Anlässlich der Herausgabe der italienischen Übersetzung seines Buches «Mein Weg von Kongo nach Europa» haben wir den kongolesischen Autor Emmanuel Mbolela auf seiner Lesereise durch Italien begleitet – durch ein Italien, das in rechtspopulistischer Manier umgepflügt wird, so dass die humanitären Prinzipien auf der Strecke zu bleiben drohen, insbesondere gegenüber Flüchtlingen und Farbigen. – Übersetzung aus dem Französischen: Walter B.
Es ist dem Zufall geschuldet, dass die italienische Übersetzung des Buches zu einem für Italien politisch so heiklen Zeitpunkt herauskam. Die letzten Wahlen haben eine Koalition zwischen der alten sezessionistischen, inzwischen «identitären», aber schon immer rassistischen Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht gebracht, einer jungen politischen Gruppierung um den ehemaligen Komiker Peppe Grillo, der in populistischer Manier gegen PolitikerInnen wettert, indem er ihnen zum Beispiel vorwirft, sie repräsentierten «das Volk» nicht mehr.
Die beiden Kräfte, die auf den ersten Blick völlig unterschiedliche politische Diskurse zu führen scheinen, haben einen beachtlichen Pragmatismus an den Tag gelegt, um die Macht zu erobern. Sie haben noch vor der Wahl des Ministerpräsidenten einen «offiziellen Regierungsvertrag» unterzeichnet, was ihnen ermöglichte, ihre Handlungsschwerpunkte und Wahlversprechen – hauptsächlich der Kampf gegen Migration und die Beseitigung von politischen Privilegien – im Gegenzug zum Vertrauen des Parlaments weiterzuverfolgen.
Bis hierhin also nichts Neues in einem Land, in dem seit sechzig Jahren die Verteilung der Machtpositionen zwischen Parteien und politischen Strömungen zur Norm geworden ist – nichts Neues also ausser einem Protagonisten: Salvini, der Leader der Lega, der zum Vizeministerpräsidenten und Innenminister ernannt wurde, nachdem er eine Wahlkampagne geführt hatte, die auf der Kriminalisierung der Migration und der Solidarität basiert und stark fremdenfeindliche Züge und neofaschistisches Gehabe aufwies.
Am Rande sei bemerkt, dass Salvini das Schicksal einer Partei, der Lega Nord, neu ausrichten konnte, die nach einer langen Teilhabe an der Macht zusammen mit Berlusconi geschwächt war und ihre systemkritischen Kräfte in den nördlichen Regionen eingebüsst hatte. Salvini ist es betrüblicherweise gelungen, das Vertrauen der Basis wiederzuerlangen, indem er stramm auf trivialste Parolen setzte: Nein zu Romalagern in den Städten. Nein zu all den Schwarzen vor den Bahnhöfen. Nein zu Europa, das uns verrät, bestiehlt und mit Flüchtlingen flutet.
Propaganda mit Fake News
Es fällt nicht leicht, sich all die Fake News zu vergegenwärtigen, die er verwendet, um Angst zu schüren, sowie sein rassistisches Gehabe und die Teilnahme an neofaschistischen – pardon: «identitären» Kampagnen. Doch Salvini wird als erster echter Politiker Italiens «der neuen Generation» angesehen. Und er sieht sich selbst auch so. Er wird unterstütz von einem äusserst soliden New-Media-Team, das eine eigene Propagandamaschinerie unterhält – eine weit verbreitete und umjubelte Propaganda, die ausgerechnet in einem historischen Moment verfängt, wo sich aus dem Osten ein Wind des Hasses erhebt und durch die Strassen und Netze Europas fegt. Eine Propaganda auch, die jenen Teil der italienischen Bevölkerung anzusprechen weiss, der verarmt und verängstigt ist, sich in sozialen Netzwerken aufhält und mit dem demokratischen Spiel keine Hoffnungen mehr verbindet. Salvini übermittelt ihnen das Bild des starken Mannes – jenes starken Mannes, nach dem sich ein Teil der ItalienerInnen zurücksehnt. Und das ist gefährlich.
Man muss wissen, dass die fremdenfeindliche und nationalistische Propaganda, die auf die Verantwortlichen der EU zielt, durchaus konkrete Gründe hat: Die Verwerfungen wegen der Dublin-Verträge, die Schliessung der Binnengrenzen, die Frankreich und Österreich in die Tat umgesetzt haben, und die – durchaus relative – Zunahme der Zuwanderung haben die mangelhafte Vorbereitung der Aufnahme von Flüchtlingen und deren Management nur noch sichtbarer gemacht, ganz abgesehen von der Korruption im Inneren des Empfangs- und Identifikationssystems für Flüchtlinge in Italien.
Eine der Folgen war, dass tausende MigrantInnen auf italienischem Boden festsassen, so dass sie sich entweder der für das Land so typischen schleppenden Bürokratie unterwerfen mussten oder mangels Papieren oder wegen eines Nichteintretensbescheids marginalisiert und illegalisiert wurden. Ein gefundenes Fressen für ihre Ausbeutung, der nächsten Etappe ihres Weges.
Niedergang des Wohlfahrtsstaates
Die sozialen Verhältnisse in Italien wurden in Folge dieser Politik zusätzlich belastet – neben der allgemeinen Wirtschaftskrise und dem qualitativen wie quantitativen Niedergang des Wohlfahrtsstaats. Auf diese Weise sind Fremdenhass und der damit verbundene üble Nationalismus an die Macht gelangt. In letzter Zeit wurden wir Zeugen von zahlreichen fremdenfeindlichen Terrorakten in Italien, ganz zu schweigen von der Verharmlosung solcher Sätze, wie wir sie täglich in den Strassen oder den Zügen hören: «Es sind einfach zu viele hier.» Und: «Sollen sie doch nach Hause gehen!»
Man muss feststellen, dass Salvini es geschafft hat, den Rassismus salonfähig zu machen. Tatsächlich scheinen seine niveaulosen Botschaften und die vollmundige Politik im heutigen Italien auf der Überholspur zu sein.
Einmal an der Arbeit, hat unser lieber Innenminister viel Staub aufgewirbelt mit seiner Resolution – die er natürlich per Twitter ankündigte –, die italienischen Häfen für Schiffe von Nichtregierungsorganisationen schliessen zu wollen, die im Mittelmeer patrouillierten. Den Beschluss verband er mit einer diffamierenden juristischen Kampagne gegen diese Organisationen. Verwöhnt von einer grossen medialen Aufmerksamkeit, verpasst besagter Salvini keine Gelegenheit, um öffentlich eine Strategie «der eisernen Faust» gegen illegale MigrantInnen, gegen Schlepper und gegen Europa zu fordern, das er jeweils beschuldigt, die «Invasion» des bel paese zu organisieren.
In Tat und Wahrheit begann der starke Rückgang der Flüchtlingsströme viel früher, und zwar in Folge eines Abkommens des damaligen Innenministers Marco Minniti – der sogenannten Linken Italiens – mit verschiedenen libyschen Milizen. Salvinis Ausfälle sind vielmehr symbolischer Art. Die Botschaft für die Zukunft ist deutlich: Italien lässt die MigrantInnen lieber im Meer ertrinken, als sie aufzunehmen. Und das entgegen aller Verträge und humanitären sowie maritimen Verpflichtungen.
An Riace wird ein Exempel statuiert
Ähnlich liegt der Fall «Riace»: Was tun angesichts eines positiven Integrationsprojekts, eines Willkommensprojekts, das funktioniert und dem Bild von Migration und Aufnahme von Flüchtlingen widerspricht, wie es der Angstpropaganda dient? Nun gut, man stoppt es. Man lanciert eine Fake-Untersuchung, lässt die Meldung der Verhaftung des Bürgermeisters von Riace und all die Diffamierungen in dem Zusammenhang ihre Wirkung entfalten – und schliesst, ruck zuck, das Ganze. Im Grunde ist es ja die Regierung, die das alles finanziert. Oder etwa nicht? Und dann lässt man die Bulldozer auffahren. Alle müssen weg. Man entzieht den Flüchtlingen die Unterstützungsgelder des SPRAR, des italienischen Schutzsystems für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge – angeblich wegen buchhalterischer Probleme, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Auf diese Weise sind praktisch alle Strukturen für Flüchtlinge in Italien ungesetzlich geworden und weitgehend der direkten Verwaltung durch die Regierung unterworfen – oder werden kriminell infiltriert. Riace ist ein gefährliches Symbol für die ganze Welt. Inzwischen herrscht in Italien das Gesetz des Dschungels: Du störst mich. Weg mit dir!
Zu dumm nur, dass wir von einem hohen Funktionär sprechen, der mit allen Vollmachten einer modernen Demokratie ausgestattet ist!
Ausbau der Repression
Voller Symbolik ist auch die jüngste Schöpfung unseres Kapitäns, der betrüblicherweise überaus arbeitsam ist: Das Salvini-Dekret zu Staatssicherheit und Immigration möchte einerseits die Massnahmen zur Bevölkerungskontrolle im städtischen Raum und die Repression gegen Proteste verstärken, indem alle Polizisten, sogar die Gemeindepolizisten mit Tasern ausgerüstet und die Strafen für Besetzungen verschärft werden. Anderseits möchte es die Möglichkeiten der humanitären Aufnahme noch stärker einschränken, indem die Fälle drastisch begrenzt werden, in denen man «humanitären Schutz» geltend machen kann. In der Folge werden die Lebensbedingungen der Flüchtlinge noch prekärer und zudem völlig abhängig von ihrem gesetzeskonformen Verhalten. Eine Vielzahl von Delikten kann zum Verlust des Flüchtlingsstatus führen.
Wir werden noch sehen, welche Wirkungen dieses Gesetz entfalten wird, das von der Opposition und humanitären Organisationen bereits als «verfassungswidrig» und «die Illegalität fördernd» denunziert wird. Im Moment wird es von Salvini stolz als sein «eingehaltenes Versprechen» präsentiert. Ein Versprechen, das den schlimmsten Deutungen von «rimandiamoli a casa loro», «schicken wir sie nach Hause» Tür und Tor öffnet.
Diese Härte, dieser Wille, «es durchzuziehen», diese Rhetorik sind erschreckend. «Tanti nemici tanto onore.» («Viel Feind, viel Ehre.») So schmückt sich Salvini in den sozialen Medien. Und diese Worte stammen aus längst vergangenen Zeiten – nämlich von Mussolini.
Die neofaschistische Logik des «capitano» droht – bei voller Unterstützung der Medien und angesichts einer Zivilgesellschaft, die Mühe hat sich zusammenzuraufen, sowie einer Linken, die Geschichte ist, besiegt und schlicht abhanden gekommen – in der italienischen Gesellschaft wüste Spuren zu hinterlassen.
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Zurück zur Lesereise durch Italien
Doch kehren wir nach diesem albtraumartigen Abstecher zurück zu unserer Buchpräsentation: In diesem Kontext mit einem solchen Buch nach Italien zu reisen, war gerade für uns Übersetzerinnen – Italienerinnen, die in Frankreich leben und Italien aus der Entfernung voller Befürchtungen, Wut und auch Ohnmacht betrachten – eine grosse Herausforderung und eine gute Möglichkeit. Denn dieses unerträgliche Klima hat paradoxerweise dazu beigetragen, dem aufrüttelnden Vortrag Emmanuels zusätzliche Kraft zu verleihen.
Ansteckender Mut
Die Aktionen, die wir in unseren vermeintlich demokratischen Ländern durchführen, erscheinen uns letztlich gering im Vergleich zum Mut von Emmanuel, der gezwungen war, während vier Jahren in einem fremden Land wie Marokko versteckt zu leben, immer wieder konfrontiert mit Razzien und Rassismus jeglicher Art, und es trotzdem gewagt hat, den Kopf zu heben, die Menschenrechte zu verteidigen und Widerstand zu organisieren, und seit er in Europa angekommen ist, nie aufgehört hat, zu kämpfen und die Ungerechtigkeit anzuprangern.
Es gibt nur eine Wahrheit: Die Migration ist Folge der Programme des Internationalen Währungsfonds und der Plünderung Afrikas durch die Multis. Hört auf, uns mit Misstrauen zu begegnen, und zeigt mit dem Finger auf die wahren Verantwortlichen!
Emmanuel Mbolela
Emmanuel hingegen war, als er durch die Strassen von Mailand lief, sehr berührt von der extremen Marginalisierung und Armut eines Teils seiner afrikanischen Brüder in Italien. Im Vergleich zu anderen Ländern, die er vorher besucht hatte, war der Unterschied in seinen Augen offenkundig, illustrierte aber auch den Erfolg der Kriminalisierungskampagnen der Rechten.
Zum Abschluss des Berichtes über unsere Italien-Tournee, die sicher nicht die letzte sein wird, sei erwähnt, dass Emmanuel die ItalienerInnen immer wieder daran erinnerte, angesichts ihrer strategischen Position «auf dem Balkon zum Mittelmeer» gegenüber den Tragödien, die sich unter ihren Augen abspielen, nicht teilnahmslos zu bleiben und gegen den Verfall von Solidarität und Menschlichkeit zu protestieren. Zunehmend Schuld daran trägt die Regierung, indem sie mit sämtlichen humanitären Prizipien und mit den grundsätzlichsten Seerechten bricht, was dazu führt, dass sich das Mittelmeer immer mehr in ein «Meer des Hasses und des Todes» verwandelt.
Anmerkungen:
Dieser Bericht ist in der Monatszeitschrift «Archipel» des Europäischen BürgerInnenforums erschienen.
Die Bilder sind Stills aus einem dokumentarischen Kurzfilm von Michael Rottman über eine Lesetour von Emmanuel Mbolela in Österreich.