Die Definition des Nationalsozialismus in rechts oder links, kann nicht gelingen. Emotional würde man ihn unter das rechte Spektrum subsumieren. Rechtsextremismus ist auch das Schlagwort für die haarlosen NS-Nostalgiker, die heute in der Nachfolge dieses Phänomens stehen. Ganz richtig ist diese Einordnung wahrscheinlich auch nicht, einfach deshalb, weil links und rechts historisch überholte Labels sind. Es schickt sich daher, den Nationalsozialismus nicht nach der Sitzverteilung der Konstituante von 1789 zu rubrizieren, sondern nach der historischen Kontinuität.
Dass der Nationalsozialismus keine isolierte Epoche der deutschen Geschichte ist, dass Hitler nicht urplötzlich die Bühne bestieg und es sich nicht als zwölfjähriger Betriebsunfall abtun läßt, wird beständig ins Gedächtnis gerufen. Das ist allerdings nicht das offizielle staatliche Geschichtsverständnis - läßt sich doch mit der Abgeschlossenheit des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte, in eine epochale Unterscheidung in Vor und Danach, leichter umgehen. An der Kontinuität soll eine Einordnung stattfinden, wobei der Nationalsozialismus nicht zwischen den Zeiten davor und danach stehen soll, sondern als Beginn, als Vorgänger. Die provokante These wird sein:
Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft als Vorgänger des Sozialstaates
Der NS-Staat wird unter verschiedenen Aspekten beleuchtet und erklärbar gemacht. Seine Auswüchse werden manchmal als kontinuierliche Entwicklung, manchmal als Rückschritt ins Mittelalter verdeutlicht. Selten kommt es vor, dass er mittels seines spiritual leaders erklärt wird: dem Fascismo - dem italienischen Faschismus. Dieser entstand als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Der agrarische und verarmte Süden Italiens, in dem das sozialistische und anarchistische Lebensgefühl blühte und nur mühevoll unterdrückt werden konnte, sollte mit dem industrialisierten und prosperierenden Norden, in dem der Kapitalismus Egomanie förderte, vereint werden - nicht nur als Gebilde auf der Landkarte, sondern auch geistig und moralisch. Der Fascismo im Ursprung - lassen wir mal all die Manierismen, die er gebar, beiseite -, er sollte die klassenkämpferische Diskrepanz der zwei Italien bannen und die Nachwehen des Risorgimento, des Vereinigungsprozesses der verschiedenen Gebiete auf dem italienischen Stiefel, endgültig ausmerzen. Ein korporatives Wirtschaftsmodell sollte kapitalistische und sozialistische Denkmodelle vereinen und die Nation befrieden - der Fascimo war als goldener Mittelweg angelegt; die Frage, ob denn nun Sozialismus oder Kapitalismus der richtige italienische Weg sei, sollte wegfallen, denn der Fascismo lag dazwischen und sollte der italienische Weg sein.
So jedenfalls will es die Theorie. Und an dieser Theorie ereiferten sich die deutschen Nationalsozialisten schon, als sie noch ein kleiner Männerzirkel in München waren. Mussolinis Marsch auf Rom beeindruckte sie und sie hielten sich mit einigen Abstrichen und Zusätzen für den deutschen Ableger des italienischen Fascismo, natürlich unter deutschen Vorzeichen (Roland D. Gerst vergleicht New Deal und Nationalsozialismus miteinander und beleuchtet, dass beide als Mittelweg gedacht waren - wenn sie auch in den Mitteln unterschiedlich waren). Die ideologische Begutachtung des Phänomens sagt nun vielerlei. Für Kapitalisten war der NS-Staat das Produkt von Massenbegeisterung, entstanden durch die Massen, quasi ein populistisches Resultat. Diese Einsicht ist so richtig wie jene, die Sozialisten vertreten, dass es nämlich der Kapitalismus war, der Hitler die Steigbügel hielt. Der NS-Staat beinhaltete beides. Er nutzte das Kapital und er baute auf die Massen, er nahm sich vom Kapitalismus und stieß in die sozialistische Szene vor. Kurz gesagt, er war auch als Mittelweg zwischen den Extremen gedacht. Beide Systeme, westlicher Kapitalismus und östlicher Sozialismus erschienen den Deutschen jener Tage, der nationalsozialistischen Kamarilla sowieso, wie zwei Pläne, die man den Deutschen überstülpen wollte, obwohl sie dem deutschen Wesen überhaupt nicht entsprachen. Etwas anderes musste her; etwas, das dem deutschen Gemüt entsprach, ein Mittelweg vielleicht, ein deutscher Sonderweg - und Hitler versprach ihn.
Der Popanz eines Sozialstaates, den es aber für rassisch Passende wirklich gab
Ein solcher mittlerer Sonderweg benötigte Einrichtungen, von denen beide Gruppen, Kapitalisten wie Sozialisten, profitieren konnten. Ein Staat, der zwischen den Polen lavieren wollte, so war man sich einig, musste seine Bürger versorgen und ihnen Sicherheiten bieten. Das war natürlich nicht die Menschenliebe des Nationalsozialismus - ohnehin gab es keine Liebe zu Menschen, nur zu Volksgenossen, wobei auch da die Liebe sehr eisig war. Der eigene Machterhalt drängte dazu; die Befriedung leicht korrumpierbarer Massen musste vorangetrieben werden, wollte man das Regime halten. Und so errichtete man sich eine Form von Sozialstaatlichkeit, die Nöte abfedern und volksrelevante Konstellationen, wie beispielsweise die Begünstigung von Familien mit Kindern, schützen sollte. Die neue Volksgemeinschaft sollte eine ohne Klassenschranken sein, sie sollten den Volksgenossen in Geborgenheit halten und ihm Wohlstand schenken. Die Wirklichkeit hinter dieser "Sozialstaatlichkeit" gestaltete sich mit Terror und Verfolgung und mit einem grenzenlosen Verfügungsanspruch über Menschen. Der nationalsozialistische "Sozialstaat" war einer, der rassisch schied - Volksgenossen hatten Ansprüche und Leistungsberechtigungen, volksfremde Subjekte waren ausgeschlossen.
Für Volksgenossen entstand nach den nervenaufreibenden Weimarer Jahren, in denen es Rudimente eines Sozialstaates gab, der aber durch den Druck der Krisenjahre und durch den Terror auf den Straßen endgültig in Nichtigkeit verschwand, ein stabiles Milieu. Das war natürlich nur Blendwerk, denn ein sozialstaatlich wirkendes Gebilde, das naturgemäß als humaner Vernunftsakt begriffen werden sollte, kann nur Wirkung erzielen, wenn es blind auf die Menschen blickt. Wenn es terrorisiert, gegen den Willen der Leistungsbezieher "Hilfe" erteilt, drangsaliert, Gruppen ausschließt, dann hat es keine dauerhafte Stabilität, dann suggeriert es nur eine stabile Lage - ja, es ist genauer gesagt nur in stabiler Seitenlage, bis dann der Notarzt eintritt. Diese Einsicht kann lehrreich sein, denn sie unterstreicht:
Die Gefahr, die jedes sozialstaatliche Gefüge bedroht, wenn man von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit abgeht
Der deutsche Ableger des Faschismus, der als Mittelweg gedacht war, entwarf eine Form von sozialstaatlichen Gefüge. Nach 1945 sollte auch die neu entstandene Bundesrepublik einen Mittelweg anstreben. Sie nannte den ihren Soziale Marktwirtschaft - die war fürwahr nicht nationalsozialistisch; sie war aber gleichwohl als System gedacht, das zwischen den Extremen, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, angesiedelt sein sollte. Das Prinzip war bonapartistisch, wie auch jene der verschiedenen Faschismen - das aber humanitärer, menschlicher und freiheitlicher selbstredend. Kein Klassenkampf mehr, sondern Vermittlung zwischen den Polen - das übernahm nicht mehr der Staat, der wurde in einen Parteienapparat gebettet. Diese sollten die verschiedenen klassenkämpferischen Losungen volksparteilich auflösen oder wenigstens kanalisieren und eine nationale Einheit erzielen. Der Bonapartismus, der vom dritten Napoleón entworfen wurde, war schnell als Vorbote des Fascismo gefunden gewesen (Thalheimer) - dass er es in gewisser Weise auch für die modernen Sozialstaaten und ihrer Unterdrückung des Klassenkampfes ist, wird weniger gerne verkündigt. Der Sozialstaat, der in der Sozialen Marktwirtschaft entstand, er war nun nicht mehr nur für die Volksgemeinschaft reserviert - und doch steht er in der Kontinuität des Vorgängers. Anders könnte man sagen: Wenn sich wieder eugenisches Denken durchsetzt, sozialdarwinistische Lügen ihren Weg suchen, wenn die Unaufgeklärtheit auch ins sozialstaatliche Denken hineinstrahlt, wenn bei Leistungsberechtigten mit terroristischem Feuereifer verfolgungsbetreut wird, weil die herrschende Irrlehre erklärt, dass Druck der Schmierstoff der gesellschaftlichen Beweglichkeit sei, wenn sich kurz und gut also Tendenzen durchsetzen, die auch damals diesen tristen und extremen Mittelweg zwischen den Extremen begünstigten, dann wäre die Nachfolge des heutigen Sozialstaates, der aus der Sozialen Marktwirtschaft entstieg und der wiederum auf deutschen Boden schon vorher Verankerung in der nationalsozialistischen Sozialpolitik fand, für jedermann augenfällig.
Noch etwas anders gesagt: Wenn die Soziale Marktwirtschaft, in der wir angeblich noch zu leben scheinen, nach Lesart von Lobbygruppen und Wirtschaftspolitik, seine Maßhaltung verliert, weil Mitspieler innerhalb dessen sozialen Gefüges meinen, Maß zu halten, Rationalität walten zu lassen, sei irrsinnig, womit sie zu extremen Positionen greifen, dann wird aus dem Mittelweg das, was der Mittelweg hierzulande einst schon war: Eine segregative "Sozialstaatlichkeit", die nicht mehr dazu da ist, den Menschen zu helfen, sondern dem System die Menschen einzugliedern - auf Gedeih und Verderb. Es mag sogar sein, dass der Sozialstaat der Bundesrepublik gerade dabei ist, sich an Lehren zu modifizieren, die damals aktuell waren, jahrzehntelang nur subkutan gärten und nun wieder durchbrechen. Rassistisches Denken, Obrigkeitstreudoofheit - sie schlagen durch und verändern die Wirkungsweise des sozialen Denkens. Die Soziale Marktwirtschaft, sie könnte mehr und mehr zum Nachfolgemodell der NS-Sozialpolitik werden - fast nahtlos nahm sie die Stelle der einstigen "beschränkten Sozialpolitik" ein, war in Form der Bundesrepublik deren juristisch erklärter Rechtsnachfolger. Inhaltlich war man glücklicherweise nicht ganz so nahtlos, wenn man aber natürlich auf vielerlei Rezepte, die damals schon ausgestellt wurden, nicht verzichtete. Der Sozialstaat, den wir jetzt haben, er ist zwar zeitlich weit vom Rechtsnachfolger entfernt, aber inhaltlich prescht man zu Nahtlosigkeit vor.
Diese Gefahr ist zugegen - und auch aus diesem Grunde heißt es, dass der Nationalsozialismus ein deutscher Unfall ist, der von niemanden vorher gesehen wurde und der nachher endgültig getilgt wurde. Mit Rechts oder Links läßt sich der Nationalsozialismus nicht erklären. Nur mit der Kontinuität der bonapartistischen Mitte - als der war er gedacht. Würde man die Kontinuität der Bundesrepublik zum NS-Staat offiziell nennen, würfe das Fragen auf, die peinliche Antworten zur Folge hätten. Und auch das Sozialstaatsdenken unserer Tage würde in Frage gestellt werden müssen - nicht nach dem Ob einer solchen Einrichtung, sondern ob des Wie, nämlich wie sich manche Gestalten den neuen Sozialstaat vorstellen. Nur die Abgrenzung zum Nationalsozialismus ist es, die die Bundesrepublik und ihren einstigen Mittelweg blütenweiß hält - den einstigen Mittelweg, den es heute nur noch in der Theorie gibt, der heute auf Seiten des Kapitalismus so tut, als sei er noch mittig; der immer mehr in Schieflage gerät und Richtung Kapital ausschert. Der postulierte Mittelweg, er hat seine neue Mitte gefunden: ganz nah am Kapital...
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Dass der Nationalsozialismus keine isolierte Epoche der deutschen Geschichte ist, dass Hitler nicht urplötzlich die Bühne bestieg und es sich nicht als zwölfjähriger Betriebsunfall abtun läßt, wird beständig ins Gedächtnis gerufen. Das ist allerdings nicht das offizielle staatliche Geschichtsverständnis - läßt sich doch mit der Abgeschlossenheit des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte, in eine epochale Unterscheidung in Vor und Danach, leichter umgehen. An der Kontinuität soll eine Einordnung stattfinden, wobei der Nationalsozialismus nicht zwischen den Zeiten davor und danach stehen soll, sondern als Beginn, als Vorgänger. Die provokante These wird sein:
Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft als Vorgänger des Sozialstaates
Der NS-Staat wird unter verschiedenen Aspekten beleuchtet und erklärbar gemacht. Seine Auswüchse werden manchmal als kontinuierliche Entwicklung, manchmal als Rückschritt ins Mittelalter verdeutlicht. Selten kommt es vor, dass er mittels seines spiritual leaders erklärt wird: dem Fascismo - dem italienischen Faschismus. Dieser entstand als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Der agrarische und verarmte Süden Italiens, in dem das sozialistische und anarchistische Lebensgefühl blühte und nur mühevoll unterdrückt werden konnte, sollte mit dem industrialisierten und prosperierenden Norden, in dem der Kapitalismus Egomanie förderte, vereint werden - nicht nur als Gebilde auf der Landkarte, sondern auch geistig und moralisch. Der Fascismo im Ursprung - lassen wir mal all die Manierismen, die er gebar, beiseite -, er sollte die klassenkämpferische Diskrepanz der zwei Italien bannen und die Nachwehen des Risorgimento, des Vereinigungsprozesses der verschiedenen Gebiete auf dem italienischen Stiefel, endgültig ausmerzen. Ein korporatives Wirtschaftsmodell sollte kapitalistische und sozialistische Denkmodelle vereinen und die Nation befrieden - der Fascimo war als goldener Mittelweg angelegt; die Frage, ob denn nun Sozialismus oder Kapitalismus der richtige italienische Weg sei, sollte wegfallen, denn der Fascismo lag dazwischen und sollte der italienische Weg sein.
So jedenfalls will es die Theorie. Und an dieser Theorie ereiferten sich die deutschen Nationalsozialisten schon, als sie noch ein kleiner Männerzirkel in München waren. Mussolinis Marsch auf Rom beeindruckte sie und sie hielten sich mit einigen Abstrichen und Zusätzen für den deutschen Ableger des italienischen Fascismo, natürlich unter deutschen Vorzeichen (Roland D. Gerst vergleicht New Deal und Nationalsozialismus miteinander und beleuchtet, dass beide als Mittelweg gedacht waren - wenn sie auch in den Mitteln unterschiedlich waren). Die ideologische Begutachtung des Phänomens sagt nun vielerlei. Für Kapitalisten war der NS-Staat das Produkt von Massenbegeisterung, entstanden durch die Massen, quasi ein populistisches Resultat. Diese Einsicht ist so richtig wie jene, die Sozialisten vertreten, dass es nämlich der Kapitalismus war, der Hitler die Steigbügel hielt. Der NS-Staat beinhaltete beides. Er nutzte das Kapital und er baute auf die Massen, er nahm sich vom Kapitalismus und stieß in die sozialistische Szene vor. Kurz gesagt, er war auch als Mittelweg zwischen den Extremen gedacht. Beide Systeme, westlicher Kapitalismus und östlicher Sozialismus erschienen den Deutschen jener Tage, der nationalsozialistischen Kamarilla sowieso, wie zwei Pläne, die man den Deutschen überstülpen wollte, obwohl sie dem deutschen Wesen überhaupt nicht entsprachen. Etwas anderes musste her; etwas, das dem deutschen Gemüt entsprach, ein Mittelweg vielleicht, ein deutscher Sonderweg - und Hitler versprach ihn.
Der Popanz eines Sozialstaates, den es aber für rassisch Passende wirklich gab
Ein solcher mittlerer Sonderweg benötigte Einrichtungen, von denen beide Gruppen, Kapitalisten wie Sozialisten, profitieren konnten. Ein Staat, der zwischen den Polen lavieren wollte, so war man sich einig, musste seine Bürger versorgen und ihnen Sicherheiten bieten. Das war natürlich nicht die Menschenliebe des Nationalsozialismus - ohnehin gab es keine Liebe zu Menschen, nur zu Volksgenossen, wobei auch da die Liebe sehr eisig war. Der eigene Machterhalt drängte dazu; die Befriedung leicht korrumpierbarer Massen musste vorangetrieben werden, wollte man das Regime halten. Und so errichtete man sich eine Form von Sozialstaatlichkeit, die Nöte abfedern und volksrelevante Konstellationen, wie beispielsweise die Begünstigung von Familien mit Kindern, schützen sollte. Die neue Volksgemeinschaft sollte eine ohne Klassenschranken sein, sie sollten den Volksgenossen in Geborgenheit halten und ihm Wohlstand schenken. Die Wirklichkeit hinter dieser "Sozialstaatlichkeit" gestaltete sich mit Terror und Verfolgung und mit einem grenzenlosen Verfügungsanspruch über Menschen. Der nationalsozialistische "Sozialstaat" war einer, der rassisch schied - Volksgenossen hatten Ansprüche und Leistungsberechtigungen, volksfremde Subjekte waren ausgeschlossen.
Für Volksgenossen entstand nach den nervenaufreibenden Weimarer Jahren, in denen es Rudimente eines Sozialstaates gab, der aber durch den Druck der Krisenjahre und durch den Terror auf den Straßen endgültig in Nichtigkeit verschwand, ein stabiles Milieu. Das war natürlich nur Blendwerk, denn ein sozialstaatlich wirkendes Gebilde, das naturgemäß als humaner Vernunftsakt begriffen werden sollte, kann nur Wirkung erzielen, wenn es blind auf die Menschen blickt. Wenn es terrorisiert, gegen den Willen der Leistungsbezieher "Hilfe" erteilt, drangsaliert, Gruppen ausschließt, dann hat es keine dauerhafte Stabilität, dann suggeriert es nur eine stabile Lage - ja, es ist genauer gesagt nur in stabiler Seitenlage, bis dann der Notarzt eintritt. Diese Einsicht kann lehrreich sein, denn sie unterstreicht:
Die Gefahr, die jedes sozialstaatliche Gefüge bedroht, wenn man von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit abgeht
Der deutsche Ableger des Faschismus, der als Mittelweg gedacht war, entwarf eine Form von sozialstaatlichen Gefüge. Nach 1945 sollte auch die neu entstandene Bundesrepublik einen Mittelweg anstreben. Sie nannte den ihren Soziale Marktwirtschaft - die war fürwahr nicht nationalsozialistisch; sie war aber gleichwohl als System gedacht, das zwischen den Extremen, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, angesiedelt sein sollte. Das Prinzip war bonapartistisch, wie auch jene der verschiedenen Faschismen - das aber humanitärer, menschlicher und freiheitlicher selbstredend. Kein Klassenkampf mehr, sondern Vermittlung zwischen den Polen - das übernahm nicht mehr der Staat, der wurde in einen Parteienapparat gebettet. Diese sollten die verschiedenen klassenkämpferischen Losungen volksparteilich auflösen oder wenigstens kanalisieren und eine nationale Einheit erzielen. Der Bonapartismus, der vom dritten Napoleón entworfen wurde, war schnell als Vorbote des Fascismo gefunden gewesen (Thalheimer) - dass er es in gewisser Weise auch für die modernen Sozialstaaten und ihrer Unterdrückung des Klassenkampfes ist, wird weniger gerne verkündigt. Der Sozialstaat, der in der Sozialen Marktwirtschaft entstand, er war nun nicht mehr nur für die Volksgemeinschaft reserviert - und doch steht er in der Kontinuität des Vorgängers. Anders könnte man sagen: Wenn sich wieder eugenisches Denken durchsetzt, sozialdarwinistische Lügen ihren Weg suchen, wenn die Unaufgeklärtheit auch ins sozialstaatliche Denken hineinstrahlt, wenn bei Leistungsberechtigten mit terroristischem Feuereifer verfolgungsbetreut wird, weil die herrschende Irrlehre erklärt, dass Druck der Schmierstoff der gesellschaftlichen Beweglichkeit sei, wenn sich kurz und gut also Tendenzen durchsetzen, die auch damals diesen tristen und extremen Mittelweg zwischen den Extremen begünstigten, dann wäre die Nachfolge des heutigen Sozialstaates, der aus der Sozialen Marktwirtschaft entstieg und der wiederum auf deutschen Boden schon vorher Verankerung in der nationalsozialistischen Sozialpolitik fand, für jedermann augenfällig.
Noch etwas anders gesagt: Wenn die Soziale Marktwirtschaft, in der wir angeblich noch zu leben scheinen, nach Lesart von Lobbygruppen und Wirtschaftspolitik, seine Maßhaltung verliert, weil Mitspieler innerhalb dessen sozialen Gefüges meinen, Maß zu halten, Rationalität walten zu lassen, sei irrsinnig, womit sie zu extremen Positionen greifen, dann wird aus dem Mittelweg das, was der Mittelweg hierzulande einst schon war: Eine segregative "Sozialstaatlichkeit", die nicht mehr dazu da ist, den Menschen zu helfen, sondern dem System die Menschen einzugliedern - auf Gedeih und Verderb. Es mag sogar sein, dass der Sozialstaat der Bundesrepublik gerade dabei ist, sich an Lehren zu modifizieren, die damals aktuell waren, jahrzehntelang nur subkutan gärten und nun wieder durchbrechen. Rassistisches Denken, Obrigkeitstreudoofheit - sie schlagen durch und verändern die Wirkungsweise des sozialen Denkens. Die Soziale Marktwirtschaft, sie könnte mehr und mehr zum Nachfolgemodell der NS-Sozialpolitik werden - fast nahtlos nahm sie die Stelle der einstigen "beschränkten Sozialpolitik" ein, war in Form der Bundesrepublik deren juristisch erklärter Rechtsnachfolger. Inhaltlich war man glücklicherweise nicht ganz so nahtlos, wenn man aber natürlich auf vielerlei Rezepte, die damals schon ausgestellt wurden, nicht verzichtete. Der Sozialstaat, den wir jetzt haben, er ist zwar zeitlich weit vom Rechtsnachfolger entfernt, aber inhaltlich prescht man zu Nahtlosigkeit vor.
Diese Gefahr ist zugegen - und auch aus diesem Grunde heißt es, dass der Nationalsozialismus ein deutscher Unfall ist, der von niemanden vorher gesehen wurde und der nachher endgültig getilgt wurde. Mit Rechts oder Links läßt sich der Nationalsozialismus nicht erklären. Nur mit der Kontinuität der bonapartistischen Mitte - als der war er gedacht. Würde man die Kontinuität der Bundesrepublik zum NS-Staat offiziell nennen, würfe das Fragen auf, die peinliche Antworten zur Folge hätten. Und auch das Sozialstaatsdenken unserer Tage würde in Frage gestellt werden müssen - nicht nach dem Ob einer solchen Einrichtung, sondern ob des Wie, nämlich wie sich manche Gestalten den neuen Sozialstaat vorstellen. Nur die Abgrenzung zum Nationalsozialismus ist es, die die Bundesrepublik und ihren einstigen Mittelweg blütenweiß hält - den einstigen Mittelweg, den es heute nur noch in der Theorie gibt, der heute auf Seiten des Kapitalismus so tut, als sei er noch mittig; der immer mehr in Schieflage gerät und Richtung Kapital ausschert. Der postulierte Mittelweg, er hat seine neue Mitte gefunden: ganz nah am Kapital...
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