Die Menschheit könnte glücklicher und friedlicher leben, wenn es nicht auch Habgier, Neid und Mißgunst gäbe. Und wenn sich diese negativen Charaktereigenschaften dann noch mit Unwissenheit und Aberglauben paaren, dann ist Unheil angesagt, dann müssen unschuldige Menschen unendliches Leid ertragen. Um dieses Geflecht menschlicher Leidenschaften geht es zuallererst in Silvia Stolzenburgs neuestem historischen Roman „Der Teufelsfürst“.
Dieser führt zurück in die Jahre 1447 und 1448; die spätmittelalterliche Welt des christlichen Europa befindet sich im Umbruch: Das Rittertum verfällt – der Begriff Raubritter bezeichnet die damaligen Zustände bestens, während die Patrizier der Städte immer reicher und einflußreicher werden. Und im Südosten Europas setzt das islamische Reich der Osmanen-Sultane seinen Aufstieg fort.
Titelgebender Held dieses Romans ist Vlad III. Draculea (etwa 1431 – 1477). Zu Beginn der Handlung befindet er sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder Radu als Geisel am Hofe des Sultans in Edirne. Solche Geiselnahmen von Fürstensöhnen waren seinerzeit üblich, um sich der Vasallentreue unterworfener Fürsten und Stammesführer zu sichern, hier des Woiwoden der Walachei. Allerdings genossen solche Geiseln eine hervorragende Ausbildung und konnten bei Eignung und Loyalität in höchste Würden des Osmanen-Reiches aufsteigen.
Allerdings hat sich der zügellose Thron-Erbe des Sultans den jungen Radu zum Objekt seiner homophilen Leidenschaften erkoren. Als sich Vlad dagegen auflehnt, wird er fürchterlich gedemütigt und gefoltert. In ihm entbrennt unendlicher Haß, er sinnt auf Rache. Aber um seinen Rachedurst befriedigen zu können, muß er sich verstellen, muß er sich mit Bestleistungen anpassen und Karriere machen. Dies gelingt ihm auch, er bewährt sich auf dem grausamen Feldzug gegen die aufständischen Albaner unter Gjergj Kastrioti (im Roman eingedeutscht Georg Kastriota genannt), dem bis heute berühmten Skanderbeg. In diesem Feldzug lernt Vlad auch die Folter- und Hinrichtungsmethode des Pfählens kennen. Pfähler – das wurde später sein Beiname als Woiwode. Als der Ungarnkönig gegen die Osmanen zu Felde zieht, dabei auch die Walachei besetzt, werden Vlads Vater und sein älterer Bruder vom alten Bojaren-Adel ermordet. Das läßt Vlads Rachehunger ins Unermeßliche wachsen. Mit Hilfe der Osmanen kann er seine Heimat (für kurze Zeit) befreien und für einige Monate zum ersten Mal den dortigen Thron besteigen.
Soweit der weitgehend historisch verbürgte Teil dieses Handlungsstranges im Romans. Da Vlad einem damals einflußreichen christlichen Ritterorden, dem Drachenorden, angehörte, führte er den offiziellen Beinamen Draculea. Im Rumänischen gibt es eine nahe Verwandtschaft der Worte für Drachen und Teufel. Vielleicht erklärt das die unterschiedliche Rezeption Vlads in der europäischen Geschichtsschreibung: für die katholischen Christen ist er – wohl wegen seines Widerstandes gegen die Ungarn – ein bestialischer Teufel und hemmungsloser Massenmörder; für die orthodoxen Christen Ost- und Südosteuropas ist er primär ein gerechter, aber gestrenger Herrscher, der die Bojaren in ihre Schranken gewiesen hat.
Eine Anmerkung: Aus dramaturgischen Gründen hat Silvia Stolzenburg die Albanien-Passagen ihres Buches frei erfunden. Aber so konnte sie u.a. zeigen, daß und wie unterschiedlich sich Geiseln am Sultanshofe entwickeln konnten: Gjergj Kastrioti als Führer eines nationalen Unabhängigkeitskampfes. Wer hierüber mehr erfahren möchte, dem sei – falls man es antiquarisch erwerben kann – ein historischer Roman von 1976 aus Albanien selbst empfohlen (Sabri Godo: Skanderbeg. Historischer Roman. 726 S. Hardcover. Deutsche Ausgabe im Verlag 8 Nëntori. Tirana 1983).
Nun aber zum zweiten, dem rein fiktiven, zweiten Handlungsstrang dieses Romans. Dieser beginnt in Ulm und der aufmerksame Leser begegnet hier den Nachkommen der Helden des letzten Teils („Die Heilerin des Sultans”) der Stolzenburg’schen Trilogie rund um den Bau des Ulmer Münsters. Es ist deren Enkel-Generation der beiden Zweige des Geschlechts derer von Katzenstein, die allerdings (mit einer Ausnahme) voneinander keine Ahnung haben.
An einem kalten Februartag verstirbt in seinem Ulmer Stadthaus Karl von Katzenstein, ein erfolgreicher Handelsherr und Pferdezüchter. Nur wenig später wird seine Tochter Zehra, die Enkelin der Heilerin des Sultans, der Hexerei und des Mordes an ihrem Vater bezichtigt. Da sie von etwas dunklerer Hautfarbe als ihre Mitmenschen ist, schlug ihr in der Stadt von Kindheit an Mißtrauen entgegen. Es kommt zu einem Prozeß mit falschen Zeugen. Das Urteil steht sofort fest: Schuldig, und es ist sofort zu vollstrecken. Sie erlebt schlimmste Demütigungen und Mißhandlung durch den vom Hexenwahn aufgeputschten Mob, doch der Scheiterhaufen bleibt ihr erspart. Sie wird „nur” auf alle Ewigkeit aus Ulm verbannt. Auf ihrer Flucht stürzt sie jedoch in die eisig kalte Donau. Ihr Bruder Utz hatte, sich gerichtlichen Drohungen widersetzend, für Zehra außerhalb der Stadt ein Versteck vorbereitet. Doch Zehra bleibt unauffindbar, so sehr ihr Bruder auch nach ihr suchen läßt.
Es dauert nicht lange, da trifft das Unheil auch Utz. Sein gesamter Besitz wird eingefroren, er muß im eigenen Haus nun niederste Tätigkeiten verrichten. Aber es wächst in ihm die Erkenntnis, daß hinter allem schlimmen Geschehen eine böse Intrige steckt, daß die Zeugen für den Hexenprozeß gekauft waren. Nur von wem das alles ausgeht, das verschließt sich ihm selbst bis fast zuletzt.
Urheberin aller Ränke ist die zielstrebige Helwig von Katzenstein aus dem ritterschaftlichen Zweig des Geschlechts. Getrieben von Habgier, Neid und Mißgunst hat sie den Ulmer Patrizier vergiften lassen. Mit Zehras Denunzierung als mörderische Hexe bereitete sie den Boden, um sich schließlich mit einer gefälschten Urkunde das gesamte Hab und Gut der Ulmer Katzensteins aneignen zu können. Trotz aller negativen Züge ist Helwig eine starke – und nicht plakativ gezeichnete – Persönlichkeit, was man von ihrem Sohn, dem Ritter, nicht sagen kann.
Ob und wie Helwigs Pläne aufgehen, auch das bleibt bis zuletzt offen. Sie läßt sich jedenfalls immer wieder neue Winkelzüge einfallen, während ihr eigener Sohn teilnahmslos bleibt und sich lediglich für Ritterturniere und edle Pferde, die er sich nicht leisten kann, interessiert. Es ist Helwigs Enkelin Sophia, die Fragen zu stellen beginnt und langsam dem mörderischen Geheimnis ihrer Großmutter auf die Spur kommt.
Zehra indes erlebt nach ihrer Rettung vor dem Ertrinken durch Zigeuner (hier auch hin und wieder schon als Sinti bezeichnet) aufregende Abenteuer. Sie ist zwar Eigentum des Zigeuner-Herzogs Michel (eine historisch verbürgte Figur) geworden, nimmt aber in dessen fahrendem Zug aufgrund ihrer Sprach- und Schreibkenntnisse eine herausragende Rolle ein, als dessen persönliche Schreiberin. Das nutzt Zehra aus, um mit Boten Briefe an ihren Bruder zu senden. Auch dieser hat trotz aller Befürchtungen die Hoffnung nicht aufgegeben und setzt ungeachtet aller Einschränkungen durch die de-facto-Enteignung alle Mittel ein, um Zehra zu suchen.
Silvia Stolzenburg geht mit ihren Kapiteln über den Zug von Michels Clan von Ulm über Augsburg und Nürnberg hin nach Ungarn auf das Aufkommen des fahrenden Volkes im christlichen Mitteleuropa ein, beleuchtet eingehend, welche Rolle deren Anführer gespielt haben können: so als Nachrichtenhändler für reiche Kaufleute und Adelsherren, gar für die Herrscher selbst.
Die Sinti unter Michels Führung haben ein festes und weit entferntes Ziel, die Walachei…Und dort angekommen kreuzen sich die Wege von Vlad und Zehra… Es bleibt spannend bis zur letzten Seite…
Auch wenn dieser Handlungsstrang nur Fiktion ist, so ist er von der Autorin gleichfalls sorgfältig recherchiert worden: Wie seinerzeit ein Kriminalprozess geführt wurde, wie man mit Hexen umging, wie tatsächlich gerichtliche Enteignungen durchgeführt wurden, das hat Silvia Stolzenburg anhand von Archivmaterialien dargestellt. Das gilt nicht minder für die ritterschaftlichen Fehden und Turniere, auf die vom Rezensenten hier nicht eingegangen worden ist.
Was man Silvia Stolzenburg erwarten konnte, das hat sie mit diesem Roman aufs Neue bestätigt: Eine faszinierende Geschichte mit lebensnahen Charakteren, voller glaubhafter Abenteuer, spannend und lebendig erzählt, emotional anregend. Fiktion und realer historischer Hintergrund werden auf gekonnte Weise verbunden und zeichnen ein authentisches Bild der spätmittelalterlichen Welt. Lesenswert, empfehlenswert. Und so fällt das Warten auf die für das Frühjahr 2014 angekündigte Fortsetzung wirklich schwer.
Siegfried R. Krebs
Silvia Stolzenburg: Der Teufelsfürst. Historischer Roman. 410 S. Hardcover m. Schutzumschl. Edition Aglaia im Bookspot-Verlag. München 2013. 17,95 Euro. ISBN 978-3-937357-75-1