In den vergangen Wochen bin ich nicht so recht dazu gekommen, mich um meinen Blog zu kümmern – meine Firma wird derzeit umstrukturiert und ich muss an der Arbeitsfront jetzt sehen, wo ich bleibe. So ist das in der modernen Arbeitswelt – wenn man sich nicht ständig um alles kümmert, geht die Zeit an einem vorbei und irgendwann ist man einfach draußen. Vor allem in einem in die Jahre gekommenen Start-Up-Unternehmen, das anfangs nur vom Internet-Boom und dem Gründergeist der Gründer getrieben, dann aber langsam und stabil gewachsen und nun ein richtiger Betrieb geworden ist, mit verschiedenen Abteilungen und so weiter, aber noch immer sehr flachen Hierarchien, wie das so schön genannt wird: Bestimmen tun ausschließlich die beiden Chefs, denen der Laden gehört.
Aber immerhin herrscht bei uns eine Art aufgeklärter Stalinismus: Wenn man eine Entscheidung total blöd findet, kann man den einen oder anderen Chef beiseite nehmen und das wohlformuliert und mit guten Argumenten unterfüttert zum Ausdruck bringen. Und wenn es gut läuft, wird man nicht gefeuert oder in den Gulag geschickt, sondern der Chef denkt noch mal drüber nach, während einem die Kollegen erleichtert auf die Schulter klopfen. Gut, dass wenigstens einer was gesagt hat! Aber man muss schon länger dabei sein, um sich das zu trauen. Ein langjährige Betriebszugehörigkeit mit festem Arbeitsvertrag ist schon Voraussetzung. Wer neu ist und noch auf die Festanstellung hofft, hält natürlich die Klappe.
Nun will der eine Chef aussteigen und es geschieht Revolutionäres: Es wird eine neue Führungsebene eingezogen! Praktisch war es natürlich längst so, dass es in jedem Bereich, den es in der Firma gibt, einen oder zwei gab, die schon länger dabei sind und wissen, wie der Laden läuft. An die wenden sich die anderen dann, wenn es Fragen oder Probleme gibt. Aber das war alles sehr informell. Nun wird es ganz offiziell so etwas wie eine zweite Führungsebene mit Teamleitern geben – nein, ein cooles Start-Up-Unternehmen sind wir wirklich nicht mehr. Wir haben auch weder einen Kicker noch einen Flipper oder gar eine Tischtennis-Platte im Pausenraum stehen, wie sich das für ein echtes Start-Up gehört. Immerhin haben wir eine Espresso-Maschine, die Milch schäumen kann und einen Konferenzraum, in dem ein riesiger Flachbildfernseher hängt – der aber so gut wie nie benutzt wird. Wer will schon zum Fernsehen in der Firma bleiben?!
Und natürlich haben wir noch immer Start-Up-Gehälter, also die andere Variante, nicht Mark Zuckerberg und seine Milliarden, sondern wir-beißen-die-Zähne-zusammen-und-überleben-irgendwie. Bei uns braucht keiner auch nur von einem Tarif-Lohn zu träumen, davon sind wir weit entfernt. Es ist zwar nicht ganz so hungerleidermäßig, wie ich schon von anderen Firmen in dem Bereich gehört habe, aber halt nicht toll – insbesondere weil die automatischen Zulagen und Erhöhungen eines Tarifvertrags einfach nicht statt finden. Es ist eher so herum, dass die, die schon richtig lange dabei sind, etwas mehr verdienen, weil die Einstiegsgehälter immer weiter herunter geschraubt werden. Und nicht weil sie nach langen Jahren treuer Dienste wenigstens einen längst überfälligen Inflationsausgleich bekommen würden. Vor vielen Jahren war es für mich natürlich super, nach Studium und Kinderpause überhaupt einen richtigen Arbeitsvertrag mit einem annehmbaren Gehalt in Mark zu bekommen. Damit konnte ich gut leben. Inzwischen ist das Gehalt nur noch halb so viel wert und macht entsprechend weniger Spaß, weil gleichzeitig die Lebenshaltungskosten durch die Decke gehen. Aber wem sag ich das, damit müssen ja die allermeisten Menschen klar kommen.
Als Firmenfossil, das fast von Anfang an dabei war, bin ich für einen der neuen Leitungsposten prädestiniert und nutzte diesen Umstand für entsprechende Verhandlungen – und ich muss sagen, mein verbleibender Chef ist ein origineller Typ. Der fand total gut, dass ich Führungskraft werden will – nur mehr Geld verlangen könne ich deshalb nicht. Ich bekäme doch schon mehr und interessantere Aufgaben, da sei es doch ziemlich schnöde, aus dieser tollen Chance auch noch einen materiellen Vorteil ziehen zu wollen. Zumal die Firma sich höhere Kosten gar nicht leisten könne, Marktkonsolidierung, Krise, allgemeine Unsicherheit, schlechtes Wetter, blablabla.
Hm. Das stellte ich mir doch ein bisschen anders vor. Aber wer am längeren Hebel sitzt ist natürlich klar. Solange ich keinen besser dotierten Arbeitsvertrag in der Tasche habe, sind meine Druckmittel extrem begrenzt – und leider bin ich auch keine begehrte IT-Fachkraft, sondern nur eine von zu vielen Geisteswissenschaftlerinnen, die sich zufällig in eine eher technische Richtung verirrt hat. Wobei sich auch unsere IT-Leute nicht tot verdienen – nur ist da es deutlich schwieriger, zu den gebotenen Konditionen brauchbare Leute zu bekommen. Derzeit finden wir nicht mal einen Azubi, der tatsächlich jeden Morgen zuverlässig kommt.
Inzwischen kann ich berichten, dass ich nach vielen schlaflosen Nächten, in denen ich an meiner Argumentation gefeilt habe, und nervenzerfetzenden Verhandlungen zumindest einen kleinen Zuschlag heraus geholt habe. Und einen schicken Titel für den Lebenslauf. Besser als nichts. Aber mehr eben auch nicht.