Mit Hajo Funke im Gespräch

Hajo Funke ist einer der bekann­tes­ten Politikwissenschaftler Deutschlands. Er hat sich in den letz­ten Jahren immer mehr auf die Beobachtung der rechts­ex­tre­men Szene spe­zia­li­siert und ist im Moment ein gefrag­ter Gesprächspartner, wenn es um die Aufklärung der Vorgänge um die NSU geht. Als eme­ri­ter­ter Professor hatte er zuvor einen Lehrstuhl für Politik und Kultur am Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin inne.

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Prof. Dr. Hajo Funke

Prof. Dr. Hajo Funke stellte sich dem Humanistischen Pressedienst für ein län­ge­res Gespräch zur Verfügung, in dem es vor allem um die Beweggründe ging, die ihn dazu brach­ten, sich mit der Themik Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus schon zu einem Zeitpunkt zu befas­sen, als vom “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) noch keine Rede war.

Vor mehr als drei­ßig Jahren betei­ligte sich Funke an Demonstrationen gegen die Wahl von Franz Joseph Strauß, da die­ser mit Angst vor dem Kommunismus und gegen Andersdenkende sei­nen Wahlkampf führte. Ein ras­sis­ti­sches Wahlkampfvideo der Republikaner im Jahr 1989 war dann jedoch der Auslöser, sich vor allem mit dem Thema aus­ein­an­der­zu­set­zen, wie und auf wel­chen Wegen sich rechts­po­pu­li­ti­sches und rechts­ra­di­ka­les Denken in der Gesellschaft ver­brei­tet.

Gewaltvermeidung und Gewalteindämmung sind seit jeher Zeit die Grundthemen, die sich Funke wid­met. Er nennt das “mein Lebensthema”. Ursächlich dafür war unter ande­rem auch, dass er sich seit 40 Jahren mit sei­nem gewalt­be­rei­ten Vater aus­ein­an­der­set­zen musste.

Die Aufarbeitung der NS-Zeit als “poli­ti­sche Religion” sieht er – auch wegen des Schweigens der Generation des Vaters – als seine Lebensaufgabe an. Dabei inter­es­siert er sich all­ge­mein für “idio­lo­gi­sche Phänomene”; auch die Siedlerbewegung in Israel und der Stalinismus zäh­len für ihn zu den “poli­ti­schen Religionen”. Deshalb stu­dierte (und lehrte) er Politikwissenschaften, Wirtschaft und Geschichte.

Zu den immer wie­der auf­flam­men­den Debatten um ein NPD-Verbot hat Hajo Funke eine Meinung, die über das popu­lis­ti­sche Reagieren der Politiker hin­aus­geht: Nicht ein Verbot besei­tigt die rech­ten Ideologien, son­dern Aufklärung und Bildung. Er nennt das “inte­grierte Prävention”.

Dazu gehört auch (staat­li­che) Gewalt gegen Gruppen, die Gewalt vor­be­rei­ten. Rechtsextreme Dominanz, wie sie in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ver­brei­tet sind, muss mit sozia­ler Prävention begeg­net wer­den. Dazu gehört auch eine sach­li­che Auseinandersetzung mit dem “Phänomen Sarrazin”, so Funke. Menschen, die keine Möglichkeit der sozia­len Absicherung haben oder für sich erken­nen, also eine “soziale Demütigung” erfah­ren, sind leich­ter ansprech­bar auf Rassismus und NS-Gedankengut. Wer sich benach­tei­ligt fühlt, der wird schnell einen “Sündenbock” suchen, den er benach­tei­li­gen kann.

Menschen, die in sozia­ler und kul­tu­rel­ler und nicht zuletzt auch mate­ri­el­ler Sicherheit auf­wach­sen, Menschen, die sich geliebt und gebraucht füh­len, sind viel eher immun gegen rechts­po­pu­lis­ti­sche Parolen. Deshalb ist Bildung eine der wich­tigs­ten Bedingungen, um Kinder gegen die “ein­fa­chen Lösungen”, die Rechtspopulisten anbie­ten, stand­haft zu machen.

In einem der letz­ten SPIEGEL wird Hajo Funke auch zu den Vorgängen in Limbach-Oberfrohna (Thüringen) befragt. Dort wird eine Gruppe Jugendlicher als “Punks” bezeich­net und sowohl der Bürgermeister der Stadt als auch die Polizei brin­gen sich in Stellung gegen diese Gruppe Jugendlicher, gegen die Gruppen, die (Zitat des Bürgermeisters:) ”Mit Sprengstoff arbei­tet.” Denn diese Gruppe stellt sich gegen den offen ras­sis­tisch auf­tre­ten­den Neonazis in der Kleinstadt.

Mit die­ser Haltung erklä­ren die Behörden die Jugendlichen zu Freiwild und schauen weg, wenn Neonazis ein­mal mehr gewalt­tä­tige Überg­riffe gegen die “Punks” ver­üben.

Funke dazu: “Man muss etwas anbie­ten wol­len gegen eine kul­tu­relle und soziale Ausgrenzung.” Dies aber ver­misst er im geschil­der­ten Fall. Den jugend­li­chen Neonazis wird keine soziale Sicherheit gebo­ten, aber “Opfer” zum Sich-Abreagieren.

In einen ande­ren Fall aus dem thü­rin­gi­schen Altenburg wurde ein elf­jäh­ri­ges Kind von der Klasse gemobbt. Andere Kinder wur­den gegen das betrof­fene Kind von ihren Eltern zum Mobbing, zum Ausgrenzen ange­sta­chelt. Auslöser war unter ande­rem die soziale Schicht, aus der das gemobbte Kind stammt.

Hier hat die Lehrerin sofort ein­ge­grif­fen und eine Ballrunde in der 5. Klasse orga­ni­siert. In die­sen 90 Minuten lern­ten die Kinder Strategien, wie mit sol­chen Vorfällen umzu­ge­hen sei: in der Reihenfolge Ignorieren, Lehrer ein­be­zie­hen und Eltern ein­be­zie­hen. Selbst wenn, wie im Altenburger Fall, die engan­gierte Lehrerin inner­halb des Lehrerkollegiums für ihre Arbeit selbst gemobbt wird: sol­che Lehrerpersönlichkeiten sind wich­tig und not­wen­dig.

Es wird gene­rell viel zu häu­fig ver­leug­net und ver­harm­lost, dass wir in der Gesellschaft ein Problem haben mit den Rechtspopulisten. Als soziale Bewegung wer­den diese Strömungen nicht wahr- und nicht ernst­ge­nom­men. Die kul­tu­relle (ideo­lo­gi­sche) Einstellung eines inzwi­schen nicht mehr gerin­gen Teils der Bevölkerung wird weder von der Politik noch den Medien als das wahr­ge­nom­men, was es ist: eine Gefahr für die Demokratie.

Aus die­sem Grund ist Hajo Funke der­zeit auch bei allen Beratungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages als Gast anwe­send. Er sagte, dass er dabei so viel Material sam­meln würde, dass das mög­li­cher­weise eines Tages als Buch erschei­nen könne. Im Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages wird er auch als Sachverständiger gehört.

Was teil­weise in den Ausschüssen ver­han­delt wird, grenzt für ihn an den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt. Wenn sich bewahr­hei­tet, dass V-Leute vom Verfassungsschutz gewarnt wur­den, wenn bei­spiels­weise die Polizei Ermittlungen und Hausdurchsuchungen plante, ist die­ser Tatbestand als gege­ben anzu­neh­men. Der zurück­ge­tre­tene Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Thomas Sippel, hat sich dem Untersuchungsausschuss gegen­über nicht koope­ra­tiv gezeigt. Nicht nur, dass Akten zurück­ge­hal­ten wor­den sind, hat er den Ausschuss auch nicht ange­mes­sen infor­miert. Auf Grund des­sen wurde Sippel in den vor­läu­fi­gen Ruhestand geschickt.

Doch nicht er allein: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hat zum 31. Juli sei­nen Rücktritt erklärt; Sachsens Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos wird am 1. August sei­nen Posten räu­men.

Das ist – auch wenn es bestrit­ten wird – das Eingeständnis der bis­he­ri­gen Ignoranz bzw. des fata­len Miteinander des Verfassungsschutzes und der Rechten.

Nic

Blog von Prof. Dr. Hajo Funke

[Erstveröffentlichung: hpd]

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