Als ungeliebtes Kind in einer Familie aufzuwachsen ist eine schwere Bürde für das Kind und auch für den späteren Erwachsenen, denn ein Kind wird immer an seinen Eltern hängen, sie lieben, ganz gleich wie viel negative Gefühle diese einem entgegen bringen. Leider ist es dann häufig so, dass die anderen Geschwister von der ‚Abneigung’ der Eltern angesteckt werden, ohne diese Ablehnung zu reflektieren und so wird aus einem solchen Kind ein ‚hausgemachter’ Außenseiter. Ein wirklich schweres Los. Um solche Ausgrenzungen zu erfahren, muss kein Kind geschlagen werden, abschätzende Bemerkung und verachtende Blicke graben sich tief in die schmerzende Seele. Für das Kind bleiben meistens nur zwei Wege offen, um solch eine ‚Seelenhölle’ einigermaßen zu überstehen, entweder durch totale Anpassung mit dem gänzlichen Verlust des eigenen Selbst oder es geht, schon aus Selbsterhaltungstrieb auf die Barrikaden, diese können je nach Lebensumständen im Elternhaus und dem Temperament des Kindes völlig unterschiedlich aussehen. Das Leid, das Eltern einem solchen Kind zufügen ist schier unermesslich, denn der spätere Erwachsene trägt ein Leben daran. Häufig haben solche Kinder aber positive Impulse aus der Umgebung der Familie, das dann zum ‚Balsam’ für die Seele wird und diese ein wenig wieder aufrichtet, doch wenn man aus einer hoch angesehenen Familie kommt, in der die Eltern von der Außenwelt fast glorifiziert werden, dann verstärkt das natürlich die eigene Unsicherheit des Kindes, so dass das Kind gänzlich mit der Wahrnehmung aufwächst, weniger Wert zu sein als die Geschwister, ja, weniger Wert zu sein, als jeder andere Mensch. Solch ein Selbstbildnis trägt ganz bestimmt nicht zu innerer Freiheit bei, denn das Kind ist voll auf damit beschäftigt den Schmerz, diesen tief sitzenden Kummer zurück zudrängen, um einigermaßen zu funktionieren. Was nicht immer gelingt. Mit solch einer Bürde aufzuwachsen, heißt ein lebenslanges Trauma mit sich herum zutragen, daran nicht zu zerbrechen ist schon eine Lebensaufgabe an sich.
Monika Mann wurde als viertes Kind der Familie am 7. Juni 1910 in München geboren, Thomas Mann war der strahlende Stern der Familie, Katia, seine Frau war Organisatorin des ‚Mannschen’ Haushalts und Stütze ihres berühmten Mannes. Die kleine Monika wuchs in der Außensicht wohlbehütet, ohne jegliche materielle Not, in einer hoch angesehenen, intellektuellen Familie auf, deren einziger Schönheitsfleck aus Monikas Sicht war, dass sie neben ihrem Bruder Golo, zu den ungeliebten Kindern der Eltern gehörte. Dieses Unverständnis der Eltern dieser Tochter gegenüber wurde auch gar nicht verschleiert, weder vor den Geschwistern, der Umgebung, ja der Öffentlichkeit, nein, sie wurde völlig offen gelebt, von beiden Elternteilen. Das war nicht von Anfang an so, zuerst wird ihr von ihrer Mutter eine gewisse ‚Niedlichkeit’ attestiert, auch ihr musikalisches Talent wird hervorgehoben und gefördert, so schreib ihre Mutter Katia Mann im kleinen ‚Moni-Büchlein’ über sie: "[...] liebebedürftig und verwöhnt, trotzig und eigensinnig, schwatzhaft und phantasievoll." Doch die Trophäe der Niedlichkeit musste Monika mit acht Jahren abgeben, an die letzte Tochter der Manns, an Elisabeth, die in den Augen des Vaters weitaus niedlicher war und zu seinem ‚Augenstern’ wurde. Monika Mann beschrieb diese Zeit später mit den Worten: "Kindheit war für mich mit acht Jahren beendet … " Rückblickend schrieb Monika Mann über ihre Jugend: "Das inständig ichwärts gekehrte väterliche Wesen wirkte einschüchternd und beklemmend auf uns und gewährte uns gleichzeitig eine große Freiheit." Diese Freiheit nahm sie sich beim Schulbesuch: In der Volksschule noch brillant, flog sie "faul und renitent" O-Ton: Katia Mann, aus der verhassten ‚Höheren Töchterschule’. Auf der Beliebtheitsskala innerhalb der Familie war die 14jährige Monika Mann nun ganz unten angekommen. Mutter Katia: "Aus dem Haus musste und sollte das Kind, so muffig und unerfreulich, wie es war." Man verfrachtete es in das reformpädagogische Institut Salem nahe dem Bodensee. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Monika Mann aus dem elterlichen Haus hinauskomplimentiert wurde, doch könnte man es auch als einen Glücksfall ansehen, dass Monika sich in einer eher wertfreien Umgebung entfalten konnte. Ihr musikalisches Talent wurde stark gefördert, sie bekam Musikunterricht, besonders am Klavier, von den damals renommiertestes Lehrer ihrer Zeit, die auch voll des Lobes für sie waren. Warum sie den Weg der Pianistin nicht ging, bleibt ein wenig im Dunkeln, vielleicht aus mangelndem Selbstwertgefühl oder aus Trotz der Familie gegen über, ja, vielleicht aus einer Mischung von vielen Begleitumständen, doch besuchte sie weitere Kunstschulen, die das Elternhaus gern finanzierten, wobei zu bemerken ist, dass sie immer auf die finanzielle Unterstützung der Familie rechnen konnte, auch über den Tod der Eltern hinaus. So erging es Monika Mann äußerlich betrachtet nie schlecht, schaute man nicht hinter die Kulissen der Strömungen innerhalb des Klans der Familie Mann. In den Aufzeichnungen und Briefen ihrer Familie wurde sie oft als seltsam und wunderlich beschrieben: „[…] sie ist nach dreiwöchigen Aufenthalt hier im Elternhaus, doch ganz das alte, dumpf-wunderliche Mönle, völlig unbeschäftigt, die Speisekammer bemausend […].“ Wieder wurde sie aus der Familie heraus komplimentiert, doch nach eigener Aussage fühlte sie sich fern der Familie am wohlsten. Ihren künstlerischen Neigungen folgend, nahm sie ab 1926 unter anderem ein Musikstudium in Lausanne auf, das sie auch nach Paris und Prag führte. 1933 ging sie ins französische Sanary-sur-Mer. Dorthin folgte sie ihren Eltern, für die nach dem Hitler an der Macht war, der Mittelmeerbadeort ebenso als erste Zuflucht diente wie für viele deutsche Emigranten, so auch Thomas Manns Bruder Heinrich. Im Januar 1934 übersiedelte Monika Mann nach Florenz zu einem privaten Klavierstudium bei Luigi Dallapiccola, einem der bedeutendsten modernen Komponisten Italiens. Monika Mann verliebte sich in die Stadt mit ihren ‚Mauern, Türmen und Kuppeln’ und in Jenö Lányi. Der ungarisch-jüdische Kunsthistoriker hatte sich mit Publikationen zur italienischen Frührenaissance einen Namen gemacht und hielt sich zwecks Donatello-Studien in Florenz auf. 1938 gingen Lányi und Monika Mann nach London, nachdem Mussolini antisemitische Rassegesetze erlassen hatte. In England heiratete Monika Mann ihren Jenö Lányi, der zunächst am Londoner kunsthistorischen Warburg Institute weiterarbeiten konnte. Ein privates Glück schien ihr beschieden. Doch wieder war das Glück nur kurz, 1940 startete das NS-Regime seine Luftoffensive gegen England und überzog London mit einem Bombenhagel. Das Ehepaar entschloss sich zur Überfahrt nach Amerika. Nachdem der inzwischen in den USA lebende Thomas Mann für seine Tochter und Lányi ein kanadisches Visum erwirkt hatte, gingen beide am 13. September 1940 in Liverpool an Bord der ‚City of Benares’. Der geplante Trip in die Freiheit sollte zur Höllenfahrt werden. Vier Tage später, mitten im Atlantik, 1.000 Kilometer von Land entfernt, wurde das Schiff von einem deutschen U-Boot-Torpedo getroffen und sank sofort. Die meisten der etwa 400 Passagiere ertranken, auch Jenö Lányi, Monikas Ehemann. Nach eigener Aussage hörte Monika Mann ihn noch dreimal nach ihr rufen, dann verstummte er für immer. Sie selbst trieb 20 Stunden lang im Ozean, in einem winzigen Rettungsboot, bis ein englisches Kriegsschiff die wenigen Überlebenden aufnahm und nach Schottland brachte. Die Schwester Erika Mann besuchte sie dort im Krankenhaus und schrieb an die Mutter: "Sie ist überzeugt, und mag recht haben, dass Jenö sich aufgegeben hat, weil er sie für verloren hielt. Er hat … in ganz ungewöhnlichem Maße an ihr gehangen. Wann, je, wird sie dergleichen wieder finden?" Nun, Monika Mann sollte "dergleichen" wieder finden, doch vorher musste sie das Trauma, den Mann verloren zu haben, die Angst vor dem Tod auf dem Atlantik, überwinden. Körperlich gesundet, doch seelisch tief leidend kam sie bei ihrer Familie in Kalifornien an. Für ihre Trauer, für ihr inneres Leid hatte dort niemand Verständnis, ihre Depressionen wurden als ‚Unwille’ und ‚Verstocktheit’ betrachtet. Ihre Unfähigkeit sich zu betätigen wurde als ‚Faulheit’ und ‚sich gehen lassen’ kommentiert. Ihr gesamter Seelenschmerz wurde gänzlich ignoriert, denn sie war ja in Sicherheit unter der Sonne Kaliforniens, was wollte sie mehr. Ihre Schwester Erika Anfang schrieb Anfang der 40er-Jahre: "Moni ist ein ganz unseliges Problemata." Die Eltern, bei denen sie damals in Kalifornien nach schier unglaublich überstandener Schiffskatastrophe wohnte, sahen es genauso. Thomas Mann schrieb in sein Tagebuch: "Zerwürfnis mit Moni … Drang auf ihre Entfernung." Und ihre Mutter schrieb über Monika an ihren Sohn Klaus: „Ich bin fest entschlossen, in meinem Leben kein unfreundliches Wort mehr über sie zu sagen, und mich nett und hilfreich zu verhalten. Doch es fällt mir schwer.“ Thomas Mann bekannte in seinen Tagebuchaufzeichnungen freimütig, dass er „von den Sechsen drei, die beiden Ältesten (Klaus und Erika) und Elisabethchen, mit seltsamer Entschiedenheit bevorzuge.“ Dieser Einsicht folgte aber keinerlei Korrektur im Verhalten der Eltern der Tochter gegenüber. 1942 ging Monika nach New York, zur von ihr so bezeichneten ‚stählernen, abstrakten Mutter’. Die anonyme Großstadt ‚ohne Erinnerung’ bekam ihr zunächst besser als das Asyl bei den Eltern. In New York entdeckte auch Monika Mann das Schreiben und verfasste Essays und Feuilleton-Geschichten, sehr zum Verdruss der Familie, die ihr zum einen, ein Talent zum Schreiben absprach und zum anderen es ihr verbieten wollte. Anfang der 50er Jahre verlässt sie die USA und findet in Italien ihr Glück. Sie verliebt sich in einen Fischer und lebt über 30 Jahre mit ihm auf Capri. Der Capreser Arzt Giuseppe Spirito sagte über sie: "Sie war sehr verschlossen … Ihre Bindung an die Welt war Antonio. Dabei konnte es ja gar nicht zwei unterschiedlichere Menschen geben … Also, ich will nicht sagen, für Monika sei Antonio der 'edle Wilde' gewesen, im Sinne Rousseaus, aber vielleicht doch irgendetwas in dieser Art." Auf Capri, beim einfachen Fischer Spadaro, scheint sie die menschliche Wärme gefunden zu haben, die ihr im amerikanischen Exil und in der Familie fehlte. Sie selbst schrieb über diese Zeit: "Ich hatte die Intellektuellen ungeheuer satt. Und dann sah er unverschämt gut aus … und ich verliebte mich in den Gedanken, endlich irgendwo zu bleiben," dort lebte sie ein glückliches und ausgefülltes Leben mit Antonio Spadaro, aber doch sehr zurückgezogen, was ihr auch behagte. Die Familie, die Monika nie recht ernst nahm, spottete aus der Schweiz über ihr Leben mit dem ‚alten Fischer’. Doch sie hatte sich inzwischen vom ‚Sog des Familienschattens’, wie es ihr Neffe Frido Mann es ausdrückte, befreit. 1956, ein Jahr nach dem Tod Thomas Manns und gleichzeitig mit Erikas Bericht über das letzte Jahr des Vaters, veröffentlichte sie ihr Buch ‚Vergangenes und Gegenwärtiges. Erinnerungen’. Ein hoch gelobtes Buch, das auch sehr erfolgreich wurde. Ihre ungeschönte Version der Manns passte allerdings nicht ins ‚offizielle’ Familienbild, denn Katia Mann schimpfte über die „halb begabten“ und „geschmacksunsicheren Produkte … dieser dummen Person“, die, im Fall der ‚Erinnerungen’ ausschließlich "ihrer Phantasie" entsprungen seien. Erika sprach ihrer Schwester sogar generell das Recht ab, persönliche Erinnerungen an den Vater zu verbreiten. Zu groß sei deren Entfernung von der Familie gewesen. Erika wollte sich ein ‚Alleinvertretungsrecht’ zur Familienlegende sichern, doch Monika nahm nie Abstand von ihren ‚Erinnerungen’. Sie publizierte weiter, meistens in der Schweiz und in Italien, tja, und das auch recht erfolgreich. Aus ihrem Insel-Paradies wurde sie jedoch jäh vertrieben, als 1985 Antonio Spadaro starb. Monika Mann musste die Villa Monacone innerhalb eines halben Jahres verlassen, die beiden waren nie verheiratet, einen Rechtsanspruch besaß Monika Mann somit nicht, obwohl sie für die Kosten und die Ausstattung aufgekommen war. 1986 zog sie ins elterliche Haus nach Kilchberg in der Schweiz, wo Golo Mann wohnte. Doch es wurde ein kurzes Intermezzo, die Geschwister kamen nicht miteinander aus. Monika Mann verließ Kilchberg und fand Zuflucht bei der Familie von Golos Adoptivsohn Hans Beck-Mann in Leverkusen, dort verstarb sie still und leise am 17. März 1992. Monika Mann wurde im Familiengrab in Kilchberg beigesetzt. Ihre Werke blieben in Deutschland oftmals unbekannt, leider, denn sie verdienen es gelesen zu werden.
Weiterlesen:
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➼ Rose Ausländer • Ein Leben in Versen nachzuvollziehen
➼ Mascha Kaléko • Ich habe Heimweh, nur wonach?
Bild 1: Monika Mann, Kinderbild · Bild 2: Biographie der Monika Mann · Bild 3: Buchtitel der Monika Mann · Bild 4: Minika Mann + ihr Fischer – Quelle: alle www.br.de