Mobil ohne Mobiltelefon – oder: A Fool with a Tool is still a Fool

Von Qohelet17

Teil 1: Mario hasst die Moderne und will zurück ins Jahr 1868

Am Mittwoch nahm ich in Wien gerade ein indisches Mittagsmahl zu mir, als mein Mobiltelefon langsam aber sicher die Bedienung erschwerte. Anfangs tat ich es als einen zu schwachen Tastendruck meinerseits ab, aber mit zunehmender Nutzung stellte sich das Unleugenbare ein:

Die Kontrolltasten zur Steuerung des Menüs fielen aus.

Lange hat’s gehalten und um die halbe Welt habe ich es mitgenommen…

Am Anfang teilweise, am Ende gänzlich und schließlich war es offiziell: Fünf Jahre hatte mir mein Werkzeug gedient und jetzt sollte mein Sklave wie es das biblische Recht erforderte in die Freiheit entlassen werden (Zugegeben: So ganz an die abgemachte Zeit wollte sich die Gerätschaft nicht halten, aber Reisende wollen bekanntlich ungern aufgehalten werden…).

Nun ja, ich bin… war glücklicher Besitzer eines Sony Ericsson K715. Mein vorheriges Gerät, das K770i Cybershot gefiel mir ob des Autofokus bei der Kamera etwas besser, da dies CR-Codes schneller entschlüsseln konnte, aber mit etwas Übung habe ich es auch mit dem K715, das sich in die „Walkman“-Kategoie eingeordnet hat zusammengebracht.

Das K715 wird womöglich kaum jemandem etwas sagen: Der Bildschirm ist zwar auch für heutige Verhältnisse ganz ordentlich, aber es hat keinen Touchscreen, eine miese Kamera und der Prozessor ist wirklich schwach. 2009 hatte ich mir zuerst ein Sony Ericsson Xperia X1 gegönnt. Damit war ich am Puls der Zeit, dachte ich. Ein Gerät für Geschäftsleute mit aufklappbarer Tastatur, wie von mir gewünscht hatte sowohl mit tippstift- und fingersensitiver Touchscreenerkennung und einigen recht interessanten Anwendungen.

Nun ja, ausgehalten habe ich es damit vielleicht zwei Tage. Mit der klassischen Telefontastatur und T9 war ich WESENTLICH schneller, als mit der Tastatur und wäre im Vergleich zum Touchscreen wäre ich vielleicht sogar wegen Geschwindigkeitsübertretung aufgehalten worden.

Zudem konnte ich mit meinem vorigen Gerät 90% der Wörter schreiben, ohne hinzuschauen. Und das Neue war langsam… Einfach nur langsam.

Nach kurzem Protest beim Verkäufer nahm der es zurück und gab mir auf Wunsch mein K715.

Das Schreiben gestaltete sich wieder als angenehm. Trotz Nicht-Smartphone konnte ich Facebook und Gmail abrufen und während ich auf das Essen wartete meine Lieblingstageszeitung online lesen.

Von allen „Apps“ die existieren gab es nicht eine Einzige, die ich mir zugelegt hätte. Wenn ich spielen wollte, dann habe ich mir über einen Game Boy-Emulator auf Java-Basis einige alte RPGs gegeben. GPS hatte es integriert und Google zeigte sich so kooperativ, Maps auch auf Java-Basis zu veröffentlichen und ließ mich meine Wege auch über ein „veraltetes“ Mobilgerät abgehen.

Am Mittwoch habe ich mir gesagt, dass ich nicht ewig in der Vergangenheit leben könne und legte mir mit dem Nokia N900 ein Gerät für den EDV-Ingenieur in mir zu. Das N900 zeigte sich durch ein Linux-Derivat aus und hatte eine ausklappbare Tastatur sowie zahlreiche andere Spielereien.

Nun ja… Ich habe es nach ein paar Minuten gehasst. Der Bildschirmausschnitt vergrößerte nicht, wie ich es wollte, sondern verschob das Fenster nur seltsam, zum am-Bildschirm-Tippen habe ich zu große Finger (Die Genetik, vermute ich… ab der Generation meiner Großeltern fängt das harte Leben in den Bergen Österreichs an, also Holzhacke statt Touchscreen).

Damit war ein Punkt erreicht, den ich so an diesen Touchscreens hasse… Wieder eine Geschwindigkeitseinbuße. Aber damit muss der technologische Fortschritt eben leben.

Am Abend habe ich meine E-Mails abgerufen und die Neuigkeiten auf Facebook gelesen. Die standardmäßige Anzeige war schon sehr klein. Dadurch, dass ich jetzt einen „richtigen“ Webbrowser hatte, wurde auch JavaScript und Flash geladen. Selbst für meinen 2GHz-Laptop hin und wieder eine Prüfung… Mein Mobilgerät war damit heillos überfordert und renderte vor sich dahin, regelmäßig hätte ich nebenbei ein Buch lesen können. Die Technologie hat also die Technologie besiegt. Fantastisch.

Tags darauf bekam ich einmal einen Anruf. Bis dato habe ich meine Anrufe rein intuitiv mittels Tastendruck durch eine strahlenundurchlässige Tasche angenommen. Jetzt gab es keinen Annahme-Knopf mehr, ich musste über den Bildschirm bestätigen. Also, Telefon aus der Tasche nehmen, Anruf annehmen und Telefon retour. Mühselig.

Ich hätte dann gerne das Programm „Scotty Mobile“ heruntergeladen. Damit kann ich als leidenschaftlicher Zugfahrer immer die gewünschten Verbindungen abrufen. Für mein System war es nicht verfügbar und die Benutzung der Weboberfläche der Österreichischen Bundesbahnen über ein Mobilgerät ist eine Philosophie für sich… Vor Allem, wenn die Seite das Gerät ob des modernen Browsers als PC-Version darstellt.

Jetzt war der Punkt erreicht. Ich hatte keine Lust mehr. Eine Stunde später hatte ich mein Geld retour und wollte ein anderes Gerät haben.

Der Israeli im Handyladen hielt ein… ich denke, es war ein HTC hoch und legte es mir ans Herz.

„Nein“ meinte ich… „Damit ärgere ich mich nur wieder“. „Alter, das hat eine HD-Kamera!“ rief mir zu. „Mein Freund…“ entgegnete ich ruhig und zog meine Nikon-Spiegelreflexkamera aus der Tasche (Diese Bewegung dauert etwa 2,5 Sekunden, inklusive Einschalten) „DAS ist eine HD-Kamera“.

Damit war die Diskussion beendet und ich verließ mangels mit mir kompatiblem Ersatzgerät das Geschäft unerreichbar.

Teil 2: Mario ist im Jahr 1868 angekommen – und ärgert sich über die Menschen damals

Allerdings war ich recht gespannt auf das sich zwangsläufig ergebende Experiment: Ich, Mario J. Schwaiger werde im Jahre 2013 eine gewisse Zeit unerreichbar sein.

Alles, was man von einer Firma wissen muss

Aber nicht im Alltag, sondern in einer recht interessanten Phase des Lebens – Tags darauf hatte ich einen Zug von Wien nach Linz zu erwischen, am frühen Nachmittage sollte ich dort ein Verkaufsgespräch mit einem für mich sehr interessanten Unternehmen haben.

Gleich darauf würde ich weiter nach Salzburg fahren, wo ich mich mit einer Freundin treffen wollte, von der ich jedoch keine Nummer (mehr) hatte. Ebenso benötigte ich die Zeiten der darauffolgenden Zugverbindung von Linz nach Salzburg und von Salzburg nach Lienz.

Hiermit war klar, dass dieses Unterfangen ohne moderne Kommunikation faktisch nicht durchführbar war. Ggf. hätte ich bei den ÖBB anrufen und nach den passenden Verbindungen fragen können, aber spätestens bei der Fußmarschroute zu den neuen linzer Kollegen würde alles schwierig werden. Also habe ich mich am Abend in ein Café gesetzt und bin online alles durchgegangen. Diesmal war ich bei der Suche etwas erfolgreicher als beim letzten Mal. 3 Lokale hatten kein WLAN oder wussten nicht, was das war, aber beim 4., dem Café Griensteidl wurde ich fündig. Noch vor zwei Jahren meinte ein Kaffeehausbetreiber im 2. Bezirk zu mir, seine Gäste würden kein WLAN wünschen, worauf ich entgegenfetzte, dass er mich dann aus dem Kreis seiner Kunden wohl besser ausschließen solle.

Über die Bahn-Webseite fand ich passende Verbindungen nach Linz und habe diese schriftlich festgehalten. Über Google Maps war der Weg (zu Fuß zurücklegbar) auszumachen und über Facebook erbat ich die Nummer von Karo in Salzburg, damit ich sie von einer Telefonzelle aus anrufen konnte.

“Karte” von Linz… oder von dem Teil Linz’ der mich interessiert…

Die Karte vom Bahnhof zur Firma hatte ich auf ein Blatt Papier gezeichnet und war gerüstet.

Der kommende Tag begann aufgrund Mobilfunkfreiheit ohne Wecker – natürlich war ich zeitig genug schlafen gegangen um etwa gegen 9 aufzuwachen und zu duschen. Jetzt stand ich allerdings vor neuerlichem, aber eher marginalen Konflikt: Fährt vom Karlsplatz die U1 oder die U4 zum Westbahnhof?

Meiner Meinung nach war es die U4, jedoch erwies sich diese als unrichtig und ich musste etwas in Eile zur U1. Allerdings wäre ich, wie ich an einem im Inneren der U-Bahn befestigten Netzplan ersehen konnte mit einer Verbindungskombination U4, U6 schneller gewesen… Aber nur ein wenig.

Man sieht schon: Salzburg ist etwas chaotischer als Linz

Am Bahnhof war ich so spät, dass ich kaum noch Zeit hatte, ein Ticket zu kaufen, jedoch genau richtig, um mit einem Zug der Westbahn zu fahren. Diese bieten im Gegensatz zu den Railjet-Zügen der ÖBB zwei grundlegende Vorteile: Ticketkauf im Zug ohne Strafzahlung und funktionierendes kabelloses Internet, wodurch ich mit Karo kommunizieren konnte und wir grob eine Zeit ausmachten.

Das Gespräch in Linz dauerte etwas länger als erwartet, aber ich war zeitig genug, um genau auf einen Zug der Westbahn zu gelangen und hatte wieder Internet und konnte auch dieses Mal mein Billett erst während der Fahrt erstehen. Dieses Mal fand ich eine Telefonnumer und ein Lokal vor, dessen Route ich wieder auf einen Zettel zeichnete.

Die Zeit war hier deswegen so wichtig, da ich einen kleinen Spagat machen sollte: Sie hatte bis 16:45 Uni und ich kam um 16:12 an und musste noch den Weg bis zur verabredeten Pizzaria gehen. Da ich durch meine frühere Ankunft schneller war, versteht sich von selbst – doch auch sie fand ihren Weg.

Frühstück, Mittag- und Abendessen in Salzburg – noch dazu in sehr angenehmer Gesellschaft

Den letzten Zug nach Lienz würde ich ohnehin nicht schaffen, weswegen ich nur nach Spittal fahren und mich dort von meinem Vater abohlen lassen wollte. Karo kannte die Strecke besser und empfahl mir, nur nach Mallnitz zu gondeln, da dies etwas billiger und obendrein von Lienz aus näher sei. Meinen Vater konnte ich mit ihrem Mobiltelefon erreichen und ihm Zeit und Ort bekannt geben.

Teil 3: Als Ewiggestriger in der heutigen Welt von morgen?

Die heutige Welt ohne Facebook? Geht das? Und wie lange würde es dauern, bis jemand Facebook neu erfindet?

Schon lange denke ich mir, ob und wie es möglich ist, als mehr oder weniger normaler Mensch in unserer modernen Welt abgekoppelt von E-Mail, Mobiltelefon, Facebook und Online-Kartenmaterial zu leben.

Inzwischen können sich kurzfristig so schnell Möglichkeiten und Entscheidungen ergeben, dass mit altbewährten Methoden, wie Festnetztelefon und Briefverkehr kaum noch mitgehalten werden kann.

Wie könnte man mit solchen Mitteln nur 12 Stunden zuvor einen ganzen Tag planen, an dem man drei Termine hat und in vier Städten unterwegs ist. Noch dazu, wenn bestimmte Variablen nur schwer zu steuern sind: Wie lange schlafe ich ohne Wecker? Wie lange dauert das Gespräch? Wie lange dauert das gemeinsame Abendessen? Wo und wann kommt mein Zug an?

Der Vorteil der modernen Kommunikation liegt darin, dass man vor allem Wartezeiten vermeiden kann. Wenn ich den Zeitplan so ansetze, dass ich überall 1-3 Stunden zu früh oder zu spät ankomme, kann ich meinem Partner der Wahl sagen, in dieser Zeit bereit zu sein.

„Zeit ist Geld“ ist heute treffender als jemals zuvor und durch die Möglichkeit dieser schnellen Kommunikation ist es unglücklicherweise auch möglich, Termine, denen man vor Jahren nicht ausweichen konnte ohne Vertrauensverlust zu erleiden, da der Counterpart eine Reise machen musste und ab einem Zeitpunkt nicht mehr erreichbar war einfach abzusagen.

Ein Freund von mir erzählte mir einst, dass in Indien früher sehr viele kleinere Reisen in Nachbardörfer unternommen werden mussten. Sei es, wegen Reparaturen, wegen Anschaffungen oder wegen sonstwas. Deswegen hatte man mit seinem Geschäftspartner eine Zeit ausgemacht, wann das Gut abzuholen sei. Konnte oder wollte man nicht liefern oder handeln, so musste auf eigene Kosten und Strapazen weggefahren und unter Schande abgesagt werden. Lieber etwas mehr arbeiten, dann kommt der Kunde auch wieder. Heute kommt als SMS bequem eine Nachricht dass es eben nicht geht. Das sei inzwischen fast der Primärnutzen eines mobilen Kommunikationsmittels.

2011, als ich von Budapest nach Oświecim gezogen bin war ich schon einmal in einer ähnlichen Situation, die mir umso mehr gezeigt hatte, dass in Ausnahmesituationen Verlässlichkeit extrem wichtig wird.

Ein paar Tage vor der Reise hatte ich meine künftige Kollegin Luisa via Skype angerufen und ihr gesagt, wann ich ankommen werde – die exakte Zeit am Bahnhof ihres Einsatzortes. Keiner hatte vom Anderen eine Telefonnummer oder Ähnliches. Mein Zug war pünktlich und auch meine neue Lieblingskollegin war zur verabredeten Zeit am Bahnhof und schon bei der ersten Begegnung gezeigt, warum sie wahrscheinlich meine „ewige Lieblingskollegin“ sein würde. Es hatte alles gepasst. (Die Geschichte gibt es übrigens hier: http://myaliyah.wordpress.com/2011/02/03/ein-neues-leben-in-einer-neuen-welt/ )

Als ich am Ende meines Dienstes abgelöst werden sollte zeigte sich mein Nachfolger Lukas nicht ganz so freundlich. Er hatte das Datum verwechselt und ich bin umsonst um 4 Uhr morgens aufgestanden…

Ich möchte nicht sagen, dass es heute nicht mehr ohne moderne Kommunikationsmittel geht. Es geht schon noch irgendwie, jedoch benötigt man dafür verlässliche Partner und muss jedes Ereignis genauestens planen. Hin und wieder sind dann auch Wartezeiten hinzunehmen.

Allerdings zwingt uns weniger die Moderne selbst zu so einer Lebensweise, sondern schlichtweg das Faktum, dass jeder so lebt. Eigentlich dachte ich, dass so ein Tag ohne Telefon stressfrei wird. Nein, im Gegenteil. Alles wurde schwieriger, da ich mit mehr Variablen hantieren musste.

Wenn hingegen alle Mobilgeräte und alle Computer von einen Tag auf den anderen ausfallen würden, dann könnte der Durchschnittsbürger von tatsächlicher Entspannung sprechen würde ich meinen. Man wäre nicht mehr in diesem Ausmaß zur Steigerung der Effizienz genötigt, sondern würde wieder, eher mittel- bis langfristig Uhrzeiten und Daten ausmachen, die leicht einzuhalten sind. Man müsste sich besser auf Strecken und Fahrpläne vorbereiten und ggf. für maches lieber zu viel verplanen, damit man nur selbst warten muss und dies nicht dem Gegenüber zumutet.

Jedoch… spreche ich eher für Leute, die wie ich jeden Tag ein neues Abenteuer erleben und manchmal nicht einmal wissen, wo sie in einer Stunde sein werden, geschweige denn in ein paar Wochen. Mir haben die Mittel und Wege der neuen Zeit somit sehr viel vereinfacht. Wer jedoch daheim bleibt kann mit seinem Smartphone immer noch Angry Birds spielen oder mit Klassenkameraden chatten, die ein paar Kilometer wegwohnen…


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