von Hatice Dessi
Ehren-Mord
Die eiskalte.. warnende..für alle die sichtbare Spitze, eines Eisberges…
Eine Spitze, dessen purer Anblick uns nicht kalt lässt.
Nicht kalt lassen kann.
Nein, MORDE, lassen uns nicht kalt.
Schon gar nicht solche die im “Namen der Ehre”
bzw. um die “Wiederherstellung der verlorenen Ehre” begangen werden.
Was uns aber – mehr oder minder- kalt lässt ist, was unter dem Eisberg vor sich geht.
Was alles passieren muss, damit es überhaupt zu solch einem Tat kommt.
WAS muss eine Frau..ein Mädchen, für ein Verbrechen begehen, damit sie -von den Menschen,
von denen sie eigentlich gegen alle Übel der Welt geschützt werden müsste- zur Tode verurteilt wird?
Diese Frage ist schnell beantwortet:
Es reicht, dass sie ihr eigenes Kopf benutzen kann,
sich selbst verwirklichen, ein Eigenständiges, und Selbstbestimmtes Leben führen will.
Gut, zugegeben, Eisberge sowie EhrenMorde, begegnen uns nicht Alltäglich.
Und dennoch leben viele Frauen und Mädchen Tagtäglich mit der Angst, dass es auch sie “treffen” könnte,
wenn sie sich NICHT an die -wenn auch nicht auf dem Papier, so doch im Hirn ihrer “Urteiler”-
ungeschriebenen Gesetze der “Ehre” halten.
Denn EhrenMordEisberge warnen NICHT NUR die “unbeteilligten”, sondern VORALLEM DIE,
die es tatsächlich “treffen” könnte…es ist KEINE seltenheit, dass EhrenMorde
als schreckendes Beispiel genommen werden, um Frauen und Mädchen damit Angst einzujagen,
zB, was passieren kann, wenn …
Auch wenn diesen “Warnungen” selten “Taten” folgen, so sind sie doch in den Mädchen und Frauen, die damit bedroht wurden, immer präsent, immer wirksam.
Eine Warnung ist eben nachhaltig…und tötet “nur” den freien Willen.
Ganz ohne Blutvergießen.. zumindest kein sichtbares.
Und so “leben” diese Frauen und Mädchen unter dem Eisberg der Ehre auf der einen Seite,
sowie dem Eisberg der Gleichgültigkeit auf der anderen Seite, eiskalt an uns vorbei.
Einige von ihnen haben sich damit angefunden, und meinen nun, das Leben zu leben,
den sie sich schon immer gewünscht haben,
z.B. unterm Kopftuch…oder ohne Kopftuch, und dennoch Unterworfen.
Andere Leben in zwei, oder gar drei Welten, ihre erzwungennen und wahren Persönlichkeiten aus.
Einige macht das wahnsinnig, andere stumpf, und wieder andere gleichgültig…aber allesamt ungesund.
Andere wieder leben ein Leben auf der Flucht, und suchen sich immer wieder neue Orte zum “verstecken”
….auch wenn sie schon längst gestandene Frauen sind, und keine Versteck spiele mehr mögen..
Einige werden erfolgreich zum SelbstMord getrieben.
Andere wiederum sagen freilwillig:”Lebt wohl, ich sterbe lieber”
Aber einige wenige, ganz “freche” und starke Frauen, die zu ihrem – besser, hinter ihrem- Leben stehen,
werden hingerichtet..Eiskalt, versteht sich.
Einer dieser mutigen Frauen war Hatun Sürücü.
Hatun, die nicht dieses ganze Theater nicht mitspielen wollte, und sich nicht einschüchtern ließ,
musste mit ihrem Leben dafür bezahlen.
“Sie hat sich benommen wie eine Deutsche” hieß es hinterher -und sicher auch vorher, sonst wäre es zu “hinterher” nicht gekommen.
Jedes türkische Mädchen und Frau weiss vorher, dass es unanständig ist, sich wie eine deutsche zu benehmen.
Denn eine deutsche Frau genießt alle Freiheiten, die sich eine türkische Frau hart erkämpfen muss.
Angefangen von Berufwunsch, bis hin zu freien Partnerwahl.
Ja, so kann man unanständigkeit definieren.
Mitten in Deutschland.
Auch Hatun wusste,wie es um den Ruf der deutschen Frauen bestellt war.
Erst recht, was es bedeutete, als Türkin, wie eine Deutsche zu leben.
Dennoch kümmerte sie sich nicht um diese Meinungen, und lebte ihr ganz normales “deutsches” Leben.
Anständig!
Sie hat sich benommen wie eine anständige Deutsche, und musste dafür sterben…wie eine unanständige Türkin.
Nun… dort steht sie jetzt Hatun, auf dem Eisberg, und warnt und fragt uns.
Uns.. die Gleichgültigen Schönredner.
War es wirklich ein Verbrechen
Leben zu wollen….wie ein Baum, einzeln und frei und brüderlich wie ein Wald, DAS war MEINE Sehnsucht”
(Zitat von Nazim Hikmet, abgewandelt, zur Ehren von Hatun S.)
“Leben wie ein Baum einzeln und frei und brüderlich wie ein Wald, DAS ist unsere Sehnsucht” Nazim Hikmet