Ich stöber gerne in diversen Zeitschriften und dem weltweit umspannenden Internet nach interessanten Artikeln. Und genau dort habe ich vor kurzem im sozialem Netzwerk Facebook einen zum Nachdenken animierenden Post gefunden. Nachdem Marius R. in drei Tagen an die 500 Kilometer heruntergerissen hat kam bei ihm die Frage auf:
„Und jetzt“?
Die Frage wurde direkt selber beantwortet:
„Jetzt bin ich ein vollwertiges Mitglied der Leistungsgesellschaft, …, wo alles Zahlenreihen untergeordnet wird.“
Weiter heißt es:
„Gemessen und vermessen, damit dem Profit und der Maximierung vielleicht doch noch eine quantifizierende Steigerung abgerungen werden kann.“
„Kalte Statistiken und Analysen, wo nichts von Gefühlen, von Glück und Liebe drin steht.“
„Unkreative Bilder von Kilometern, Kalorien, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Höhenmetern.“
Mit klaren Worten ausgedrückt. Muss man so sagen. Doch was steckt dahinter? In der heutigen Gesellschaft herrscht ein permanenter Druck auf den Menschen. Immer und überall muss man sich selber und vor allem meistens anderen immer etwas beweisen. Ob beruflich oder privat, das spielt keine Rolle. Man muss immer besser sein als der andere. Größer, schneller, besser, mehr…so lautet die Devise heute. Alles wird hektischer, der Blick auf die Uhr lässt so manchen Puls hochgehen. Und viele kleine Dinge im Alltag bemerkt man schon gar nicht mehr, die aber den Menschen selber kontrollieren. Willkommen in der modernen Zeit.
Und dann hat der Mensch ja noch seine Freizeit. Auch hier wird permanent versucht alles unter einem Hut zu bekommen. Sei es Familie, Freunde, der Verein, was auch immer. Nach der Arbeit und am Wochenende kann es somit also auch das ein oder andere Mal hektisch zugehen. Wohl gemerkt: der Tag hat nur 24 Stunden! Zur Belohnung all dessen gibt man sich zum Ausgleich dem Lieblingssport hin. In diesem Fall sagen wir mal rein zufällig dem Radfahren.
Hier geht es dann direkt ins Hamsterlaufrad. Vielleicht und auch wahrscheinlich nicht jeder besitzt und benutzt einen Radcomputer, aber die meisten schon. Würde ich mal behaupten. Der klassische Radcomputer mit den Mindestanforderungen an Hauptfunktionen wie Stundenkilometer, Tages-Kilometer und Gesamtstrecke. Jeder Radfahrer weiß nach der Tour gerne wieviel Kilometer er denn gestrampelt hat. Beim Gespräch am Montag mit den Kollegen kann man so mehr oder weniger einen „raushauen“ wie man so schön sagt. Beim Kaffee mit Kollegen, die ihn entweder bewundern oder bemitleiden. Aber das ist ein anderes Thema.
Doch es gibt da auch die Sportler unter den Freizeitsportlern, die jeden Zentimeter, jeden Höhenmeter und jeden Stundenkilometer verbissen auf die Waage legen. Ganz zu schweigen von jeden Gramm zu viel das es gilt auf und am Rad zu vermeiden. Jeder gefahrene Kilometer wird so zum Wettkampf mit sich selbst oder den mitfahrenden Freunden. Die obligatorische Analyse per Datentool ist ein absolutes „MUSS“ um bei der nächsten Runde gewappnet zu sein. Besser zu sein als beim letzten Mal. Besser zu sein wie der „Konkurrent.“ Optimierung hält auch hier immer mehr Einzug um Rekorde zu brechen und persönliche Siege einzufahren. Natürlich gilt es im Wettkampf, im richtigen Wettbewerb und Rennen das Beste aus sich heraus zu holen. Das liegt in der Sache der Natur. Aber was bringt – auch dem Normalo-Radfahrer – der ganze Aufwand um Ziffern und immer verbesserten Zahlen? Was hat man davon? Kurzfristige innerliche Befriedigung?
„Erlebnisse, die Tatsache, das ich mich wohl und gesund fühle, das ich mich über die bunt blühende Natur oder ein gesichtetes Rehlein freue, verschwindet in unserem ruhelosen Maximierungsbestreben oft in einem Wust von Zahlenkolonnen.“
Genau darum geht es. Man muss also selbstverständlich unterscheiden zwischen Wettkampf-Sportler und dem „Otto-Normal-Radler.“ Nur das die Auswertung mit all seinen Facetten auch schon hier auf den Vormarsch ist. Ist es nicht vielleicht auch das Interesse an der eigenen Fitness, der eigenen Belastbarkeit, den eigenen Möglichkeiten, das die Menschen in den Zahlendschungel treibt? Um so ein Bewusstsein für den eigenen Körper zu bekommen? Radfahren ist da zweifelsohne prädestiniert für. Doch kann das nicht auch zwanghaft werden wenn man sich nur hinter Zahlen verschanzt? Ist es also gut für den Menschen oder eher von Nachteil sich immer mehr dem Streben nach Höher, Schneller und Weiter zu verschreiben?
Letztendlich muss das, so salopp es auch klingt, jeder für sich selbst beantworten. Ich versuche das einmal aus meiner Sicht zu beschreiben. Wie sieht also bikingtom die ganze Sache? Hier mein Erklärungsversuch.
Ich bin von Klein auf immer dem Sport verbunden gewesen. Fußball hat mich groß gemacht, Radfahren hält mich fit für den Rest meines Lebens! Ergebnisse waren also von Anfang an ein ständiger Begleiter. Jedes Wochenende. In der Meisterschaft, bei Turnieren und sonstigen Veranstaltungen. Bis das Radfahren kam. Und dann? Einen Radcomputer wollte ich von Beginn an. Einfach um zu sehen: was bin ich heute gefahren, wieviel bin ich insgesamt geradelt? Einfach nur diese Infos reichten mir. Nur um einen kleinen Überblick zu haben. Nicht mehr, nicht weniger. Schließlich wollte ich einfach nur Radfahren. Kein Wettkampf, einfach die Gegend erkunden. Das war’s. Je mehr ich fuhr, desto mehr Infos kamen dann zum Vorschein, die mich interessierten. Die aufkommenden Möglichkeiten dann damals Touren auch mit dem Smartphone per GPS aufzuzeichnen fingen mich an zu faszinieren. Plötzlich gab es Apps die sämtliche Daten einer Radtour plötzlich mitlesen konnten. Die Daten konnte man auf Tourenportalen auslesen. Höhenmeter, Kalorienverbrauch, Trittfrequenz und Puls waren auf einmal allgegenwärtig. Heute nicht mehr wegzudenken.
Doch ich sah das alles zwar als höchst interessant an, doch ich habe heute für mich den goldenen Mittelweg aus dem Datenwust gefunden. Ich kann damit umgehen. Als Beispiel dienen meine Wege als Pendler. Zunächst waren die Daten wichtig um herauszufinden wie lange ich bis zur Arbeitsstelle im Durchschnitt brauche, jetzt sind die gefahrenen Zeiten eher zweitrangig geworden. Denn die Zeiten sind sich in all den Jahren so ähnlich geworden das ich schon nach den Zahlen hinter den dem Komma gucken müsste. Das ist mir zu müßig.
Absolut toll finde ich aber für meine Touren die Aufzeichnung um nachvollziehen zu können woher ich genau gefahren bin. So kann ich mir die Radtouren auf google earth anschauen und sehe so die Route noch einmal vor dem inneren Auge. Eine tolle Möglichkeit um in Erinnerungen zu schwelgen. Sich an die schönen Orte zu erinnern an denen man vorbeigefahren ist oder auch einen Halt eingelegt hat. Kein Zahlensalat in dem Moment, sondern sich zurückgesetzt fühlen. Gedanklich Gerüche wahrnehmen von frisch geschnittenem Gras, vom Regenschauer, der klare, feuchte Luft brachte.
Selbstverständlich habe ich auch noch immer sportliche Anreize und dazu bevorzuge ich auch Zahlen. So möchte ich immer in einem Monat mehr Kilometer fahren als in dem gleichen Monat des letzten Jahres. Vielleicht meine größtes „Laster“ in diesem Zusammenhang. Darauf achte ich recht gewissenhaft. Gefahrene Höhenmeter dagegen erachte ich zwar auch als wichtig, bin da aber nicht so verbissen als das es ein „Muss“ für eine bestimmte Anzahl sein müsste. Sehr interessant finde ich die Werte meiner Durchschnittsgeschwindigkeit. Sie lässt Rückschlüsse auf meine Fitness zu. Zum Anfang eines Jahres ist sie zum Beispiel drei bis vier Stundenkilometer unter dem Level wie in den Sommermonaten. Dabei fahre ich im Winter ja auch sehr viel mit dem Rad.
Jedenfalls habe ich Touren, die fahre ich unter rein sportlichen Gesichtspunkten. Da peile ich schon mal den persönlichen Rekord für die längste Strecke an einem Tag, für den schnellsten Kilometer „ever“ an. Oder versuche die Bestzeit meiner Haus- und Hof-Runde zu toppen und gebe dabei Vollgas. Genauso möchte ich manchmal den Berg vor der Haustür schneller bezwingen als beim letzten Mal. Und da genau liegt der Unterschied zwischen fast schon krankhaften Zwang alles an Zahlenwerten zu toppen was geht und einfachem Radfahren. MANCHMAL gehe ich sportlich ans Eingemachte, um mich auszupowern weil ich gerade Bock drauf habe. Und manchmal, eher meistens, radel ich einfach damit ich in der Natur abschalten, von der Landschaft etwas sehen kann und viele Dinge erlebe, sehe und fühle, die ich z.B. mit dem Auto niemals so intensiv wahrnehmen könnte. Ein gesunder Mix aus sportlicher Herausforderung und entspannendem Entdeckertums der Landschaft und der Region beim Radfahren.
„Natürlich macht Leistung Spaß, auch stolz und zufrieden. 190 Kilometer an einem Tag ist schon cool für mich, aber wir sollten aufpassen, das wir uns nicht zu sehr einer Diktatur der Zahlen ausliefern.“ Marius R.
Manchmal wünschte auch ich mir das Radfahren einfach nur puristisch wäre, man sich einfach auf den Sattel schwingt und losfährt. Sonst nichts. Heute muss erst das Smartphone mit der Aufnahme gestartet und das Navi bequemt werden. Ich glaube, das man sich immer vor Augen halten sollte das Zahlen und Statistiken nicht alles sind. Sie können zwar ein netter Begleiter sein, dürfen aber nicht zur Obsession werden. Es gibt wichtigeres im Leben als irgendwelchen Rekorden hinterher zu fahren, von denen die wenigsten wissen das sie überhaupt existieren.
Subscribe in a reader