Nach zwei drei Tagen merkt man: Nichts scheint hier keinen Regelungen unterworfen. Der Schweizer – so scheint es – würde niemals gegen einen Strauch pissen, ohne sich zu fragen, ob dies überhaupt erlaubt sei. Und dann möchte man ihn in den Arm nehmen und ihm stecken, dass er für alles viel zu viel Geld bezahlt und vorsichtig fragen, ob sein angeborener Rachenkatarr schlimm weh tut.
Meine Reise in die Schweiz war fotografischer Natur: Ein Hochzeit feiernder Hochzeitsfotograf, ein Hochzeitsfotografie-Workshop sowie ein erstes Ausführen meiner neuen Zweitfrau – der Nikon D800. Ach, was hatte ich gehofft, das Baby bereits nach Kalifornien mitnehmen zu können, doch alle Hoffnungen waren vergebens. Nun denn, dann eben erst jetzt.
Vorschusslorbeeren und unsinnige Blogposts zur Nikon D800 hatte ich zur Genüge studiert. Erheiternd das immer wieder hervorgebrachte Totschlagargument: “36 Megapixel braucht kein Mensch”. Ja, ja, die Menschheit brauchte auch Millionen von Jahren keinen Regenschirm, bis es irgendeinem auf die Nüsse ging, immer nass zu werden. Ich will meinen ersten Eindruck zur D800 auf 3 kurze Sätze vorab zusammenfassen:
- Sie ist
geilgut. - Die gelbstichige Displayvorschau nervt.
- 36 Megapixel sind “wohoooo”.
Mir ist egal, ob der Rest der Menschheit mit 12 Megapixeln zurechtkommt. Ich tue das bei meiner Nikon D3s in einer Reportage-Situation auch. Sogar sehr gut. Aber wer einmal am Display der D800 bis in die letzte Ecke hineingezoomt hat, wird zwangsläufig die Augenbrauen hoch – und die Unterlippe vorziehen und von da ab für immer schweigen. Die D800 ist leicht, sie liegt auch ohne Batteriegriff sehr gut in der Hand und ist mitnichten eine “ich-mach-mal-zehn-Bilder-und such-mir-das-schönste-zu-Hause-aus”-Kamera. Man spürt die 50 MB pro RAW am grünen Karten-Kontrolllämpchen deutlich – und das auch bei schneller CF und SDHC Karte. Doch trotz der Datenlast, hab ich sie bei einer schnelleren Abfolge eines “aus-der-Hand-Panoramas” nicht in die Knie und an den Rand der Nutzbarkeit zwingen können. Der Spiegelschlag klingt etwas gemütlicher als bei meiner D3s – nicht so aggressiv – doch trotzdem würdevoll.
Ich hab sie zunächst mit den von Nikon für diese Kamera empfohlenen “G”-Objektiven genutzt. “Rattenscharf bis in die Ecken und von detailreicher, dem blossen Auge weit überlegener, Abbildung” hatte ich irgendwie anders im Kopf, doch zufrieden bin ich trotzdem. Sogar sehr! Mit der richtigen Software lässt sich doch noch einiges rausholen. Vor allem der Dynamik-Umfang wusste mich zu beeindrucken. Gefühlt macht meine D3s früher schlapp – also beim Dynamikumfang. Eine – im Segment der Mittelformatkameras wildernde – Kleinbildkamera ist die D800 jedoch nach meiner Einschätzung nicht – da hab ich bei der digitalen-Hasselblad ganz andere Ergebnisse bewundern dürfen. Spätestes das Test-Foto (Achtung – hier hab ich mal das Original-Bild in grosser Auflösung verlinkt) mit einem aufgesatteltem alten Nikkor 50/1,4 “D” Objektiv, lies mir bei offener Blende keine andere Wahl, als mich meiner Frau zu zuwenden und den Satz zu formulieren: “Schatz, ich brauch ein neues Fünfziger”.
Wie man bei einer solch ausgeklügelten Ingenieurleistung eine furchtbar gelbstichige Displayanzeige zulässt, ist mir ein Rätsel. Schauen wir mal – die nächste Firmware soll es ja beheben. Auch kann ich nicht verstehen, wieso man bei diesem Pixelboliden kein “sRAW” (also ein reduziertes RAW-Format) wie bei Canon anbietet. Es würde mit Sicherheit noch eine ganze Reihe Käufer aktivieren. Meinen alten iMac werde ich in jedem Falle in die Bucht schicken müssen. So lange shoote ich mit einem reduzierten JPG auf der Zweitkarte…
Ich gebe zu, die D800 ist nichts für Einsteiger ins FX-Format, die den Koffer noch mit goldrandigem Linsenkonvolut füllen müssen. Die physikalisch bedingte, recht früh eintretend Beugungsunschärfe und Anfälligkeit für Bewegungsunschärfen sind Punkte, mit denen der erfahrene Fotograf sicher schnell umzugehen lernt, die dem Einsteiger jedoch möglicherweise die Nerven rauben. Das hohe Datenvolumen zwingt den Fotografen zudem zu einer schnellen und leistungsfähigen Computer-Peripherie. Überschlage ich das kurz, dann sind die Kollaterakosten der D800 (bei einem Einstieg ins FX-Format) größer als die Kamera selbst. Das muss jeder für sich entscheiden. Bei mir ist sie als Ergänzung zur D3s sehr gut aufgehoben und ich hab das Gefühl, mit dieser Kombi für die nächsten Jahre “save” zu sein aber ich werde sicher noch eine ganze Latte Testfotos machen müssen, um die Stärken der Kamera wirklich bis ins letzte Pixel nutzen zu können.
Hier ein paar Fotos aus der Schweiz. Nachbearbeitung in Lightroom 4