendes Interesse stoßen. „Zuerst haben wir uns Sorgen gemacht, ob der erste Kurs überhaupt zustande kommen wird.“, erzählt Anna: „Aber inzwischen gibt es zu jedem Workshop eine Warteliste.“
Was ist das Geheimnis, das Gaga so beliebt macht? Iris (54) und Hannah (26) sind extra aus Erlangen angereist, um an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gemeinsam mit der Kölner Gaga-Lehrerin Alejandra Jara am eigenen Körper zu erleben, was Gaga bewirken kann. Am Ende des ersten Tages macht sich eine wohlige Erschöpfung breit. „Mich hat an Gaga besonders fasziniert, dass es einfach bescheuert aussieht.“, sagt Hannah und bringt damit eines der Grundprinzipien der Methode auf den Punkt. Blickt man sich in dem Tanzstudio „Tanztendenz“ in der Lindwurmstraße um, in dem an diesem Wochenende der Workshop stattfindet, fällt gleich auf, dass die Spiegel verhangen sind. Entsprechend ist es auch nicht erlaubt, bei einem der Kurse zuzuschauen, um den Teilnehmenden ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit zu geben. Während eines an die offiziellen Gaga-Stunden sich anschließenden Improvisationsteils, in dem das zuvor Gelernte nun frei angewendet werden konnte, war es jedoch ausnahmsweise möglich, einen Eindruck zu gewinnen.
Die Faszination für „Gaga“ ist zugleich auf den international erfolgreich gezeigten Film „Mr. Gaga“ zurückzuführen, den die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops gesehen hat: Im Zentrum steht die beeindruckende Geschichte des im israelischen Kibbuz Misra aufgewachsenen Naharin, der selbst erst im Alter von 22 Jahren eine Tanzausbildung begann. Nach einer schweren Rückenverletzung erarbeitete Naharin eine Bewegungsmethode, die ihm letztlich Heilung brachte: Gaga war geboren. Und wem jetzt noch immer gänzlich unklar ist, was das eigentlich bedeutet, möge sich Naharins eigene Definition zu Gemüte führen: „Wir lernen über uns selbst zu lachen. Wir lernen, unsere Leidenschaft mit der Kraft der Phantasie zu verbinden, während wir unsere körperlichen Fähigkeiten entwickeln.“ – oder es selbst einfach einmal ausprobieren!
Wie bereits im letzten Jahr wird der Film „Mr. Gaga“ auch im Rahmen des diesjährigen DOK.fests München vom 3. bis 14. Mai 2017 wieder gezeigt werden: Am Freitag, 6.5.2016, um 19.30 Uhr im ARRI Kino.