Gespräch der Redaktion Salatgarten mit dem Autor Wilhelm Fink
Unser Gründungsmitglied Wilhelm Fink (Jg. 1929) veröffentlichte Lyrik («Das Nichtzusammenhängende montieren») den Roman »Die ZimtZiege«, 1998, Kritiken, Essays («Vicos FANTASIA«). Seiner Studie über die Kreativität und Sprache bei Paula Modersohn-Becker verdankte das Modersohn-Museum Fischerhude neue Einsichten, durch Finks »kongeniale« Einfühlung in die Eigenart der Künstlerin, wie es hieß. Fink arbeitet auch als Kulturmittler. Er ist Moderator für Literatur im Internet (www.vavo.de), er gab mehrere Lyrikbände heraus und schrieb das Vorwort für das deutsch-italienische Gedichtbuch »Mohnblüten im Schnee« von Renate Nicolussi-Leck, Bozen. Moskau druckte seine Nachdichtungen von Sowjetlyrik. Für die Zeitschrift der IG Medien berichtete Fink über das Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. Zur Zeit arbeitet Fink an seinem Roman »Mit Hegel im Unterholz«.
Wann ist Ihnen der Name Hans Fallada das erste Mal begegnet?
Meine Eltern lernten Hans Fallada in Neumünster kennen. Er kam zu ihnen in ihr Hotel „Doppelkrone“. Als „Bauern, Bomben, Bonzen“ erschien, wußten sie über die einzelnen Figuren des Romans Bescheid. Ich las den Roman, als ich 12 Jahre alt war. Inzwischen lebten wir in Hamburg in der Hasselbrookstraße, wiederum, in der Adresse, eine Nähe zu Fallada. Übrigens veröffentlichte der Verlag des Holsteinischen Courier, Neumünster, meine ersten Gedichte und die Erzählung, „Aus Gebüsch unter dem wir liegen“, eine Erzählung, die an der Ostsee bei Grömitz spielt.
Sie haben auch als Medienmittler gearbeitet. Geben Sie uns Beispiele.
Ich war in Hamburg Schriftführer des Schriftstellerverbandes. Es war die Zeit, als der Verband noch im Turmzimmer am Glocken gießerwall hauste und wir die Werkstattgespräche im Hamburg Centrum (Millerntor-Hochhaus, inzwischen gesprengt) und die Reihe »Dichter auf dem Markt« organisierten. Als die Sowjetlyriker aus Moskau kamen, darunter der spätere Chefredakteur von Ogonjok, Vitalij Korotitsch (in den USA Mann des Jahres), lasen sie vom Lastwagen herab, gegenüber der Hamburger Börse. Den Strom lieferte die Deutsche Bank aus ihrem Keller. Ihr Vorstand Karl Klasen, später Bundesbankpräsident, lud uns alle im Anschluß an die Alster ins Abshaus ein. Es gibt noch eine anspornende Postkarte aus der Schweiz an den Vorstand. Geschrieben hat sie aus der Schweiz der Hamburger Hans Leip, der Dichter von Lili Marleen.
Sie engagieren sich nicht bei einem der großen Verlage. Warum?
Die Medien-Konzerne sind ein Horror. Die Wege für die Kreativen in der modernen Welt sind sehr weit gewor den. Gäbe es nicht das Internet als Meinungsbühne, dann könnten uns die Verlags- und die andere Medien-Barrieren verzweifeln lassen. Man fällt in diesen Medienteich hinein und rettet sich wieder heraus, indem man nicht alles verfolgt. Ich konzentriere mich auf das Eigene. Wenn alles um uns herum immer dumpfer, immer unpointierter wird, dann sehnt man sich nach scharfen Umrissen.
Der Roman, an dem Sie schreiben, hat den Titel «Mit Hegel im Unterholz». Haben Sie vor, Prosa und Philosophie zu verbinden, etwas Ähnliches wie SOPHIES WELT?
Ein Geweb’ aus Fels, dieses magische Wort mag kennzeichnen, was ich anstrebe. Nicht in der alten Erzählform will ich arbeiten mit ihren großen epischen Landschaften. Der Struktur folgen, heißt nicht, sich mit etwas endgültig zu verbinden, sondern etwas zu begleiten, im Knüpfen und im Verknüpfen, erst zwei, dann viele Fäden, die sich umschlingen, die in Drehung fest und fester werden, das ist eine aufregende Sache, wenn der Text selbst Dynamik und Richtung bekommt.
Sie nehmen Dinge hinein, die man in einem Roman nicht erwartet. Zum Beispiel die Biochemie und Fragen der menschlichen Wahrnehmung.
Die moderne Welt gibt auch dem Roman ein neues Gesicht. Die jüngsten Ergebnisse der Naturwissenschaft stützen das Phantastische am Schriftsteller. Unser Gehirn hat Fähigkeiten der Imagination, die das Erfinden fast zu etwas Tatsächlichem machen. Besonders bewegten Gegenständen folgen wir mit den Augen und nervlich-datenverarbeitend nicht nur, son dern wir ziehen im Gehirn etwa den Flug eines Tennisballs in seiner Zielrichtung ver längernd weiter, also über den Punkt hinaus, der im Moment tatsächlich erreicht ist. Man hat es errechnet, – bei einem Ball von Boris Becker sind das immerhin sechs Meter. Für diese Strecke hat unser Gehirn «innen» ein Bild produziert, das für das Auge „als draußen“ erscheint, – das es dort draußen aber noch gar nicht gibt.
Haben Sie besondere Absichten, wie Sie den Leser ansprechen? Wollen Sie Ziele vorgeben?
Max Brod schreibt Kafka über Tonio Kröger und vermerkt dabei das „eigentümliche nutzbringende Verliebtsein in das Gegensäzliche“. Äußerste Konzentration kennt keine Anstrengung, so heißt es bei Kafka. Überdeutlich bis zur Unwirklichkeit, so ausführlich und in magischer Realitäts-Erfassung beschreibt Kafka Felice, die er zum erstenmal bei Max Brod sieht. Da haben wir doch vielleicht das Einzigartige, was die Kunst schafft. Der Wirklichkeit noch eins drauf zu geben.
Sind Sie als Autor Herr des Produktionsprozesses, entwerfen Sie Ziele?
Nein. Ich bin ich kein Steuermann. Ich bekenne mich zu der Ambivalenz des Schrift stellers. Das befähigt uns, subtilste Entscheidungen zu treffen im kreativen Strom. Der Schriftsteller weiß vorher nicht, in welche Tiefe sein Schreiben hinab stoßen wird. Es sind durchlaufende Prozesse, ein fortwährendes Werden und Vergehen im Wechsel.
Stichwort: Der Künstler und der Normalmensch, sagen Sie uns dazu etwas.
Einer wird nicht von ungefähr zum Künstler. Es im Kopf durchspielen, was der Leib vielleicht dann gar nicht erfährt. Der Schriftsteller erlebt wenig und schreibt viel darüber. Es geht beim Schreiben um einen Daseins-Entwurf, um einen Lebensvorschlag. Der Entwurf, Konzeption, ist die Empfängnis. Ein EDV-Prozessor, der ausrechnet, was man ihm eingegeben hat, handelt unorganisch. Die Natur dagegen schwingt, springt, tanzt. Sie explodiert. Sie stülpt sich in Geburten verschwenderisch und im Überfluß aus. Jede Zelle trägt punktartig so viel Informationen in sich, – total sinnbezogen und zielorientiert. Jeder Zelle ist ja der Hintergrund eines ganzen Himmels eingespeichert. In Mikro-Verdichtung hält die Zelle für die Verwirklichung riesige Projektfinger tausendfach bereit. Diese Schöpfungs-Potenz, dieser dynamische Wartezustand der Natur, wirkt auf uns. – - Clemens Brentano meinte, einer, der von der Poesie lebt, habe das Gleichgewicht verloren, und eine übergroße Gänseleber, sie mag noch so gut schmecken, setzt doch immer eine kranke Gans voraus. Und der Amerikaner Cheever warnt, – in dem Maße, wie der Schriftsteller seine Phanntasie steigert, steigert er auch seine Fähigkeit, Angst zu empfinden, und er wird unvermeidlich zum Opfer erdrückender Phobien, die oft nur durch fast tödliche Dosen von Heroin oder Alkohol im Zaum zu halten sind. – Wir müssen uns also auch vor einer zu starken Schärfung unserer Wahrnehmung in acht nehmen.
Ihrem Text könnte man vorwerfen, das alles wären nur Licht- und Reizpunkte, wenig Faktisches und Konkretes.
Nun, Goethe sagt, das Aufscheinende, das Phänomen selbst sei die Lösung. Ich will im Roman nicht das Unvereinbare zusammenleimen. Nein, knisternd, in innigster Kommunikation, treffen sich zwei im gemeinsamem Blut- und Gefühls-Kreislauf. Im Roman ist nach Jean Paul jeder Gedanke Nachbar eines Gefühls und jede Gehirnkammer stößt an eine Herzkammer.
Uns fällt Ihre oft sprunghafte Gedankenführung auf. Was passiert da mit Logik, Konsequenz und geordnetem Hintereinander?
Das nicht-lineare Denken kommt aus dem Mythos. Wer den Mythos, wer den Traum, wer das plötzlich Einleuchtende und Erhellende ablehnt, der läßt das Leben fahren. Der Schwell-Charakter der Schöpfung will an den Tag. Auch in der Sprache und ihren Verführerqualitäten. Gelenk- und Schwingpunkte (the time is out of joint) sind prall da und sind weniger kleinmütig als der Zeitgeist. Unsere Lage drückt Alain Robbe-Grillet, seine Romane sind weltberühmt, drastisch aus: „Der Schriftsteller fühlt sich selber wie ein Loch in dieser Welt, die bis zum Überlaufen voll ist.“ — Wir Schreibenden werden von der Zeit verzehrt und gleichzeitig sind wir „ihnen“, den Störern und Zerstören, eine Tagesspeise.
Heißt das, die Schreibenden sollten sich davor hüten, von der Gesellschaft vereinnahmt zu werden?
Ja. Man kann auch zum Esel werden, der den falschen Karren zieht. Zu großes Nachgeben löst den Kern in uns auf, wir zerfließen im Allgemeinen.
Wie frei soll ein Schriftsteller sein?
Ein Brotberuf, eine Familie, eine Partei, die falsche Wohnung, alles kann uns zum Verhängnis werden. Das Feuer in uns, der kreative Prozeß, sie können zugeschüttet werden.
Das Leben des Schriftstellers also als ständige Herausforderung?
Ein Roman entsteht nicht aus Gründen, sondern aus Abgründen. Zu seiner Begabung ist man sozusagen „verurteilt“. Wer nicht beunruhigt werden will vom Lebensrätsel, der mag seinem Naturell, etwa einem Phlegma, folgen und schweigen.
Meinen Sie, daß wir als Zeitgenossen zu sehr kleben bleiben an den Verhältnissen, wie sie sind?
Ja. Das Schlimmste ist: Wir ertrinken in einer Ersatzwelt. Im Fernsehen etwa, durch nichts gerechtfertigte Medienstars, sie dringen zu uns ins Zimmer, täglich verkleben sie mit ihren (oft negativen) Eigenschaften die ganze Gesellschaft. Sie hängen uns an wie ein Kaugummi, in das wir hineingetreten sind. Uns ergeht es mit ihnen, wie es ein Franzose gesehen hat: „Es gibt Menschen, die sind so langweilig, daß man in zehn Minuten mit ihnen einen ganzen Tag verliert“. Mein Romanprojekt »Mit HEGEL IM UNTERHOLZ« hat Vorstülpungen, Anreicherungen. Ich arbeite nicht für die Unwachen. Sollen sie doch ohne Pointen- und ohne zugespitzte Lektüre ihren Weg bis ans Ende gehen. Wie zierlich dann die Blechdose ist, und wie wenig ihre Asche die Urne füllt.
Sagen Sie uns einen abschließenden Satz, wie sie Ihre Arbeit am Roman sehen.
Hegel nennt unser Gedächtnis das «Beinhaus der Wirklichkeiten». Hegels Sprache, oft gescholten, hat erstaunliche Qualitäten. Wie dieser Satz, – „das Hervorbrechen des artikulierten Wortes ist zugleich das Empfangen des Tons in der weichen sich absolut amschmiegenden Unendlichkeit der Luft.“ – - Was uns Schreibenden vorschwebt und was wir auf dem weißen Papier zustandebringen, es ist Zauber und Lassofang glücklicher Energie in kleinen Schüben. Es gibt die Freude am Phänomen, das uns überwältigt. Wir spannen nicht das Band der grauen Tage beim Schreiben über die Lebenslandschaft. Lieber ins bunteste Tuch springen, das es gibt.