„Mein Mann weiss nicht, dass ich hier bin.“ Vor diesem Hintergrund fragte ich die Frau, ob sie ein Geheimnis mit mir teilen wolle. „Ja, und vielleicht können Sie mir ja helfen.“ Ihr Blick war gesenkt und ich konnte erahnen, dass es ihr auch peinlich war. „Es hat Sie wahrscheinlich viel Mut gekostet, hierher zu kommen.“ Sie nickte. Den Tränen nahe fuhr sie fort: „Ich verstehe meinen Mann nicht, es ist so entsetzlich.“ Ich wartete ein paar Atemzüge ruhig ab. „Haben Sie etwas erfahren, was Sie nicht hätten erfahren sollen?“, fragte ich sie neugierig. Nun blickte sie mir geradewegs in die Augen: „Mein Mann schaut sich Pornofilme im Internet an.“ In ihrer Stimme schwang Zorn mit, als sie weiter sprach: „Stellen Sie sich vor, ausgerechnet mein Mann, nie im Leben hätte ich geglaubt, dass er sich solche schmutzigen Sachen anschaut. Das finde ich zum Kotzen und ich bin einfach sprachlos.“ Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, ergänzte sie noch: „Es kommt mir so vor, als hätte er mich betrogen.“
In der Folge erklärte mir die Frau, wie sie per Zufall darauf gestossen sei. Sie benutzen denselben Computer zuhause. Ahnungslos habe sie auf eine Seite geklickt, die ihr Mann wohl vor ein paar Wochen besucht hatte. „Was ist das schlimmste an dieser ganzen Sache?“, fragte ich sie unverblümt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie dachte nach und erklärte mir schliesslich: „Meine Sexualität ist irgendwie beschmutzt worden. Wenn mein Mann und ich Sex haben und er über mir ist, die Augen geschlossen, dann frage ich mich, mit wem er wohl gerade schläft. Ich muss dann daran denken, dass er mit einer dieser (…)“, sie rollte mit den Augen, „dass er gar nicht mich meint.“
Ich bestätigte der Frau, dass ich ihre Reaktion und ihre Gefühle nachvollziehen könne. Gemeint zu sein, ist in Beziehungen eines der heiligsten Anliegen. „Wie denken Sie noch darüber? Gibt es noch etwas anderes, das auszusprechen sich lohnen könnte?“ Sie lehnte sich zurück in ihren Sessel und verschränkte ihre Arme. „Doch“, sagte sie nach ein paar Sekunden, „da gibt es noch einen Aspekt. Wenn ich daran denke, dass mein Mann zu solchen Bildern auch noch onaniert, dann löscht es mir total ab. Das finde ich einfach das Hinterletzte.“ Weil mir nicht ganz klar war, wie die Frau das meinte, fragte ich nach: „Was genau stört Sie, dass er zu Pornos onaniert oder dass er überhaupt onaniert?“ Die Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen.
Gegen Ende der Sitzung fragte ich die Frau, was genau sie von mir erwarte. „Geht es darum, wie Sie sich verhalten sollen?“ „Ja“, nickte sie bestimmt, „und ich möchte meinen Mann verstehen können.“ Etwas über die männliche Sexualität zu lernen, habe jedoch seinen Preis, erwiderte ich. „Ihr Mann hat sich offenbar über Ihre unausgesprochenen Regeln und Vorstellungen hinweggesetzt. Ihre überlegene, moralische Position müssen Sie aufgeben. Ich habe Verständnis dafür, wenn Sie das nicht wollen. Das ist menschlich. Trotzdem, wir können nur zusammenarbeiten, wenn Sie bereit sind, sich neugierig auf das Verhalten Ihres Mannes einzulassen. Und wenn Sie sich dazu imstande fühlen, stehen Sie vor der Herausforderung, ihren Mann darauf anzusprechen. Diesen Mut können Sie leichter aufbringen, wenn für Sie und Ihre Beziehung eine lohnende Perspektive in Aussicht steht.“ Was das sein könnte, fragte sie mich. Ich antwortete spontan und rein spekulativ: „Vielleicht geht es um Ihre Verletzlichkeit, um geheime Fantasien, oder um Begehren und begehrt werden wollen.“