Am italienischen Normalweg erarbeitet man sich den Mont Blanc ehrlich vom Tal aus.
Es will nicht sein. Wieder stehen wir in Chamonix. Und wieder müssen wir die Traversée Royale abblasen. Dieses Mal wären Wetter und Bedingungen perfekt. Aber das Refuge Durier hat keinen Platz für uns vier Lammertaler. Es war wohl naiv, eine Berghütte am Mont Blanc mit nur 20 Plätzen so kurzfristig buchen zu wollen. Auf den Mont Blanc möchten wir trotzdem endlich. Aber auf der französischen Seite sind alle Hütten ausgebucht. Und mit der Bahn hoch? Nee. Ich erinnere mich an einen Tipp, den mir David Göttler in einem Interview gegeben hat: Die Mont Blanc Überschreitung von Süd nach Nord über die Gonella Hütte.
Ich rufe in Italien bei der Gonella Hütte an. Sì, force, un attimo. Wir sollen kommen. Zur Not müssen wir auf dem Boden schlafen. Matratzen habe er, verspricht Hüttenwirt Davide. Allora, andiamo!
Fakten zur Tour: Mont Blanc Überschreitung von Süd nach Nord (Papstweg)
- Stützpunkte: Rifugio Gonella (im Anstieg aus Italien), Refuge du Nid d’Aigle (im Abstieg nach Frankreich). Alternativ kann man beim Abstieg auch im Refuge du Goûter übernachten (sofern man spontan einen Platz bekommt, was eher unwahrscheinlich ist)
- Beste Jahreszeit: früh in der Hochtourensaison (Mitte Juni bis Ende Juli)
- Logistik: das Auto lässt man am besten in Chamonix, Les Houches oder Courmayeur stehen und legt die Wege dazwischen mit dem Bus zurück
Wer den Mont Blanc am Papstweg von Italien nach Frankreich überschreitet, erarbeitet sich den höchsten Alpengipfel ehrlich vom Tal aus. Denn keine Seilbahn verkürzt hier den Aufstieg. Und man umgeht die Masse an Bergsteigern, die gewöhnlich über den französischen Normalweg auf- und absteigt. Das Rifugio Gonella bietet nur etwa 40 Personen Platz, weshalb am italienischen Normalweg auf den Mont Blanc deutlich weniger Betrieb ist.
Fakten Tag 1: Mont Blanc Überschreitung von Süd nach Nord
- Ausgangspunkt: Val Veny bei Courmayeur (Aostatal/Italien)
- Endpunkt: Rifugio Gonella (3.071 m)
- Anstieg: 1.450 Höhenmeter
- Länge: 11 Kilometer
- Dauer: wir haben 4 Stunden benötigt
- Route: mit dem Bus von Courmayor ins Val Veny. Von dort aus Aufstieg zum Rifugio Gonella – zunächst entlang der Forststraße bis zum Rifugio Combal, weiter entlang der linken Seitenmoräne des Miage Gletschers, dann direkt über den Gletscher und später über Felsstufen zur Gonella Hütte
Fakten Tag 2: Mont Blanc Überschreitung von Süd nach Nord
- Ausgangspunkt: Rifugio Gonella
- Endpunkt: Refuge du Nid d‘ Aigle
- Anstieg: 2.000 Höhenmeter (inkl. Gegenanstiegen)
- Länge: 14 Kilometer
- Dauer: wir haben 9 h 30 Minuten benötigt
- Route: Rifugio Gonella > Piton des Italiens (4.002 m) > Dôme du Goûter > Refuge Vallot > Bossesgrat > Mont Blanc > Bossesgrat retour > Refuge du Goûter > Grand Couloir > Refuge du Nid d‘ Aigle
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Nord-Süd-Shuttle: Mit dem Bus von Chamonix nach Courmayeur
Wir lassen unser Auto in Chamonix stehen und fahren mit dem Flixbus durch den Tunnel du Mont Blanc nach Courmayeur auf der italienischen Seite des Mont Blanc. Der Transfer mit dem Bus ist sicher die bequemste Möglichkeit, um zwischen der Nord- und Südseite des höchsten Alpengipfels hin- und herzuwechseln. Die Fahrt kostet etwa 10 € pro Nase und dauert eine halbe Stunde. Einen Pass oder Personalausweis sollte man mitführen – uns hat die italienische Polizei recht streng kontrolliert.
Am Busbahnhof in Courmayeur wechseln wir in den Lokalbus Nummer 4. Dieser bringt uns für 2 € ins Val Veny. Von dort aus steigen wir zur Gonella Hütte auf. Einmal zu Fuß über den Mont Blanc – auf geht’s!
Mont Blanc: Zustieg vom Val Veny auf die Gonella Hütte
Das Val Veny ist ein idyllisches Tal und liegt etwa 2 Kilometer nördlich von Courmayeur. Es erstreckt sich über 11 Kilometer direkt am Fuße des Mont Blanc. So weit müssen wir zum Glück nicht hineinmarschieren. Von der letzten Bushaltestelle gehen wir zunächst 3 Kilometer entlang einer Forststraße bis zum Rifugio Combal.
Hier im Val Veny nehmen einige der größten Routen am Mont Blanc ihren Ausgang. Ehrfürchtig wandern unsere Blicke nach oben: Tournettesporn, Innominatagrat, Peutery Intégral, Brouillardgrat. Im Angesicht dieser alpinen Klassiker wirkt unser italienischer Normalweg wie der sonntägliche Ausflug einer Pensionistengruppe.
Wir erreichen das Rifugio Combal. Hier verlassen wir das Val Veny mit seinen Flüsschen und saftigen Wiesen. Ab jetzt geben wir uns ganz der Wildheit des Mont Blanc Massivs hin. Wir zweigen nach rechts Richtung Miage Gletscher ab. Der Miage Gletscher hat sich bereits weit zurückgezogen, weshalb wir die ersten 2 Kilometer mühsam auf seiner Moräne abarbeiten. Am besten man hält sich dabei ganz links auf dem Rücken der Seitenmoräne.
Fels- und Eispalast: Über den Miage Gletscher zum Rifugio Gonella
Die mühsame Torkelei auf der Moräne nimmt ein Ende, als wir die Zunge des Ghiacciaio del Miage erreichen. Steigspuren führen uns von der Seitenmoräne hinab auf den Gletscher. Der Schnee am Gletscher ist weich und wir können den Aufstieg ohne Steigeisen fortsetzen.
Der Weiterweg ist logisch und in der Hauptsaison fast immer gespurt: schnurstracks hinein, bis der Gletscher steiler wird, dann in einem Rechtsbogen über Felsstufen hoch zum Rifugio Gonella.
Unsere Blicke tasten den Gletscherrand und die darüberliegenden Felsstufen ab. Irgendwo dort oben in den Felsen muss die Gonella Hütte stehen. Nur: unsere Augen mögen sie nicht erblicken. Dann sehe ich viel höher, als unsere Blicke gesucht haben, etwas aufblitzen. Freude darüber, dass wir endlich einen genauen Anhaltspunkt haben, wohin wir müssen. Und gleichzeitig die Ernüchterung: das ist noch irre weit!
Eingekesselt von Felstürmen, Gletscherbrüchen und steilen Firnrinnen stapfen wir weiter. Die Sonne sticht vom Himmel, Seracs donnern ins Tal. Der Gletscher reflektiert das grelle Licht und die Felswände werfen das Echo der aufprallenden Eisblöcke zurück. Alles hier scheint doppelt so steil, groß und furchteinflößend wie zuhause.
Bisher war der Gletscher flach und arm an Spalten. Je weiter wir ihm folgen, umso mehr beginnt er anzusteigen und einzelne Spalten werden sichtbar.
Finale verticale: Steiler Schlussanstieg zum Rifugio Gonella
Die vereinzelten Spalten können wir gut gequert und die große Spaltenzone im oberen Teil des Gletschers wird links umgangen. Nach einer Querung im Firn stehen wir vor dem Einstieg des felsigen Teils des Zustiegs.
Der Weg windet sich über Felsstufen und Bänder hinauf und wird steiler, je höher man gelangt. Den Großteil der 1.400 Höhenmeter macht man im letzten Dritten des Anstiegs. Das geht auf die Substanz. Der schwere Rucksack zieht zunehmend nach hinten und ich fühle mich bald tatsächlich dem Pensionsantrittsalter nahe.
Dicke Taue, Ketten und kleine Leitern helfen über die Felsstufen hinweg. Zusätzlich weisen gelbe Markierungen den Weg. Knapp unterhalb der Hütte müssen wir nochmals ein Altschneefeld queren. Danach klettern wir in direkter Linie zur bereits sichtbaren Hütte auf 3.071 Metern Seehöhe hinauf. Finito!
Im Rifugio werden wir herzlich begrüßt und bekommen einen Schlafplatz im Winterraum. Abendessen gibt’s um 18:30 Uhr, erklärt Davide in seiner kleinen Rezeption sitzend. Rund um ihn hängen Hinweisschilder: Corona-Infos, Wegbeschreibungen, Essenszeiten. Auf einem steht Breakfast at 12:00. Da werden sie sich verschrieben haben, schätzt Tabea. Davide ist in der Zwischenzeit damit fortgefahren, mir Informationen auf Italienisch mitzuteilen. Mit colazione a mezzanotte schließt er ab. Was das heiße, will Tabea wissen. Frühstück um Mitternacht, übersetze ich.
Süd-Nord-Überschreitung & Zeitmanagement am Mont Blanc
Ich erkläre Davide, dass wir auf der Tour etwas sehen wollen und sicher vor Sonnenaufgang am Gipfel des Mont Blanc wären, wenn wir um Mitternacht losgehen. Für den 1.800 Höhenmeter langen Anstieg bis zum Gipfel haben wir sechs Stunden einkalkuliert. Eine sehr realistische Zeit, wenn man eine gute Ausdauer besitzt, in einer kleinen Gruppe unterwegs und technisch solide drauf ist.
Wer in der Höhe deutlich langsamer wird (und das wird ab einer Höhe von 4.500 Metern mit großer Wahrscheinlichkeit passieren) sowie häufiger Pausen braucht, der sollte für den Gipfelanstieg deutlich mehr Zeit einplanen. Zumal auch der Abstieg nicht wie im Fluge vergeht. Für den Weg hinab nach Nid d’Aigle haben wir im Vorfeld fünf Stunden einberechnet.
Allora: Start um 5 Uhr, Frühstück um 4. Va bene, sagt Davide. Er wird uns Thermoskannen mit Kaffee und Brot bereitstellen. Die Hütte gefällt uns immer mehr. Man ist flexibel, alles ist gut organisiert und sehr sauber – auch der Waschraum und die Toiletten.
Wir machen uns einen gemütlichen Nachmittag. Schlürfen ein paar kleine Biere, essen Käsebrot und zu Abend und gehen dann mit den anderen gegen 9 Uhr schlafen.
Gipfeltag: Mont Blanc Überschreitung von Süd nach Nord
Wir erwachen am frühen Morgen und die Hütte ist bereits leergefegt. Vom Aufbruch der anderen Seilschaften haben wir im Winterraum nichts mitbekommen. Als wären wir in einem verlassenen Raumschiff zurückgelassen worden, machen wir uns für den Gipfeltag unserer Mont Blanc Überschreitung bereit.
Das Frühstück war klassisch italienisch: nährstoffarm. Wir legen unsere Ausrüstung gleich an der Hütte an. Helm, Gurt, Steigeisen, Stirnlampe, Eisschrauben, Bandschlingen – je weniger im Rucksack umso besser.
Nach der Hütte queren wir zwei Felsrippen und klettern leicht zum Gletscher ab. Dort seilen wir uns als 4er-Seilschaft zusammen und folgen dem Gletscher linkshaltend bis auf eine Höhe von etwa 3.500 Metern. Dort verengt sich der Gletscher, wir schwenken leicht nach rechts und stapfen dann steil bergauf bis auf 3.750 Meter. Der Tag bricht gerade an und wir schalten unsere Stirnlampen aus.
Riesige Spalten durchziehen den Gletscher. Jetzt Anfang Juli sind die Brücken dick und viele Spalten noch ganz eingeschneit. Später in der Saison ist der italienische Normalweg wegen der Spalten oft gar nicht mehr begehbar. Wir sind glücklich, so perfekte Bedingungen anzutreffen und gewinnen schnell an Höhe.
Gratgang und Sonnenaufgang am Piton des Italiens
An einer steilen Scharte – dem Col des Aiguilles Grises (3.810 m) – verlassen wir den Gletscher und erreichen den Grat, der uns auf den Piton des Italiens (4.002 m) führt. Eisiger Nordwind heißt uns am Grat willkommen. Gut, dass wir bereits unterhalb der Scharte warme Jacken und Handschuhe angezogen haben. Auch das Seil haben wir wieder im Rucksack verstaut. Am Grat werden wir es nicht mehr brauchen.
Über Italien geht gerade die Sonne auf und die ersten Strahlen erleuchten den Gipfel der Aiguille de Bionnassay. Wehmütig blicken wir auf diesen wunderschönen 4.000er hinüber, über den uns unsere Route ursprünglich hätte führen sollen.
Wir versuchen, das zu genießen, was wir haben. Und zwar einen schönen Grat aus Fels und Firn, der uns über den Piton des Italiens hinüber zum Dôme du Goûter (4.304 m) und von dort aus über den französischen Normalweg zum Gipfel des Mont Blanc führen wird.
Gleich nach der Scharte müssen wir ein paar einfache Kletterstellen im Fels (I-II) überwinden. Danach verschwindet der Fels unter dem Firn und wir schreiten über einen sanft geschwungene Schneegrat. Wie die Wogen einer ruhigen See zieht die Linie zum Dôme du Goûter hinüber. Rückblickend war dieser ein Kilometer lange Abschnitt der schönste der Mont Blanc Überschreitung.
Wenige Meter vor dem Dôme du Goûter tauchen wir ins Licht ein. Immer noch ist es eisig kalt. Der Wind, die Höhe, aber auch die wunderschöne Umgebung rauben uns den Atem.
bonjour France ! Über den Bossesgrat auf den Mont Blanc
Wir sind zurück in Frankreich. Hinter dem Dôme du Goûter treffen wir auf den französischen Normalweg. In der Mulde ist es windstill und mir machen eine kurze Pause. Die Orientierung am Weiterweg ist unschwierig. Ein Trampelpfad windet sich über mehrere Kuppen nach oben zum höchsten Gipfel der Alpen.
Wir sind überrascht, wie wenig heute los ist. Nur vereinzelt steigen Seilschaften auf oder ab. Die Route führt uns nun vorbei am Vallot Biwak und danach stetig höher über die Kuppen des Bossesgrats. Mal geht es etwas steiler bergauf, mal wieder geradeaus und sogar leicht bergab. Zu Beginn ist der Grat breit, verschmälert sich zum Gipfel hin aber zusehends.
Ich merke, dass ich mit jedem Schritt müder werde und mich nur noch schwer konzentrieren kann. Auch wenn der Weg einfach ist, sollte man fokussiert bleiben. Ein Ausrutscher könnte einen Absturz über die Nord- oder die Südflanke des Mont Blanc zur Folge haben.
Wir haben die Marke von 4.500 Metern schon vor einiger Zeit passiert. Doch die letzten 300 Höhenmeter scheinen nicht enden zu wollen. Zugegeben, der letzte Abschnitt ist nicht wirklich spannend. Eventuell trägt diese Tatsache auch dazu bei, dass mir der Gipfelanstieg so ewig erscheint.
Gegenüber erhebt sich der Gipfel zum Greifen nah, wäre da nicht noch dieser endlose Grat dazwischen. Hinter jeder Kuppe wartet die nächste und der Gipfel rückt wieder weiter weg.
Endlich oben! Salut Mont Blanc, ciao Monte Bianco!
Ich bin schockiert, wie langsam ich unterwegs bin. Das magere Frühstück, die fehlende Akklimatisierung und unser schnelles Anfangstempo machen sich jetzt bemerkbar.
Je höher wir kommen, desto beißender wird der Wind. Tief unter uns tummeln sich Schäfchenwolken, die sich kaum bewegen. Die zuvor noch so markante Aiguille de Bionnassay scheint winzig klein.
Im Schneckentempo kommen wir unserem Ziel immer näher. Der Grat spitzt sich zu, der Wind treibt Schneefahnen über die Firnschneide. Mein Atem geht schwer, ich wende mich vom Wind ab und schiebe mich mühsam höher. Dann setze ich den Fuß auf die letzte Kuppe.
Der Gipfel liegt flach vor mir. Ein unspektakuläres Schneeplateau. Sieht aus wie die Koreinhöhe im Winter, bemerkt der zweite Tom. Wir müssen lachen, weil er irgendwie recht hat. Nur befinden wir uns nicht auf 1.800, sondern auf 4.800 Metern.
Ein magischer Augenblick! Wir sind alleine am Gipfel, die Welt scheint ganz uns zu gehören. Vier Freunde am Dach der Alpen. Das Gefühl, den Mont Blanc vom Tal aus komplett aus eigener Kraft erstiegen zu haben, macht uns stolz. Und so langsam waren wir im Endeffekt gar nicht. 4 h und 45 Minuten haben wir inklusive Pausen von der Gonella Hütte bis auf den Mont Blanc gebraucht.
Mont Blanc Überschreitung: Abstieg nach Nid d‘Aigle
Weil es am Gipfel eiskalt ist und der Wind hier weitaus am stärksten weht, genießen wir den Moment nur kurz. Ich werfe einen Blick auf die umliegende Berglandschaft und erkenne viele bekannte Gipfel. Der Blick reicht von der Schweiz bis in die Dauphiné.
Das Eindrucksvollste: der Horizont scheint vom Mont Blanc aus gesehen schon leicht gekrümmt. Ein Blick auf die Erde, den ich so zum ersten Mal erleben darf.
Im Gegensatz zum Aufstieg vergeht der Abstieg wie im Flug. Am französischen Normalweg folgen wir der Spur zurück zum Dôme du Goûter. Nach einem kurzen Gegenanstieg verlieren wir im weichen Stapfschnee zügig Höhenmeter und erreichen zwei Stunden nach unserem Aufbruch vom Gipfel das Refuge du Goûter.
Dort treffen wir zwei Bekannte, die mit uns in der Gonella Hütte übernachtet haben. Sie kennen den weiteren Abstieg und geben uns noch ein paar Infos mit. Nach dem Refuge du Goûter müssen wir über steiles Blockgelände absteigen. Der Steig ist fast durchgehend mit Seilen und Trittstufen versichert. Aufgrund von Steinschlag sollte man den Helm unbedingt noch auflassen.
Wir lassen auch die Steigeisen an, weil die Steilflanke mit Schneeresten durchzogen ist. Eine Stunde mühen wir uns in der 500 Meter hohen Felsstufe ab. Nur langsam nähern wir uns dem Tal: abklettern, queren, um den einen Block herum, am nächsten drüber, Jacke ausziehen, weil’s immer heißer wird.
Vorbei am berüchtigten Grand Couloir
Über sieben Stunden sind wir mittlerweile auf den Beinen. So schön die Tour bisher war, wir sehnen uns danach, dass das Gelände endlich flacher wird. Bevor es soweit ist, müssen wir aber noch das berüchtigte Grand Couloir queren. Eine Schnee- und Felsrinne, die den Abstieg vom Refuge du Goûter nach Norden hin begrenzt.
Hier fordert der Mont Blanc seine meisten Todesopfer. Denn von oben herab stürzen in regelmäßigen Abständen kleinere Steine, aber auch riesige Felsblöcke. In den warmen Sommermonaten und besonders dann, wenn der Schnee schmilzt, ist der Untergrund des Couloirs besonders instabil.
Am sichersten kommt man am Grand Couloir früh in der Saison vorbei. Oder im Herbst, wenn die Temperaturen auch unter Tag nicht mehr so stark ansteigen. Im August ist der Weg hier oft fast nicht mehr begehbar, erklärt uns ein Bergführer.
Jetzt Anfang Juli ist der Steinschlag minimal. Aber auch heute kurz nach Mittag poltern immer wieder kleinere Felsblöcke durch die Rinne. Wir blicken gespannt nach oben, warten einen geeigneten Moment ab und queren das Couloir einzeln und so zügig wie möglich.
Ende der Mont Blanc Überschreitung am Refuge du Nid d’Aigle
Die Schwierigkeiten der Mont Blanc Überschreitung sind nach dem Grand Couloir vorbei. Unsere Gipfeletappe endet am Refuge du Nid d’Aigle. Bis hierhin führt auch eine Zahnradbahn, mit der man das letzte Stück bis ins Tal nach Les Houches zurücklegen kann. Die letzte Bahn fährt um 16:20. An der Mittelstation kann man in die Bellevue-Seilbahn umsteigen und kommt mit der Gondel direkt ins Ortszentrum von Les Houches.
Zug und Seilbahn hätten wir zeitlich locker erwischt. Aber wir entscheiden uns dazu, am Refuge du Nid d’Aigle zu übernachten.
Das Essen und der Rotwein sind gut und die Aussicht auf die Nordwand der Aiguille der Bionnassay fantastisch. Wir können uns eine weitere Nacht in die Bergwelt des Mont Blanc Massivs zurückziehen. Beobachten junge Steinböcke, die rings um die Hütte in den Felsen herumtollen und quetschen den Hüttenwirt nach Möglichkeiten zum Sportklettern für den nächsten Tag aus.
Am nächsten Morgen steigen wir zu Fuß bis zur Bergstation der Bellevue Seilbahn ab. Ein schöner Weg, perfekt, um die Mont Blanc Überschreitung ausklingen zu lassen. Für die verbleibenden 800 Höhenmeter gönnen wir uns eine Fahrt mit der Gondel hinab nach Les Houches.
Wer sein Auto in Chamonix stehen hat, kommt am einfachsten mit den Öffis zurück. Die beiden Orte liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt.