Morgen war Gestern

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich schnell und leichten Herzens polarisierend denkt und handelt. War noch vor kurzer Zeit das Digitale in der Fotografie das Gesprächsthema Nummer 1, wird zurzeit allerorten über Polaroid, Sofortbild und Retro gesprochen. Nun gut, wer sich dem Reiz dessen hingibt, wird in den Geruch kommen, dass er auf einer Welle reitet. So wurde mir nun schon häufiger unterstellt, dass ich auf der Pola-Welle reite. Ich sehe das nicht so, weil es nur ein Ausschnitt der Themen darstellt, die mich reizen. Seit ich vor ein paar Jahren, nach einem kurzen Ausflug in die Digitalfotografie, immer häufiger zur Analogfotografie zurückgekehrt bin, könnte man mir nochmals das Reiten auf der Retrowelle unterstellen. Aber im Grunde habe ich nur das beibehalten, was ich schon lange mache. Wie mir geht es auch einer Menge anderer Fotografen. Daraus die Positionen „Retro“ und „Moderne“ zu kreieren ist extrem kurz gedacht. Es kommt auf den Bildinhalt und die Gestaltung an. Letztendlich fügt sich das in einen Bildstil ein, dem wir uns … auch wenn es uns nicht passt … einzuordnen haben. Die Einteilung in Kategorien sind nicht immer angenehm, helfen aber in der eigenen Orientierung.

Über den Surrealismus in der Fotografie habe ich schon lange und häufig nachgedacht. Gerade hier auf meinem Blog sind im Laufe der letzten Jahre ab und an solche Blog-Artikel aufgetaucht, in denen ich mich mit dem maximal erreichbaren Surrealismus auseinander gesetzt habe. Gleichzeitig habe ich meine Entfaltungsräume im Piktoralismus gesucht. In wie weit diese beiden Stilarten in der Kunsthistorie gegeneinander stranden, ist mir vollkommen egal. Das war Früher, das war in einer längst vergangenen Zeit. Heute ist heute und jeder Fotograf muss sich zu Lebzeiten seinen Platz in der Bilderwelt suchen. Was heute an fast jeder Ecke in Bildern zu betrachten ist, erinnert an eine Neudefinition der „Neuen Sachlichkeit“, in überschärfter und künstlich plastizierten Ausprägung. Vielleicht wird in Zukunft ein Name für diese fotografische Ausdrucksform gefunden werden. Mein Weg ist es auf jeden Fall nicht.

Was ich sehe und fühle, will ich in meinen Bildern zeigen. Da mir seit geraumer Zeit die Kunst näher als der Mainstream steht, versuche ich meinen eigenen Weg zu gehen und übe mich im  Spagat zwischen zwei traditionellen Stilrichtungen in einer von mir gewählten Neufassung. Es reizt die Modernisierung des Surrealismus und Piktoralismus zu finden. Zwar hat es nun eine Kunstgalerie für Wert erachtet, mit mir über den Verkauf meines Zyklus „Innenweltverschmutzung“ zu verhandeln, aber das ist nur ein Teil dessen, was die Zukunft bringen soll. Ich bin überzeugt davon, das gerade Aufkäufer von Kunst nur einen Teilausschnitt einer Entwicklung sehen und beachten können, der Künstler aber in größeren Strecken denken und handeln muss. Die Definition eines Ziels besteht in der Regel aus der Definition von mehreren Etappenzielen. Es entsteht die Frage, ob ein Künstler die Kunst treibt oder vom (Kunst-)Markt getrieben wird. Vielleicht macht dies in der rückschauenden Betrachtung auch den Wert eines Künstlers aus. Die Kunstanerkennung eines Zwischenschrittes ist nur eine Beurteilung einer Etappe. Somit kann es im Kunstschaffen der Treibenden keine Welle, keinen Trend, geben. Diese Erkenntnis befreit ungemein. So lässt sich locker in die Zukunft arbeiten.

Der Bildstil des Piktoralismus ist nicht auszurotten, obwohl er vielleicht eine der ältesten Gestaltungsrichtungen darstellt. Wer sich mit dieser Stilrichtung und seiner Historie befasst, wird schnell die Grenzen erkennen und das Ausbrechen der Fotografen in ihren Bildern erleben können. Eine strikte Abkehr stellt die Neue Sachlichkeit dar, die eine exakte Abbildung des Realen in größtmöglicher Detaillierung zum Ziel hat. Eine stilunabhängige Gestaltungsmethode könnte man im Surrealismus finden, wobei sich jedoch das Piktoralistische eher als Ausgangsbasis eignet. Genau das ist interessant, dass ich einem Abbildungsstil nicht den Rücken zukehren muss, um zu einer anderen Bildgestaltung zu kommen. Zugegeben, keine leichte Kost, mit der ich mich da beschäftige. Und Kunst ist das alles noch lange nicht, es sei denn, die entstehenden Werke werden mit dem Willen zum Kunstschaffen angefertigt, das Gegebene in kreativer Form umgesetzt und (vielleicht der wichtigste Punkt) als Kunstwerk anerkannt.

All zu viele Künstler … und hierbei beziehe ich mich nicht alleine auf die Bildende Kunst … sind zu sehr einem Stil verhaftet. Manche folgen sklavisch einer Stilrichtung und gestalten sich dabei fast zu Tode. Ich finde es wesentlich interessanter, wenn ein Thema in verschiedenen Stilrichtungen aufgegriffen und vertieft wird. In der Bildenden Kunst kommen wir nun an die Stelle, dass unterschiedliche Stilrichtungen und sogar unterschiedliche Abbildungsmedien zu unterschiedlichen Ausdrucksweisen führen. Die Aussage als solche wird nicht verändert, aber die Intensität des Ausdrucks verändert sich. Meine Gedanken kreisen nun darum, das Ganze in einer Gesamtschau zu vereinen. Aus dieser Warte betrachtet empfinde ich es als Angriff, wenn von einem „Reiten auf einer Welle“ gesprochen wird. Dies impliziert, dass es nur eine aktuelle Meinung, eine zeitpassende Stilrichtung geben darf, die von einer Meinungsbildungsfraktion vorgegeben wird, damit der Rest dem folgen soll. Ich wähle eine Stilrichtung, eine Abbildungsmethode, danach aus, wie stark sie mich in der Umsetzung meiner Ziele unterstützen kann. Auch das Wort „Retro“ empfinde ich mittlerweile als despektierlich, weil es den Betreibenden unterstellt, dass sie zu den ewig Gestrigen gehören. Wer mit „Retrowelle“ argumentiert, untergräbt die gestalterische Freiheit der Anderen und zeigt gleichzeitig sein eigenes Unwissen bezüglich der Linien und Zweige der Fotografie, um nun einmal das Wort „Kunst“ auszulassen. An dieser Stelle bin ich streitsüchtig, das gebe ich zu. Aber auch das gehört zur Kunst.


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