Nachdem ich dieses Jahr bereits ja schon einmal kurz in der Emilia Romagna in Italien war, führte es mich auf Einladung erneut für ein paar Tage mit dem Rennrad in diese Region. Eine Möglichkeit, die Vorzüge dieses herrlichen Landstrichs nun noch besser kennenzulernen. Und wie sich herausstellen sollte, auch besonders zu schätzen.
Mit dabei war meine Familie, denn es galt ebenfalls herauszufinden, inwieweit das Rennradfahren oder Radfahren im Allgemeinen im Urlaub kompatibel zum Familienleben sein kann. Quasi ein Test also. Wie es meiner Familie erging, erfahrt ihr aus Sicht meiner Frau am Ende dieses Berichts. Dazu gibt es noch weitere Infos. Ihr dürft gespannt sein!
Ausgangspunkt in dieser Woche war dabei das „Grand Hotel Terme della Fratta" im gleichnamigen Ort Fratta Terme. Manuela, die Hotelmanagerin, hatte mich und meine Familie eingeladen und so kamen wir bei schönstem Wetter in der Emilia Romagna an. Herbst und dabei Temperaturen leicht über der 20 Grad-Marke versüssten uns direkt die Ankunft. Idealerweise konnte ich mein Rennrad direkt sicher in den eigens dafür vorgesehenen Radkeller unterstellen. „Wir haben in diesen einen Keller Abstellplätze für vierzig Fahrräder, in dem anderen sogar für fünfzig!", erzählte mir Manuela. Da war ich baff. „Den Platz brauchen wir, denn es kommen auch schon mal die Profi-Teams des Giro d' Italia vorbei. Am 21. Mai 2020 ist es wieder soweit, dann führt eine Etappe dieses Klassikers direkt vor dem Hotel her!", erzählte sie mir mit Stolz in der Stimme. „Außerdem verläuft der legendäre Gran Fondo Nove Colli, der übrigens nächstes Jahr sein fünfzigstes Jubiläum feiern wird, mit seinen rund 13.000 Teilnehmern ebenfalls hier direkt vor der Tür!" Kein Wunder, dass da Stolz mitschwingt, wenn diese weltberühmte Radrundfahrt und dieser legendäre Gran Fondo direkt unmittelbar vor der Haustür vorbeirollen. Nicht schlecht. Ich war beeindruckt.
Jetzt war allerdings Nebensaison und es war etwas ruhiger. Die Geschäfte und kleinen Cafés in den Dörfern hatten nicht mehr ganz so viel zu tun und es war schön beschaulich und nicht so stressig, wie es oft in der Saison mit den Touristenströmen ist. Das gefiel mir sehr gut, weil man einen viel besseren Einblick in die „eigentliche" Emilia Romagna bekommen konnte. Beste Voraussetzungen, um am nächsten Tag auf eine erste Radtour hinauf in die Hügel zu gehen.Direkt vom Hotel führte mich die Runde zunächst recht flach durch die Landschaft. Optimal zum Aufwärmen, bevor es dann sanft ansteigend auf die ersten Erhebungen der Landschaft ging. Auffallend war, dass ab hier so gut wie kein Verkehr mehr herrschte und ich die Straßen quasi für mich alleine hatte.
Ich konnte das Radfahren richtig genießen und bin wahrscheinlich die ganze Zeit über mit einem Grinsen gefahren. Auch, wenn mancher Climb ruppig und anstrengend war. Die Aussichten von oben hinein in die Täler und über die sanften Bergzüge entschädigten für jede Anstrengung. Die Sonne spielte mit und wärmte mich hin und wieder auf dem Rücken bei den rasanten Abfahrten zwischendurch. Aufpassen musste ich jedoch auf die Fahrbahnbeschaffenheit. Teilweise durchzogen Risse die Fahrbahndecke. Nicht dramatisch, doch ich konnte doch deutlich sehen, dass der Untergrund aufgrund von Erosionen nicht immer ganz fest war. Zwar kein wirkliches Problem für mein Rennrad, trotzdem behielt ich die Straßen immer im Auge.
Nach den kurzweiligen Serpentinen bei Piandispino ging es über einen kleinen Bergkamm. Von hier gab es atemberaubende Aussichten nach links und rechts. Ein guter Platz um einmal zu stoppen und das Panorama zu genießen, bevor es mit Tempo und guter Laune hinab ging. Bald darauf kam dennoch der höchste Punkt, auf den ich mich heraufwinden musste. Der Monte Mercurio. Klingt ziemlich hoch, ist er aber nicht. Die Abfahrt hinunter in das kleine Örtchen Rancho entlastete meine Beine. In einer kleinen Gelateria gönnte ich mir ein Eis und konnte von einer Bank aus das beschauliche Dorfleben beobachten. In der Ruhe liegt die Kraft, wäre hier der passende Titel gewesen.
Von hier aus war meine Route recht flach, die Ortschaften wurden etwas größer, der Verkehr nahm leicht zu. Borello, San Carlo und San Vittore lauteten die Namen der Dörfer, bevor es zu einem weiteren Highlight ging. Hinauf nach Bertinoro. Gelegen auf einer Anhöhe am östlichen Abhang des Apennin. Die Stadtburg (Rocca) stammt aus dem Jahre 1000 und das heutige Rathaus, der Palazzo Ordelaffi, wurde vom gleichnamigen Stadtherrn im Jahre 1306 erbaut. An einem Aussichtspunkt schweifte der Blick weit hinunter in die Ebene hinein und mir dämmerte, das dies eine wunderbare Region zum Erholen war, die da zu meinen Füßen lag.
Radfahren, in den vielen gemütlichen Cafés mal eine Pause einlegen, sich in den vielen historischen Kulissen treiben lassen und einfach mal vom Alltag abschalten ohne ständig auf die Uhr schauen zu müssen. Das konnte ich an jedem Tag in der Emilia Romagna bewusst genießen. Und um noch weiter entspannen zu können gab es Abends im Hotel nach all den erstrampelten Höhenmetern eine angenehme Beinmassage, um die Muskulatur locker zu bekommen. In den professionell eingerichteten Räumlichkeiten und mit dem netten Personal konnte ich mich von den Vorzügen dieses Angebots überzeugen. Bisher habe ich solche Annehmlichkeiten noch nie im Zusammenhang mit Radfahren ausprobiert. Aber ich muss gestehen, dass die Massage schon eine ziemliche Wohltat war. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.
Mit frischen Muskeln und voller Tatendrang nahm ich am nächsten Tag ein neues Ziel in Angriff. Nicht mehr als die wohl älteste Republik der Welt, hoch oben auf dem Felskamm des Monte Titano, wollte erkundet werden. Der fünftkleinste Staat der Welt mit seinen rund 30.000 Einwohnern liegt in guter Rennrad-Reichweite vom Hotel Fratta Terme entfernt. Im Vorfeld hatte ich mir dafür eine flachere Etappe zurechtgelegt. Über Forlimpopoli, Cesena und Savignano Sul Rubicone wollte ich die dann schnell steil werdenden Passagen in San Marino erobern. Das Wetter war abermals ideal und ich war guter Laune. Auf meiner geplanten Route war mehr Verkehr als ich zunächst gedacht hatte. Straßenschilder mit Tempolimit waren anscheinend eher Dekoration. Mein Tempo war mit über 30 Stundenkilometern ganz okay und ich kam gut voran. Durch Cesena mit dem Rad zu fahren war dennoch unangenehm, die Route würde ich beim nächsten Mal hier anders führen.
Ab Santarcangelo di Romagna mit der herrlichen Piazza Ganganelli, wo es sich lohnt in den umliegenden Cafés eine Pause einzulegen und dem sehenswerten Triumphbogen wurde es wesentlich schöner zum Radfahren. Den Monte Titano konnte ich nun bereits aus der Ferne sehen. Imposant und mächtig stach er aus der Landschaft heraus. Jetzt fingen die Anstiege an. Meine Hoffnungen, den relativ günstigsten Weg erwischt zu haben, wurde dann mit knackigen Rampen zunichte gemacht. Wer intensives Training bevorzugt, der kann sich hier sehr gut abarbeiten. Der „Grenzübertritt" war unmerklich. Am ersten Ortsschild mit dem Wappen darauf musste erst einmal ein Foto her. Durch ein paar Nebenstraßen stand ich dann an der Schnellstraße, die am Fuße des Berges stetig hinaufführt. Die ist allerdings durch den brausenden Verkehr unschön zu fahren, daher galt mein Ziel der Station der Seilbahn, die bequem hinauf in die historische Festungsstadt La Guaita führt. Hier traf ich mich dann mit meiner Familie nach etwas über 60 Kilometern wieder. Wir packten das Rad kurzerhand ins Auto, ich zog mir ein Paar Turnschuhe an und los ging's um das grandiose San Marino zu erkunden. Auch so kann also ein Familienurlaub mit Sport und gemeinsamen Sightseeing vereinbart werden.
San Marino ist absolut einen Besuch wert. Gerade zu dieser Jahreszeit, wo der Besucheransturm vorbei ist und es in den kleinen und schmalen Gassen eher gelassen zugeht. Die typischen Touristen-Shops priesen zwar ihre steuerlich angeblich günstigen Waren an, viel zu kassieren gab es wohl momentan nicht. In den Restaurants konnte ohne Probleme ein Tisch bekommen werden, die Kellner waren freundlich und entspannt. Das Panorama in die Hügel oder in die Flachebene bis zum Mittelmeer war in warmes Herbstlicht getaucht und wunderschön. Genuss pur.
Genauso war dann auch die Abfahrt mit dem Rennrad. Es war schon später Nachmittag, die Sonne stand schon etwas tiefer. Doch ich wollte unbedingt noch bis zum Strand in Riccione und dort den Radtag beschließen. Die Schnellstraße verlor schnell ihren stark befahrenen Charakter und ich machte ordentlich Tempo. Die Kurven waren prima zu fahren und ehe ich mich versah, lag San Marino hinter mir. Hier war jetzt reines Flachland, Landwirtschaft prägte das Bild. Die Felder waren bereits umgepflügt als ich über die asphaltierten Feldwege und kleinen Nebenstraßen Gas gab. Hier war es richtig schön und ich konnte die Fahrt mit allen Sinnen genießen. Trotzdem ich nun eher im Sportmodus in die Pedale trat.
Im letzten Sonnenlicht erreichte ich Riccione. Einige Bars und Geschäfte hatten noch auf, auch wenn hier die eigentliche Saison vorüber war. Der Strand war leer. Der Himmel färbte sich im letzten Licht in dezenten Farben. Über 90 Kilometer lagen hinter mir. Abwechslungsreich, phasenweise zwar mit nervenden Passagen, aber im Gesamten dann doch eine richtig runde Sache.
Ausgepowert kam ich wieder im Hotel Fratta Terme an. Ein Segen für den müden Körper waren dann die dortigen Thermen, die aus elf antiken römischen Quellen gespeist werden. In dem salzhaltigen Wasser konnten die Muskeln wunderbar regenerieren. Gleichzeitig gab es verschiedene Über- und Unterwassermassagen. Eine Wohltat für meine Waden und Oberschenkel. Danach ging es noch in den warmen Ruheraum. Bei leisen, asiatischen Klängen und ätherischen Duftölen, eingewickelt im Bademantel, musste ich vor lauter Entspannung aufpassen nicht direkt ins Schlummerland hinüber zu gleiten. Da wundert es mich nicht, dass sogar Astronauten der ESA hier nach ihren Raumflügen schon mal regenerieren!
Was wäre die Emilia Romagna ohne der Volkshelden Marco Patani? Der legendäre Radrennfahrer, der bisher als letzter zwei der großen Radrundfahrten in einem Jahr gewinnen konnte (1998, Tour de France, Giro d'Italia), stammte aus Cesena. Sein kraftvoller, auffälliger Fahrstil war legendär und er war sehr beliebt beim Publikum. Doch zur Wild West-Zeit des Dopings kam auch Pantani nicht umher und nahm anscheinend jahrelang EPO, um seine Leistung zu steigern. Nachdem er überführt, gesperrt und erneut überführt wurde, glitt er in die Depression ab und starb letztendlich viel zu früh einsam in einem Hotelzimmer in Rimini durch eine Überdosis Kokain.
Sein Heldenstatus tat dem kein Abbruch und man kann heute noch viele Spuren dieses italienischen Radrennfahrers finden. Auf diese Spuren begab ich mich am nächsten Tag. In Cesenatico gibt es in einem nett hergerichteten alten Bahnhofsgebäude ein kleines Pantani-Museum. Zahlreiche Ausstellungstücke, darunter Pokale, Fahrräder und legendäre Trikots, gibt es dort zu bestaunen. Und wer sich die Mühe gemacht hat, all die unzähligen Zeitungsartikel auszuschneiden, der muss echt viel Zeit gehabt haben. Für einen kleinen Einblick in das Leben von „Il Pirata" lohnt sich ein kurzweiliger Besuch allemal.
Mittags begab ich mich mit dem Rennrad auf die Straßen, auf denen Pantani einst sein Training absolviert hat. Ob er dort wirklich seine Waden gehärtet hat, sei dahingestellt, aber nicht unwahrscheinlich. Auf der „Pantani-Road", die sich über einige Kilometer mit steilen Rampen von teilweise bis zu 15 % hinzieht, ist in beeindruckender Weise an vielen Stellen der Name PANTANI auf den Asphalt gepinselt. Ich nahm diese Herausforderung an und kurbelte unermüdlich in die Höhe. Der Autoverkehr tendierte gegen Null. Das Bergauffahren war zwar anstrengend, dennoch absolut stressfrei. Nach einigen mehr oder weniger schweren Kilometern war ich dann endlich oben angekommen und machte Pause an dem Gedenkstein zu Ehren Pantanis. An einem kleinen Trinkbrunnen füllte ich mein Wasser auf. Von hier oben hatte man abermals eine schöne Fernsicht. Ob Pantani das auch so genossen hat? Bei dem warmen Sonnenlicht war es jedenfalls wunderschön. Die Abfahrt über den Bergkamm war eine Freude. Zum Abschluss des Tages gab es dann ein leckeres Eis aus einer Gelateria unten in der Altstadt von Cesena. Gemeinsam mit meiner Familie, denn wir waren quasi dort verabredet. Die Stadt lädt zum Verweilen und schlendern in den verwinkelten Gassen ein. Das Fahrrad schiebend schauten wir uns dort neugierig um.
Hungrig wie ein Berglöwe war ich gespannt auf das Abendessen im Hotel. Dort hatte es schon die ganzen Tage zuvor allerlei leckere Vor-, Haupt- und Nachspeisen gegeben, die absolut Spitze waren. Abwechslungsreich, fein abgestimmt und kreativ. Dazu gab es passend einen Hauswein. Selbstverständlich direkt aus der Region und unheimlich süffig. Da ging eine Flasche schnell über den Tisch. Eine wirklich hervorragende Küche, ohne jetzt übertreiben zu wollen. Anders kann man das nicht nennen.Na, und einen stilvollen Absacker gab es dann hinterher meist noch im hoteleigenen Salon.
Am letzten Radtag ging es dann zusammen mit dem Guide Riccardo auf Tour. Mit seinen fast sechzig Jahren war er richtig fit und genau der Typ, der dir viel Hintergrundwissen vermitteln kann.Wir fuhren über Rocca delle Caminate, wo das gleichnamige Castle einst in der 1930er und 1940er Jahren Sommerresidenz des faschistischen Diktators Benito Mussolini war. Hoch gelegen, mit tollem Ausblick. Den mussten wir uns zuvor aber erst über teils fiese Rampen erkämpfen. Auf diesen historischen Begebenheiten wandelten wir nach herrlicher Abfahrt auch wieder in Predappio. Dort steht das Geburtshaus von Mussolini und mit der Casa del Fascio ein typisch architektonisches Gebäude, was die Überheblichkeit und die Machtansprüche des Faschismus der damaligen Zeit widerspiegelt. Etwas gruselig, steht es momentan leer und rottet vor sich hin. Heute gibt es Überlegungen, daraus eine Art Faschismus-Museum zur Aufarbeitung dieser Epoche zu machen. Auf dem nahen Friedhof liegen die Gebeine des Despoten, dessen Geschichte leider immer noch bei den ewig Gestrigen in dem Ort allgegenwärtig ist, wie Riccardo traurig erzählt.
Ein Stück weiter, quasi in Richtung Altstadt von Predappio, existieren noch die weit verzweigten Bunkeranlagen, in denen in der Kriegszeit sogar Flugzeuge gebaut wurden! Heute wird ein Teil dieser Anlagen von der Universität Bologna als Windkanal u. a. für Turbinen genutzt.
Ein paar Meter weiter oben, in der sogenannten Altstadt, machten wir kurz einen Stop in einem sehenswerten, kleinen Weinkeller, gleichzeitig eine Art Museum. Zwar verköstigten wir dort nichts, aber die Kellergewölbe und die alten Weine an den leicht feucht riechenden Wänden sowie die uralten Bottiche, die einst für die Weingewinnung benutzt wurden, waren sehr interessant.
Hügel und kleinere Serpentinen prägten den weiteren Weg. Ein auf und ab mit genussvollen Abfahrten und wunderschönen Aussichten in die herbstlich, warmeLandschaft. In dem Ort Castrocaro Terme e Terra del Sole fuhren wir auf ein imposantes Burgtor zu, welches von den Medici erbaut wurde. Zum Schutz der Straße, die direkt von hier bis nach Florenz führt. Hinter den Mauern hielten wir an einem kleinen Café, tranken einen Kaffee und aßen ein sehr lecker belegtes Focaccia-Brot.
In Vecciazzano besuchten wir kurz Alessandro Malaguti, den ehemaligen Profi, mit dem ich ja schon im Juni eine Tour machen durfte, bei einer Rennradveranstaltung. Es ging auf dem Startgelände hoch her, doch für ein gemeinsames Foto mit Manuela, die ebenfalls vor Ort war, nahm er sich gerne Zeit. Etliche Fahrer kamen oder fuhren los, einen Überblick, was hier genau vor sich ging, erschloss sich mir nicht. Es sah zumindest nach einer Menge Spaß aus, denn einige fuhren doch glatt mit übergezogenen Baströckchen. Wir schauten ein wenig zu, bevor Riccardo und ich uns verabschiedeten und zum Highlight des Tages fuhren.
Über breite, flache Straßen, fuhren wir nun mit ordentlichem Tempo. Endlich mal etwas Rückenwind tat gut. Da machte das Fahren mit dem Rennrad richtig Spaß. Riccardo hatte mir den lieben langen Tag von einer tollen Weinverköstigung bei Bertinoro vorgeschwärmt. Um dahin zu gelangen, mussten wir erst einmal wieder die Festungsstadt erklimmen. Über Seitenstraßen ging es dann hinab in ein Tal. Links und rechts waren überall Weinreben, die zu dieser Jahreszeit rötlich-braun schimmerten. Wunderschön anzusehen. Dann mussten wir über eine Schotterpiste fahren. „Auf die Strade Bianchi", rief ich lachend zu Riccardo. Und dann hielten wir plötzlich vor einem alten Haus im Nirgendwo. Kein Restaurant, kein Weinkeller, einfach ein kleiner Bauernhof, so schien es. „Hier verläuft sich kein normaler Tourist hin", ging es mir durch meinen Kopf. Riccardo kannte den Besitzer natürlich, einen sympathischen Weinbauern.
Er führte uns ins Gebäudeinnere und zeigte uns die vielen Weinfässer unterschiedlicher Qualitätsweine und auch die Gärungsprozesse in großen metallenen Behältern durften wir uns anschauen. Durch viele Prozesse entstehen diese schmackhaften Weine, die absolut reinster Natur sind. Keine Zusätze, kein Pasteurisieren, gar nichts. Und was es da für Unterschiede gab! Ich hätte nie gedacht, dass die Ernte der Trauben von ein und demselben Tag, die einen nur von Morgens, die anderen von Nachmittags, komplett anders schmecken! Und so ging es dann vorbei an einigen Fässern. Mit einer großen Pipette wurde der köstliche Wein jeweils aus den Fässern entnommen und in ein kleines Weinglas gefüllt. Was für ein Hochgenuss. Eine irre Geschmacksexplosion. Wäre ich nicht mit dem Rennrad da gewesen, hätte ich gerne einige von diesen süßen und fruchtigen Weinen mitgenommen. Riccardo hatte nicht zu viel versprochen! Das war ein toller Ausflug gewesen.
Nun stiegen wir, einige Weine intus, wieder auf die Räder. Riccardo hatte davor gewarnt, das die ersten Meter echt hart werden würden. Jetzt wusste ich wieso. Kalte Muskeln, Wein im Körper und direkt eine Steigung im zweistelligen Prozentbereich ließ uns kräftig schnaufend, kurz vorm Umkippen, den Berg hinauf kurbeln. Dann war es auch schon vorbei und wir rollten kitschig schön in den Sonnenuntergang. Dabei wurde mir leicht wehmütig. Es war der letzte Tag gewesen. Die Tage vergingen leider viele zu schnell und es war einfach schön gewesen. In kurzer Zeit gab es in der Emilia Romagna viel zu sehen und zu erleben. Die Landschaft war einfach herrlich und abwechslungsreich. Die Jahreszeit war perfekt. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Hier mit dem Rennrad zu fahren war mir eine Freude gewesen und zugleich eine große Motivation für zukünftige Radtouren. Die ganzen Annehmlichkeiten im Grand Hotel Terme della Fratta waren großartig und ich beziehungsweise ja wir, müssen uns bei Manuela bedanken, dass wir die Möglichkeit dazu bekommen haben, die Region in dieser Form entdecken zu dürfen. Das Essen, die hervorragende Terme -hier konnten wir zusammen als Familie prima alles unter einem Hut bekommen, da das Hotel gut für diverse Ausflüge gelegen war. Für mich nach dem Radfahren abschalten, relaxen und regenerieren, war ebenfalls optimal. Und wenn uns die wenigen Tage viel länger vorkamen, als sie eigentlich waren, dann wußten wir, dass wir uns gut erholt hatten. Ob ich wieder in die Emilia Romagna fahren würde? Das würde ich zum Abschluss ganz klar mit einem Ja beantworten.
„Heute melde ich mich mal zu Wort. Wer ich bin?!? Ich bin die bessere Hälfte von Tom. Manche nennen mich auch das „Ministerium", weil sie glauben, dass alles erst über meinem Tisch gehen muss. Es ist manchmal nicht ganz leicht mit einem fahrradverrückten Mann verheiratet zu sein. Arbeit, Familie und Bloggen unter einen Hut zu bringen ist ein schwieriges Unterfangen. Gerade das Fahrradfahren selbst nimmt extrem viel Zeit in Anspruch. Aber irgendwie haben wir es bisher ganz gut geschafft. Beim gemeinsamen Urlaub spielt das Thema „Biken" immer eine große Rolle. Als Tom Anfang Juni in die Emilia Romagna fliegen durfte, um dort die Gegend mit dem Rad zu erkunden, war ich schon etwas neidisch. Als dann danach erneut eine Anfrage aus der Region kam, hatte ich die Idee das mal aus Sicht der Familie zu schildern. Das kam an. Da wir für die Herbstferien eh noch nichts vorhatten passte es ganz gut noch einmal den Sommer zu verlängern. Das Dolce Vita genießen bei Pasta, Vino und Gelato. Die Emilia Romagna, welch klangvoller Name. Bei der Ankunft am 4Sterne Hotel „Grand Hotel Fratta Terme" wurden wir recht herzlich willkommen geheißen. Ein süßer kleiner Ort mit einem Café, einer Bank und Post, Minisupermarkt, kleiner Boutique. Das Hotel war ein klassisches altes Grand Hotel mit viel Liebe zum Detail hergerichtet. Kronleuchter hingen von der Decke, eine kleine Bar mit Salon (in welchem Hotel findet man denn noch sowas) und Stuckarbeiten an der Decke. Das Highlight dieses Hotel sind aber die Terme. Wir hatten das große Glück freien Eintritt in die Terme haben zu dürfen. Ein großes Thermalbecken mit hohen Säulen, Massagedüsen, ein Kneipp-Becken, türkisches Dampfbad, Sauna, Erlebnisduschen, Relax-Becken und Ruheraum. Danach fühlte man sich wie ein neuer Mensch. Die langen Öffnungszeiten ermöglichten uns sogar nach einem unglaublichen Abendessen mit mehreren Gängen gemeinsam noch in den Genuss des Wellnessbereiches zu kommen. Aber wie sahen unsere Tage nun im Urlaub aus? Nach einem gemeinsamen Frühstück hat sich Tom auf sein Rennrad geschwungen, während wir die Gegend mit dem Auto erkundeten. Ich bin nämlich nicht so fahrradaffin und unser Sohn erst recht nicht. Am ersten Tag wurde nicht viel geplant, sondern zur ersten Orientierung einfach nur durch die Gegend gefahren, während Tom auf seine erste Tour ging. Lustigerweise sind wir fast zeitgleich wieder im Hotel gelandet. „Und, was habt ihr heute so gemacht?" „Also, wir waren in Bertinoro, eine kleine alte Stadt mit einer Festung oben auf einem Berg." „Ach, ihr wart auch da?" Beim Vergleich der Fotos stellten wir schnell fest, das wir uns um ganze 10 Minuten verpasst hatten. Wir hatten fast identische Fotos vom Turm in Bertinoro gemacht, der eine Turmuhr hat. Das eine Bild zeigte 13:45 Uhr, das andere Bild 13:55. Uhr. Was haben wir gelacht. Manchmal haben wir uns an Sehenswürdigkeiten direkt getroffen, sind gemeinsam ein Eis essen gegangen oder haben die Altstadt in Cesena zum Beispiel gemeinsam erkundet. Gefunden haben wir uns immer schnell und zeitlich passte es auch meistens. Wir sind da schon ein eingespieltes Team und zum Glück gibt es wahoo mit seinem Live-Track. Ein richtig toller Ausflug war der nach San Marino. Da die Saison bereits vorbei war, konnten wir ohne Probleme einen Parkplatz direkt unten an der Seilbahn finden. Im Sommer muss dort ein Riesenchaos herrschen. Tom kam mit dem Rad dorthin. Kofferraum auf, Fahrrad rein, einmal schnell die Schuhe gewechselt und schon konnte es gemeinsam mit der Seilbahn rauf in die Altstadt gehen. Schöne kleine Gassen, mit vielen Geschäften und Restaurants. Da machte das Bummeln richtig Spaß. Da das Radfahren ja bekanntlich Hunger macht suchten wir uns ein schönes Lokal mit Aussenterrasse oben auf dem Berg aus und aßen erstmal eine Pizza. Wirklich lecker, und gar nicht teuer. Etwas später trennten sich dann wieder unsere Wege. Tom wollte noch Richtung Meer fahren. Und da unser Sohn immer Spaß an Strand und Meer hat sind wir ihm gefolgt. Wir machten einen Treffpunkt in Riccione aus. Auch hier war die Saison bereits vorbei. Wirklich schade, da das Wetter noch traumhaft schön war. Es wurde langsam Abend und gemeinsam genossen wir noch die letzten Sonnenstrahlen an diesem Tag. In Cesenatico wurde natürlich das Marco Pantani Museum gemeinsam besucht. Klein aber fein. Leider war dort fast alles nur auf Italienisch. Ich habe also nicht wirklich viel verstanden. Zumindest für Fahrradinteressierte wie meinen Mann ein absolutes MUSS. Der Freizeitpark Mirabinladia in Ravenna war nicht weit vom Hotel entfernt. Da unser Sohn gerne Achterbahn fährt besuchten wir natürlich diesen Park. Was hatten wir für einen Spaß. Bei sommerlichen 25 Grad im Oktober noch Wasserbahn fahren zu können ist schon was Besonderes. Ich weiß nicht, ob wir einfach nur Glück hatten. Jeden Tag hatten wir traumhaft schönes Wetter. Es gab dort viel zu sehen. Die Landschaft war wunderschön mit den Weinbergen, sanften Hügeln, und Pinien. Rückblickend kann ich sagen, dass dieser Urlaub etwas Besonderes war. Das erste Mal war Tom wirklich jeden Tag mit dem Rad unterwegs. Durch eine geschickte Planung haben wir allerdings gemeinsam genug zusammen erlebt und gesehen. Wirklich jeder in der Familie kam auf seine Kosten und wir haben den Spagat geschafft. Die Woche ging einfach viel zu schnell rum und mit ein wenig Wehmut mussten wir leider unsere Koffer packen."
Einige weitere Infos findet ihr unter diesen Links!
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