Mit Sexappeal und ohne Hose
«Wo ist denn Ihre Hose?» Verwunderung und Entsetzen zugleich legt Joachim Król in Blick und Stimme von Hauptkommissar Frank Steier. Seine Kollegin Nina Kunzendorf alias Conny Mey steht lediglich mit einer Polizeijacke bekleidet vor ihm, die endlos langen schlanken Beine sind nackt. Doch dann hebt sie die Jacke und zum Vorschein kommt ein superkurzes Sporthöschen. Kollegin Mey war beim Joggen, als sie per Handy zum Tatort gerufen wurde.
Die neuen Frankfurter Tatort-Ermittler Kunzendorf und Król mussten gestern Abend einen Tod im Nachtzug aufklären und haben dabei wieder angegriffen. Wen? Die derzeitigen Tatort-Könige Axel Prahl und Jan Josef Liefers, die mit durchschnittlich 10,64 Millionen Zuschauern pro Folge ganz oben auf der Liste der beliebtesten Ermittler der Krimireihe stehen. Fragt sich nur, wie lange noch. Denn Kunzendorf und Król steigern sich: Sahen beim ersten Tatort vor einem halben Jahr 8,73 Millionen Menschen zu, waren es gestern bereits 9,3 Millionen (Marktanteil: 24,8 Prozent).
Schaut man sich in der Presselandschaft um, haben Mey und Steier beste Chancen, die Münsteraner Ermittler Thiel und Boerne vom Thron zu stoßen. Bild.de fragt bereits: «Ist es (gemeint ist das Paar Kunzendorf und Król) das beste Tatort-Duo aller Zeiten?» Man möchte angesichts der schauspielerischen Leistung von Kunzendorf und Król antworten: Ja, ja, ja!
«Die große Ausnahme im Tatort-Gelaber»
Selbst Alexander Gorkow von der Süddeutschen Zeitung schwärmt: «Auch diese zweite Folge schmeckt wie ein besonders feiner Braten, außen knusprig, innen saftig, herrlich gewürzt.» Und Christian Buß von Spiegel Online lobt: «Pumpende Bläsersätze, Rotwein-Suff und massive Östrogen-Ausschüttungen treiben die Handlung im schnell Tempo voran, erklärt wird nur das Nötigste, plausibel ist jede einzelne Szene. Die große Ausnahme im routinierten Tatort-Gelaber.»
Apropos Gelaber. In punkto Kabbeleien können Mey und Steier mit den Münsteraner Kollegen locker mithalten. Die Frankfurter sind mindestens genauso witzig und spritzig wie Thiel und Boerne. Als Steier, der wegen einer Stichverletzung aus dem letzten Fall pausieren musste, am ersten Tag in sein Büro zurückkehrt, findet er eine Flasche Rotwein und einen Blumenstrauß im Apfelwein-Bembel. Halb belustigt, halb angewidert bringt er die Blumen zu Conny: «Der Chef hat mir so ein Mädchengemüse auf den Tisch gestellt. Demnächst macht er mir noch einen Heiratsantrag.» Conny Mey zieht mit strafendem Blick ihre Karte aus dem Strauß: Es sollte ihr Gruß zur Wiederkehr Steiers sein.
An anderer Stelle gesteht Mey dem verdutzten Steier ihren One-Night-Stand mit Militärpolizist Thomsen (Benno Fürmann): «Ich hab ihm einen geblasen, ich war mit ihm im Bett», sagt sie, woraufhin Steier entgegnet: «Sie können doch nicht mit einem wildfremden Mann ins Bett steigen, nur um an Informationen ranzukommen!» Mey kontert: «Jedenfalls saufe ich mir nicht ständig die Hucke voll.»
Wie beim Pingpong werfen sich Kunzendorf und Król die Bälle zu, was Arne Willander von der Berliner Morgenpost zu Vergleichen mit den Hollywood-Filmkomödien der 1930er und 1940er Jahre hinreißt: «Der oft genug amtsschimmelig graue Tatort verwandelt sich (für Augenblicke!) in eine funkelnde Screwball Comedy.»
Gegensätze ziehen sich an
Ähnlich wie das Münsteraner Duo Thiel und Boerne (auf der einen Seite der abgehalfterte Bulle mit Bodenhaftung und Unfrisur, auf der anderen der eitle Professor mit Standesdünkel und Savoir-vivre) können auch Mey und Steier gegensätzlicher nicht sein: Sie ist die große, betont locker-extrovertierte Kommissarin und er ihr kleinerer, introvertiert-verschrobener Kollege.
«Nina Kunzendorf ist ein toll erotisches Proletenschätzchen (…). Und wie die Schauspielerin mit Joachim Król harmoniert, der seinen Kommissar Steier nahezu stumm in einen Kosmos aus Angst und Einsamkeit hüllt: Das sind schlicht große Fernsehmomente», schreibt Alexander Gorkow von der Süddeutschen Zeitung. Kerstin Teuber vom Hamburger Abendblatt ist ähnlicher Meinung: «Was diesen Tatort so sehenswert macht, sind die beiden Hauptdarsteller. Deren zwischenmenschliches Hin und Her ist unterhaltsamer als die eigentliche Handlung.»
Die Handlung war der große Schwachpunkt des Frankfurter Tatorts. Der vermeintliche Mord entpuppt sich als perfide vorbereiteter Selbstmord. Rüdiger Lange (Stephan Grossmann), der Tote aus dem Nachtzug, hat sich die Pistole selbst gegen die Brust gesetzt. Die Waffe warf er aus dem Zugfenster, dann zog er den Vorhang zu und legte sich zum Sterben auf das Bett des Schlafwagenabteils. Es sollte aussehen wie ein Mord, dem er seinem alten Kumpel Kilic (Jevgenij Sitochin) in die Schuhe schieben wollte. Der hatte ihn vor Jahren bei einem Afghanistan-Einsatz in krumme Geschäfte verwickelt, weswegen Lange aus der Bundeswehr entlassen worden war.
Das alles inszenierte Lange auch, damit seine Familie von einer Lebensversicherung in Höhe von 250.000 Euro profitieren konnte. Gewagt, denn Steier und Mey kamen dem Plan auf die Schlichte, hielten das Untersuchungsergebnis allerdings geheim, denn im Falle eines Selbstmords hätte die Versicherung nicht gezahlt. Pflichtversessen sind sie also nicht, die beiden. Sondern wohlwollend und mitfühlend. Sie erkannten, dass Langes hochschwangere Frau das Geld gut gebrauchen konnte.
Gute Schauspieler bei Laune halten
Für das nächste Mal ist Kunzendorf und Król eine überzeugendere Geschichte zu wünschen. Sonst ergeht es den beiden wie Prahl und Liefers. Die ermitteln in immer abstruseren Fällen, die nur noch als ein Alibi für die verbalen Schlagabtausche der beiden erscheinen. In Münster habe man «nix als Pointen zwischen den Ohren», schimpfte die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich.
Noch überschütten die Medien das neue Frankfurter Tatort-Team mit Lob. Die Verantwortlichen der ARD sollten sich jedoch nicht nur darüber Gedanken machen, welchen Schauspieler sie als nächsten Kommissar verpflichten, sondern auch darüber, wie sie hervorragende Mimen wie Kunzendorf und Król sowie letztlich auch die Zuschauer mit guten Stoff- und Figurenentwicklungen bei Laune halten.
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Frankfurter «Tatort» – Mit Sexappeal und ohne Hose
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