Von Michaela Preiner
POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger) 19. Oktober 2017Theater
Oper
Ensemble und Publikum auf einer Ebene
Das Poem-Kostüm erinnert ein wenig an die Vorbilder aus dem Triadischen Ballett, Sponge Bob stand wohl Pate für „Hate Crime“, der „Terror“ trägt einen bedrohlichen, schwarzen Balken über dem Kopf und das Schwefelgelb des Trikots von „Madness“ wächst der Darstellerin bis in ihr Gesicht hinein. (Kostüme Marco Tölzer) Wie immer bei den Produktionen des theatercombinats befinden sich die Zusehenden mittendrin im performten Alltagswahnsinn.
Mit kurzen, aneinander gereihten Szenen entwickeln Bosse und Auer eine Atmosphäre, in der gesellschaftliche Fragen mit hoher Brisanz verhandelt werden: Der Kolonialismus als Auslöser postkolonialer Terrorakte, die schwindende Demokratie, das Gefühl von tiefer Traurigkeit und Depression, aber auch der zumindest ansatzweise Versuch, Lebensereignisse, nicht nur persönliche, sondern allgemein gesellschaftlich relevante, künstlerisch zu transformieren. Dabei wird die Bewegungsfreiheit des Publikums Schritt für Schritt eingeengt, bis es schließlich zusammengepfercht in der Mitte des großen Raumes steht. Auch eine veritable Publikumsbeschimpfung gehört zur logisch aufgebauten Dramaturgie. Als „Eliten, die an die Ideale der alten Jahrhunderte glauben“ werden die Zusehenden vom „Chor der Verdammten“ bezeichnet und damit bedroht, zu Illegitimen abgestempelt zu werden.
POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger)Im Schnelldurchgang durch die Operngeschichte
Nichts, was die vier Allegorien von sich geben, hat nur privaten Charakter. Weder die Tiraden „I hate white people“ von „Hate and Crime“, noch die minutiöse Schilderung des Attentates auf den russischen Botschafter, ausgeführt von einem türkischen Polizisten.
Günther Auer entwickelte für diese Oper ein vielfältiges, musikalisches Universum. Dieses reicht von simplen Melodien über Arbeiterlieder, bis hin zu einem Choral mit einem kanonhaften Einstieg mit Ohrwurm-Charakter. Er ist nicht die einzige Zutat, die das Gefühl aufkommen lässt, sich kurzzeitig im Zerrbild von Fürbitten einer christlichen Messe zu befinden. Die elektronischen Klänge, zu welchen die Sängerinnen und Sänger solistisch oder auch im Chor singen, wechseln ihre Farben, je nach Anforderung. Tatsächlich erlebt man auch so etwas wie einen Schnelldurchlauf der Gattung Oper an sich. Begonnen vom Auftritt eines griechischen Chors über ein langes Rezitativ, das in eine kleine Melodie übergeht, bis hin zu Liedern, die an die Brecht/Weill`schen Moritatformen anknüpfen, ist so ziemlich alles vertreten, was man aus der Geschichte der Oper kennt. Mirjam Klebel (Madness), Nic Lloyd (Crime), Nicola Schößler (Poems) und Alexandra Sommerfeld (Terror) sind stimmlich bestens für die Anforderungen ihrer jeweiligen musikalischen Einlagen gecastet. Sie alle sind mit einem bestimmten Leitmotiv ausgestattet und müssen sich in ihren Soli meist gesanglichen Herausforderungen stellen. Auer komponiert sowohl tonal, als auch ganz in Referenz an die Wiener Schule, wobei die elektronischen Klänge dabei das musikalische Geschehen in die Jetztzeit transferieren.
‚POEMS of the DAILY MADNESS’ ist bei weitem nicht so hypertroph wie andere Produktionen, die Claudia Bosses Handschrift tragen. Es weist aber so viele Ebenen auf und reißt so viele Themen an, dass ein Abend nicht reicht, um dieses Universum in seiner Gänze zu erfassen.
POEMS of the DAILY MADNESS (Foto: Eva Wuerdinger)Ein Aufruf, die Zukunft selbst zu gestalten
Die größte Überraschung hält jedoch der Schluss bereit. In diesem ruft „Poems“ dazu auf, das Leben so zu gestalten, dass es als widerständiger Akt gegen eine zunehmende Beschneidung von gesellschaftlich erkämpften Freiheiten wahrgenommen wird. Dazu gehört die Hinwendung zu einer Leidenschaft, die beruflich oder privat gelebt werden kann. Dazu gehört eine permanente, bewusste Raumverteidigung – Stichwort öffentlicher Raum. Dazu gehört auch die öffentliche Sichtbarkeit des eigenen Tuns. Dies ist nicht nur eine Beschreibung der nun schon jahrzehntelangen Arbeit des theatercombinats selbst. Es ist zugleich so etwas wie eine Anleitung für all jene, die poems, hate and crime, madness und terror nicht dazu benutzen möchten, um sich mit ihrer Hilfe aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht zu verabschieden.
Bosse ist nach Jan Fabre eine jener Ausnahmen, die in ihrem Stück der Zukunft nicht nur resignierend entgegenblickt. Präsentierte der belgische Künstler in seinem Stück „Belgian rules“ bei Impulstanz in diesem Sommer ein Gebotesystem und eröffnete mit ihnen eine positive Sicht abseits aller Zukunftsdystopien, gibt Bosse eine aktive Anleitung zu einer schon als philosophisch zu bezeichnenden Lebensgestaltung.
To be continued wäre toll!
Weitere Infos und Termine auf der Seite des theatercombinat
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