MM: Huch, ein E-Buch – Zeit wird’s, oder?

Von Yodahome

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Was? Is’ schon 2012? Das 21. Jahrhundert? Shit!

Mir scheint, dass jeder “der Zukunft zugewandt” ist, solange sie noch weit entfernt ist. Wenn die Zukunft plötzlich zur Gegenwart zu werden droht, dann wird’s spannend.
Dieser Beitrag am Meinungsmontag dreht sich um das E-Buch. Ich bin seit Weihnachten Besitzer von Amazons Lesegerät “Kindle”. Zuvor hatten einige Verwandte inklusive meiner Eltern sich mit dieser Sorte Gerät (Kindle, iPad, Motorola Xoom) versorgt, was für mich immer ein untrügliches Zeichen ist, dass es Zeit wird, sich mit einem Trend zu beschäftigen.

Ich werd’ jetzt zwangläufig (schon wieder) auch die Medienkonzerne schelten. Die meisten verstehen es (immer noch) nicht. Mir ist klar, dass es schmerzt etablierte Strukturen schwinden zu sehen und sich mit neuen anzufreunden. Immerhin, dass ist im Grunde ein Teil der Prozesse, die wir als Bildung bezeichnen. Dass das Medium Buch (und seine Produzenten), als Inbegriff eines überholten, ja geradezu vormodernen bürgerlichen Bildungsbegriffs, Probleme hat, sich in die Zukunft transferieren zu lassen, ist insofern schon eine beachtenswerte Ironie. Aber das Buch bringt, im Gegensatz zu anderen Medienformen, auch eine lange Kultur mit sich, die sich über hunderte von Jahren entwickelt hat. Eine Kultur, die als Fundament gelten kann, für vieles, was heute unsere Gesellschaft ausmacht, für die Informationsgesellschaft, die Wissengesellschaft, die Mediengesellschaft (was immer man im Detail darunter verstehen mag).

Das E-Buch hat Probleme und zwar ganz gewaltige, weil wir alle einen Habitus im Umgang mit Büchern entwickelt haben (aka Kulturtechnik) und den gerne übernehmen würden und auch müssen, wollen wir die Kultur dabei erhalten. Das ist in der digitalen Revolution immer schwierig, aber da die Möglichkeiten im Grunde technisch nicht begrenzt sind, erwartet man natürlich von einem ‘Upgrade’ (also vom Buch zum E-Buch) nicht, dass man sich verschlechtert.

Bücher lesen

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Ein normales Buch kaufe ich und lese es, wie wo wann ich will. Man muss es halt mitnehmen. Mit dem E-Buch gibt es (schon wieder) den K(r)ampf der Lesegeräte und Formate. Beispiel: Apple setzt auf .epub und Bücher, die ich im Apple Buchladen kaufe, kann ich nur auf i-Geräten lesen. Das ist ja leider typisch, allerdings hat Apple auch die beste Präsentation und das Gerät ist zwar sauteuer, kann aber dafür eben nicht nur Bücher lesen. Wer sehen will, was man in E-Büchern alles machen könnte, schaue sich einfach mal das kostenlose “Yellow Submarine”-Buch an. Schon geil, oder? Amazon nutzt in seinen Kindle-Geräten das .mobi Format, mit weiteren Funktionen als .amz getarnt.
Sofort wird klar, dass die Kulturtechnik des Lesens hier komplexer statt einfacher wird, setzt sie doch schlimmstenfalls eine beachtliche Technikkompetenz vorraus, die man vorher nicht benötigte. Besonders im Detail gibt es Probleme, die es nicht geben müßte. Warum nicht alle Formate unterstützen?

Der Elefant im Raum ist natürlich DRM, dass hatte ich schon mal thematisiert. Alle großen Anbieter bauen DRM in ihre kommerziellen E-Bücher ein, nur wenige Autoren (oder Verlage) wehren sich dagegen. Viele Möglichkeiten mit und über Bücher zu interagieren sind damit schon mal vom Tisch. Das ist natürlich soo was von “1984″. 

Bücher tauschen

Geht bei Apple ja schon mal gar nicht. Bei Amazon soll es möglich sein, Bücher für zwei Wochen an andere Kindle-Nutzer zu verleihen, währenddessen steht das Buch in der eigenen Bibliothek nicht(!) zur Verfügung. Immerhin ähnlich wie mit echten Büchern. Außerdem entscheiden die Verlage, ob die Option freigeschaltet ist, daher scheint es noch nicht sonderlich verbreitet zu sein. WTF? Im Google Ebookstore scheint das derzeit auch keine Option zu sein. Bei freien Büchern (z.B. gemeinfreie Werke) kann man die Dateien natürlich einfach weitergeben. Sowohl beim iPad als auch beim Kindle kann man per USB (bei Apple natürlich nur per iTunes) freie E-Bücher auf die Geräte kopieren. Dafür fallen aber meist die Sync-Features weg, die bei gekauften Büchern vorhanden sind (die aktuell gelesene Seite z.B. aktualisiert sich nicht über mehrere Geräte). Amazon bietet darüberhinaus auch Lesesoftware für Windows und Mac sowie Apps für Android und i-Geräte an. Da kann man seine Bücher also potentiell auch ohne Kindle lesen. Ein unersetzliches Tool für den freien E-Buch-Leser ist die Software Calibre, mit der man seine E-Bibliothek verwalten, konvertieren und mit unterschiedlichen Werkzeugen  auf nahezu alle Lesegeräte überspielen kann.

Professionelle Nutzung

Die meisten Lesegeräte sollen personalisiert sein, d.h. sie sind an einen (und genau einen)  Nutzeraccount bei Apple, Amazon etc. gebunden. Im professionellen Kontext stell’ ich mir das schnell schwierig vor, weil man entweder einen Gruppenaccount hat oder jeder individuell einen eigenen, dann kann man aber eben nicht tauschen bzw. ein Buch für alle anschaffen (außer man kauft es x-mal). Ebenso sieht’s mit persönlichen Dokumenten aus, die müsste man dann manuell aufs Gerät tun (alle Geräte unterstützen PDF, was aber abhängig vom Bildschirm auch suboptimal sein kann) oder eben über Gruppenaccounts teilen. Alles irgendwie unnötig umständlich im 21. Jahrhundert. Ich will Star Trek-Feeling, wo ich mit jedem verdammten PADD auf den Schiffscomputer zugreifen und Faust lesen kann. Machen Sie es so!

Benjamin Jörissen weist auch auf gänzlich undigitale Probleme bei der Abrechnung hin. Als Selbstständiger oder Professioneller,der viel beruflich liest/lesen muss, ist das sicherlich ein Problem. Dazu kommt, dass man wie so oft mit digitalen Medien, lediglich eine Lizenz mit dem eingeschränkten Recht zum Lesen erwirbt, nicht etwa das Buch oder gar die 367 kb an Nullen und Einsen, die man zur Vertragserfüllung erhält. Anders also als mit den Büchern im Regal, kann so ein digitales Buch mal ganz schnell wieder weg sein. Oder die Bedingungen stillschweigend geändert werden. Und der Inhalt womöglich auch?

Andere wünschenswerte Szenarien wie E-Bücher an Kindergärten, Schulen, Jugendclubs oder Hochschulen scheinen mir da auch erstmal stark eingeschränkt. Toll wär’s doch, wenn die Schulbücher als E-Books inkl. Leih-Lesegerät an Schüler gelangen könnten. Ich war in der Grundschule das erste Mal mit der ganzen Klasse in der Stadtteilbibliothek, daraufhin war ich viele Jahre Mitglied und regelmäßig dort. Aufgrund von Einsparungen hätte ich diese Möglichkeit heute nicht mehr. Wäre es nicht super, auch Kinder in abgelegenen Ortschaften oder Stadtteilen mit allen Büchern versorgen zu können, die sie interessieren? Ich wüßte nicht, wie das mit den aktuellen Geräten und Diensten praktisch umsetzbar wäre. Traurig.

Preisgestaltung

Die Anbieter sind offenbar immer noch sehr zögerlich und verunsichert, vielleicht sogar zu Recht. Man will sich ja auch nicht selbst Konkurrenz machen. Oder Bücher verschenken? Nun, offenbar nicht. Ein nicht repräsentativer Vergleich einiger aktueller Titel (deutsch & englisch) im iTunes Book Store und im Kindle Store zeigt zwei interessante Fakten auf:

1. Gerade bei aktuellen, deutschen Büchern ist der Preis im Vergleich zur Papiervariante nicht oder nur unwesentlich geringer. In Anbtracht der Tatsache, dass nur minmale Material- und Transportkosten entstehen, scheint mir das schwer zu rechtfertigen. Ich gehe auch davon aus, dass das nicht von der Buchpreisbindung abhängt, lasse mich aber gerne vom (dann sehr unsinnigen) Gegenteil überzeugen.

2. Viele Buchtitel sind in beiden Buchläden gleich teuer. Während bei Musik die Preise teils sehr unterschiedlich sind oder sich die Alben durch bestimmte Beigaben unterscheiden (Videos oder Booklets), scheint es beim Buch überhaupt keinen Wettbewerb zu geben. Das hat für deutsche Bücher primär mit der Buchpreisbindung zu tun haben, wobei deren Gültigkeit rechtlich ungeklärt und die derzeitige Umsetzung wohl eher ein stiller Konsenz ist. Das sollte mal offen geklärt werden. Warum das bei ausländischen Büchern auch so ist, wundert mich nur.

Übrigens kann man nur bei Amazon die mir noch aus Buchladenzeiten bestens bekannte Spiegel Bestseller-Liste einsehen. Die “echten” Bestseller ermitteln die Stores automatisch und durch die Bewertungen und Ratings der Kunden. Ob sich der Lesegeschmack der Deutschen mittelfristig dort anders darstellt?

Fazit

Da sind schon viele offene Fragen. Viele davon behindern eine etablierte Kulturtechnik in ihrer Entwicklung. Gut, man könnte nun sagen, dass man Bücher halt nicht mehr verleihen oder weiterverschenken soll. Schadet doch keinem. Eben doch meinen viele Kritiker (unter anderem Autor Cory Doctorow). Denn Bücher und die Lust am Lesen ist nicht nur ein Geschäft, es ist ebenso Kultur. Und die wird hier eingeschränkt, damit kommerzielle Interessen geschützt werden.

Nun gibt es auch Positives. Mit aktuellen Geräten läßt sich schon sehr gut auch in der Sonne lesen, die Geräte sind leicht und relativ bedienfreundlich. 1000 Bücher in der Handtasche hat schon was. Mir macht das Lesen Spaß und trotzdem brauche ich nicht unbedingt mehr Platz im Regal. Es gibt immer mehr Titel, aber meiner Meinung nach noch nicht annähernd so viele, wie im gut sortierten Buchhandel. Warum? Kein Platz im virtuellen Regal? Zeitungen und Zeitschriften gibt’s so gut wie gar nicht. Agressives Vorstoßen in neue Märkte sieht anders aus. Dabei ist doch klar, dass das E-Buch das Buch genauso wenig obsoletisieren wird wie die MP3 die CD.
Es bleibt am Schluss der bittere Beigeschmack, das die schöne neue Welt, in der digitale Bücher eine Revolution auslösen könnten (diese Übertreibung ist als solche kenntlich gemacht), künstlich zurückgehalten wird. Und das schlecht, denn es ist natürlich gar kein Problem die künstlichen Barrieren zu umgehen. Im Netz gibt es kaum ein E-Buch nicht auch illegal und frei. Tauschbar, Verschenkbar, Verteilbar. Doch wie bei allen Medien gilt auch hier: Menschen lieben Bücher und zahlen gern dafür. Derzeit wächst eine Generation von Lesern heran, die illegal lesen müssen, wenn Sie frei lesen wollen. Und das schädigt irgendwann Verlage und Autoren. Was wäre das für eine Zukunft?