“Moonrise Kingdom” oder verträumte Bildwelten

Erstellt am 25. Mai 2012 von Denis Sasse @filmtogo

© Tobis Film / Kara Hayward (links) als Suzy und Jared Gilman (rechts) als Sam in Wes Andersons "Moonrise Kingdom"

Schauspieler Bill Murray ist wohl der beste Freund des Filmemachers Wes Anderson, der mit seiner schrulligen Art und Weise alle drei Jahre ein neues skurriles Märchen auf die Kinoleinwände bringt. So viel Zeit braucht es eben, damit Werke wie „Rushmore“ (1998), „The Royal Tenenbaums“ (2001) oder zuletzt „Der fantastische Mr. Fox“ (2009) so realisiert werden können, wie es der Kraft der Fantasie, die dem Geiste Andersons entspringt, gerecht werden kann. Bill Murray ist dabei ein treuer Wegbegleiter, der nicht von Andersons Seite weicht. Seit 1998 hat der inzwischen 62 Jahre alte Schauspieler in jedem Film von Wes Anderson mitgewirkt – ganz gleich ob in einer Haupt-, Neben- oder Sprechrolle. Somit darf er auch in „Moonrise Kingdom“ nicht fehlen, der bisher kindlichsten, zugleich aber doch recht erwachsen wirkenden Märchenstunde, in der Murray dann auch mal oben ohne, mit geschulterter Axt und Bierflasche in der Hand seine Aggressionen beim Baumfällen bewältigen darf.

Wir befinden uns im Jahr 1965, irgendwo vor der Küste Neuenglands. Captain Sharp (Bruce Willis), Sheriff einer kleinen beschaulichen Inselgemeinde, steckt in Schwierigkeiten. Suzy, die Tochter des neurotischen Ehepaars Bishop, ist spurlos verschwunden und die Affäre des Sherrifs mit Mrs. Bishop (Frances McDormand) droht aufzufliegen, was Mr. Bishop (Bill Murray) gar nicht gefallen dürfte. Obendrein türmt der junge Pfadfinder Sam zur gleichen Zeit auf der anderen Seite der Insel aus dem Sommercamp. Und der etwas desorientierte Oberpfadfinder Ward (Edward Norton) hat keine Ahnung wohin. Niemand ahnt, dass die beiden Ausreißer sich heimlich ineinander verliebt haben und nun zusammen durchbrennen wollen. Hals über Kopf stürzen sich der überforderte Sheriff und das ganze Pfadfindercamp in eine chaotische Suchaktion, bei der die aufgeschreckten Erziehungsberechtigten wenig hilfreich sind und vor allem über ihre eigenen Fallstricke stolpern. Als dann auch noch das alarmierte Jugendamt (Tilda Swinton) seinen Besuch ankündigt, droht die ohnehin heikle Situation zu eskalieren. Bis plötzlich ein herannahendes Gewitter die erhitzten Gemüter zur Abkühlung zwingt.

Bei all den großen Namen, die Wes Anderson für „Moonlight Kingdom“ in seine Filmwelt geholt hat, mag man fast vergessen, dass niemand von ihnen die Hauptrolle in diesem Film übernimmt, aber doch jeder von ihnen aufblüht wie schon lange nicht mehr. Anderson holt aus seinen Darstellern eine kindliche Freude am Spiel heraus, die sich auf das Kinopublikum schnell übertragen lässt. Man nehme Robin Williams‘ verspielte Darstellung des altgewordenen Peter Pan in „Hook“ und lege diese auf jeden Namen, der sich auf der Besetzungsliste befindet. So arg multipliziert wird sich der Zuschauer schnell selbst um viele Jahre jünger fühlen und sich in dieser Welt verlieren. Dem jugendlichen Spielstil der Erwachsenen steht die unnatürliche Darstellung der Kinder entgegen. Die beiden Hauptdarsteller Kara Hayward und Jared Gilman, beide in ihrer allerersten Schauspielrolle, bewahren sich ihre unschuldige Natur, die verträumte Zwölfjährige laut Anderson auszeichnet, werden durch Unterhaltungen miteinander aber in eine weitaus intelligentere Sphäre gehoben. „Ein Gedicht muss sich nicht reimen, es muss nur kreativ sein“ erzählt uns Gilman in der Rolle des Sam, mit dicker Hornbrille auf der Nase und einem Faible für die schöne Kunst der Malerei – ein Außenseiter, der den Vergleich zum Film selbst aufstellt, bei dem die bewusst getextet wirkenden Dialoge nicht immer zu den Figuren passen mögen, aber sich zumindest die Kreativität von Wes Anderson und Mit-Drehbuchautor Roman Coppola, Sohn von Regisseur Francis Ford Coppola, manifestiert.

Kara Hayward und Jared Gilman

Diese Kreativität entfaltet sich in den visuellen Gemälden, die einem anspruchsvollen Bilderbuch entsprungen zu sein scheinen. Die nächste Verbindung, die sich feststellen lassen würde wäre die Kindergeschichte „Wo die wilden Kerle wohnen“ von dem Anfang Mai 2012 verstorbenen Autor Maurice Sendak – 2009 von Regisseur Spike Jonze verfilmt. Aber dann funktioniert „Moonrise Kingdom“ doch nicht ganz so melancholisch wie Sendaks Werk, denn hier ist es mehr eine romantische Stimmung, die der Handlung zu Grunde liegt. Das gelingt nicht zuletzt durch den einsamen Strand, an den sich Sam und Suzy flüchten. In ihr persönliches „Moonrise Kingdom“ umbenannt, versuchen sie hier den Augen der Erwachsenen zu entfliehen. Hier posiert Suzy lasziv, nur mit einem Bikini bekleidet, damit Sam ein weiteres seiner stilvollen Gemälde malen kann. Hier kommen sich die beiden Kinder näher, tanzen, küssen – erst ohne, dann mit Zunge – und liegen nebeneinander im Zelt. Das wirkt bei den Minderjährigen nicht etwa verstörend oder bedenklich, sondern dank der einfühlsamen Darstellung einfach nur verspielt romantisch. Es ist die erste Liebe für Sam und Suzy. Für sie eine normale Erfahrung, für die Erwachsenen – ein großartig auf das Zelt zu stapfender Bill Murray wird im Gedächtnis bleiben – eine Sache, die sie einfach nicht mehr verstehen können oder wollen. Ebenso wie an diesem Strand, reiht sich in jedem anderen Bild des Films die Liebe zum Detail, die bereits im ersten Kameraschwenk durch das Haus der Bishops zu erkennen ist, an den Puppenhausstil von Anderson, der sich sowohl im Inneren von Gebäuden, als auch in Landschaftsbildern zu erkennen gibt. Der Film ist durchzogen von nostalgischen Requisiten, einer schrägen Wirklichkeit – ein gefährlich platziertes Baumhaus mag nicht so recht für Kletterstimmung sorgen – und verträumten Kamerafahrten, die von rechts nach links oder umgekehrt durch die Szenerie schwenken und die kleinen Bilder zu großen Panoramen machen.

Damit ist Wes Anderson von vorne bis hinten ein Film gelungen, der die Zuschauer in eine bessere Welt entführt, dessen Bewohner zwar mit allerlei Schwierigkeiten und Neurosen ausgestattet sind, den Zuschauer aber mit einem verträumt schönen Gefühl belohnt. Und selbst für den Abspann hat sich Anderson noch die Zeit genommen, visuell und auditiv aufzutrumpfen. Hier fliegen die Namen verschnörkelt ins Bild, bunt gemischt kommen Buchstaben mal von oben, mal von den Seiten, bilden in der Mitte den sonst so einfallslos inszenierten Ablauf. Dazu hört man im Hintergrund noch einmal die Stimme von Suzy, wie sie den Zuschauern die Abspannmusik erklärt und genau aufzeigt, wann was für ein Instrument in die Melodie einsetzt. Unmittelbar nach „Moonrise Kingdom“ sollte man sich einen Parkspaziergang unter bunten Schmetterlingen oder ein sonnendurchflutetes Picknick gönnen, man wird jedwede dieser Situationen mit verträumt märchenhaften Gedanken als noch viel schöner erleben, als es in der Realität der Fall ist.

Denis Sasse


‘Moonrise Kingdom‘