Mitten in die Fresse

Vergangene Woche verkündete Andrea Nahles anlässlich ihrer Wahl zur neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD, sie und ihre Partei planten, „der CDU voll in die Fresse“ zu geben. Wenig überraschend wurde dieses kämpferische Statement in den folgenden Tagen gerne kolportiert und genauso wie Gaulands vorhergehendes Statement, man werde „Merkel jagen“ als Indikator für eine verrohende politische Kultur in Deutschland ausgemacht. Tatsächlich aber haben diejenigen Kommentatoren Recht, die in beiden Zitaten eher ein Ende des deutschen Sonderwegs der letzten zehn Jahre mit seiner Konsens-Demokratie ausmachen als ein Abrutschen des Staatswesens in die Anarchie. Noch in den 1980er Jahren hätte sich über diese beiden Kommentare niemand aufgeregt, und Rudolf Scharping versprach 1994 schließlich auch, Helmut Kohl „jagen“ zu wollen. Das Problem mit Nahles‘ Spruch ist aus meiner Sicht ein anderes.
Die Strategie hinter dem „Fresse“-Kommentar ist relativ klar: die SPD muss sich kämpferischer und oppositioneller geben als sie dies seit 2005 getan hat, gewissermaßen mehr Schröder und weniger Steinmeier. Die Idee ist, dass eine aggressive und assertive SPD in der Wählergunst steigen werde, dass man ihr quasi die Blutlust ansehen müsse, mit der sie nach einer Ablösung einer dann hoffentlich altersschwachen CDU lechze, eine Neuauflage von 1998 gewissermaßen. Und das ist auch alles nicht falsch. Was bei mir ein unangenehmes Bauchgefühl hinterlässt ist die Konnotation des Kommentars.
Dominanzrituale in der Politik sind nichts grundsätzlich Neues. Politiker aller Couleur haben sich ihnen stets gerne bedient. Berühmt sind Herbert Wehner oder Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren, Helmut Schmidts staatsmännischer Gestus und Nixons Victory-Zeichen, Heiner Geißlers aggressive Attacken und Ronald Reagans Militarismus. In den 1990er Jahren hatten wir einen jugendlich-forschen Bill Clinton und einen Zigarre rauchenden, Brionie-tragenden Proleten Schröder. Die Gemeinsamkeit zwischen all diesen Politikern und ihren Dominanzattitüden ist ihr Geschlecht: sie alle sind männlich.
Weibliche Politiker haben große Schwierigkeiten, auf ähnliche Art Dominanz zu projizieren. Das kann ein Vorteil sein; Angela Merkel wurde etwa so lange unterschätzt, bis sie ihre Gegner kalt gestellt und völlige Dominanz in der CDU erreicht hatte; angesichts des Ergebnisses von 2005 und der Elefantenrunde seinerzeit wahrlich kein Ausgang, auf den damals viele Zeitgenossen gewettet hätten. Margret Thatcher gerierte sich als die Iron Lady, die nichts aus der Ruhe bringt und die mit Nerven aus Drahtseilen schwere Entscheidungen traf. In innerparteilichen oder auch sonstigen politischen Konflikten Dominanz auszustrahlen war ihnen dagegen nie vergönnt; die Aggressivität ihrer männlichen Kollegen war ihnen stets untersagt.
Und das ist auch ein gutes Ding. Ich nehme tausend Mal lieber eine Angela Merkel, die sich vom Kampfhund-Fan und Oben-Ohne-Kavallerie-Judoka Putin nicht aus der Ruhe bringen lässt als einen Peer Steinbrück, der der Ansicht ist, die korrekte Reaktion auf eine ihm nicht freundlich gesonnene Presselandschaft sei der ausgestreckte Mittelfinger. Wenig überraschend brach die SPD 2013 nach der Veröffentlichung dieses Symbolbilds in der SZ bei den Frauen massiv ein und beendete die Wahl mit (noch) weniger Prozentpunkten als ohnehin ausgemacht.
Daher empfinde ich es auch als zumindest milde störend, dass Andrea Nahles keine andere Projektionsfläche findet um den neuen Geist der SPD auszudrücken als typisch männlich konnotierte, gewaltaffine Dominanzrituale nachzuspielen. Diese „toxische Maskulinität“ gelte es eigentlich zu überwinden, nicht zu bestätigen. Denn zwar erreicht Nahles kurzfristig ihr Ziel – eine kämpferische Aura und Schlagzeilen für die abgeschriebene SPD – aber mittelfristig ist es eher ein Rückschritt, der der Entwicklung von Konfliktroutinen im Weg stehen, die nicht in traditionellen (und eben toxischen) Gender-Konzeptionen verhaftet sind.

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