Mit den Filmen der Pixar Animation Studios ist das immer so eine Sache. Der unfassbar guten Qualität jeder einzelnen Produktion wünscht man überfüllte Kinosäle. Möglichst viele Menschen sollen erleben, wie die kreativen Köpfe des Disney-Tochterunternehmens ihre Liebe zum Detail, zum Geschichtenerzählen und zum Erschaffen von wahnsinnig lebendig wirkenden Welten ausleben. Dann aber wünscht man sich ebenso, in einem möglichst leeren Kinosaal zu sitzen, damit man all die Tränen fließen lassen kann, die Pixar mit jedem Film, auch mit Coco, durch Freude und Trauer aus uns zu pressen versteht.
Die ersten zehn Minuten von Oben bleiben vermutlich auf ewig unerreicht, aber auch Coco hält nicht nur den einen oder anderen, sondern recht viele Momente bereit, bei denen wir Tränen der Trauer unterdrücken oder mit einem Lächeln im Gesicht die Tränen auf unseren Wangen runter kullern lassen.
In dem Film geht es um Miguel, der in einer Familie aufwächst, die Musik komplett aus ihrem Leben verbannt hat, nachdem Miguels Ur-Ur-Großvater einst seine Frau und Tochter verlassen hat um seiner Liebe zur Musik nachzugehen. Aber Miguel träumt heimlich auch davon, seiner musikalischen Ader zu folgen und nicht im Schuhmacher-Familienunternehmen zu arbeiten. Deshalb stiehlt er am Dia de Muertos, dem Tag der Toten, die Gitarre des berühmten Sängers Ernesto de la Cruz aus dessen Grab und landet schnurstracks im Land der Toten.
Um von hier wieder weg zu kommen, muss er bis Sonnenaufgang den Segen eines Familienmitglieds bekommen. Da diese ihn aber nur unter der Bedingung ziehen lassen wollen, seinen Musiker-Wunsch aufzugeben, sucht er gemeinsam mit dem ebenso verzweifelten Skelett Héctor – der in der Welt der Lebenden langsam vergessen wird und deshalb droht sich aufzulösen – nach einer Alternative.
Miguel (mit der US-Stimme von Anthony Gonzalez) mit seiner Ur-Großmutter Coco (mit der US-Stimme von Ana Ofelia Murguía)
Die dem Film seinen Titel gebende Figur Coco ist die Ur-Großmutter von Miguel, die durch das Verschwinden ihres Vaters traumatisiert wurde und in ihrem hohen Alter eine schweigsame Gestalt geworden ist, die nur noch in ihrem Stuhl sitzt und sich von Miguel Geschichten erzählen lässt ohne dabei jemals eine Reaktion zu zeigen. Allein die Bande die der Ur-Enkel mit Coco hat ist herzerwärmend-drollig.
Von dem kleinen mexikanischen Dorf, in dem Coco beginnt, bis hin zum gigantischen Land der Toten hat Pixar sich hier fast selbst übertroffen. Das Dorf wirkt klein, beschaulich und beinhaltet doch so viele unterschiedliche Facetten, dass es wirklich wie ein echtes, zum Leben erwachtes Wimmelbild wirkt. An jeder Ecke passieren Dinge fernab der Handlung. Hier unterscheiden sich die Filme Pixars von vielen anderen Produktionen, die im Hintergrund fast mit Stillleben arbeiten, während hier wirklich Bewegung in der animierten Welt vorherrscht.
Sobald wir mit Miguel das Land der Toten betreten, kommen wir aus dem Staunen kaum noch heraus. Diese Metropole der bunten Farben, die mal mit Draufblick im Fokus steht, dann wieder in den Hintergrund gerückt wird, aber immer präsent und imposant als Panorama über der Handlung schwebt.
Hier kommt die Monster AG wieder zum Vorschein, wenn in der Welt der Skelette ein echter, lebender Junge umher läuft und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mit Miguel lernen wir gemeinsam über den Wert von Familie, aber auch dass man nicht zwangsläufig verzeihen muss, aber niemals jemanden vergessen sollte.
Wenn Coco es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Toten zu gedenken, dann ist dieses Vorhaben zu 100% gelungen. Wenn Miguel am Ende seiner Reise angekommen ist, hat er uns auf ein Abenteuer mitgenommen, dass bei uns Erinnerungen an die lebende und bereits verstorbene Familie wieder aufkommen lässt.
Und ganz nebenbei gelingt es dem Film den Tag der Toten unfassbar interessant und sinnvoll wirken zu lassen. Warum denn immer nur um die Toten trauern, wenn sie auch gefeiert werden können? Das Fest kommt sogar mit seinen ganz eigenen Fantasy-Kreaturen daher: die Alebrije, bunt bemalte Mythen-Tiere, die als Führer der Toten durch die Geisterwelt fungieren.
Coco mit seiner toten Familie im Land der Toten
Hier bekommen wir den beeindruckenden Pepita, das Alebrije von Imelda, Miguels Ur-Ur-Großmutter, zu sehen. Ein gigantischer Tiger – natürlich bunt – mit Flügeln, der einfach nur jedes Mal beeindruckt, wenn er auf der Bildfläche erscheint. Man weiß nicht so genau, ob man dieses Untier knuddeln möchte oder davonlaufen sollte. Da kommt dem trotteligen Begleiter Miguels – dem haarlose Xolo-Hund Dante – schon eine deutlichere Funktion zu: er ist der Comic Relief, der immer wieder für einen Spaß in Sachen Slapstick sorgen darf.
Coco ist unter der Regie von Lee Unkrich (der uns mit Toy Story 3 das Heulen gelehrt hat) und Adrian Molina entstanden, die uns in dieses mexikanisches Alice im Wunderland-Märchen mitnehmen und uns die Traditionen des Landes nicht aus einer Touristen-Perspektive vorführen, sondern als wäre es ein Animationsfilm, der unter einer Firma wie Pixar Mexico hätte entstehen können.
Es gibt Musik von dem immer großartigen Michael Giacchino und einige Originalsongs wie den überaus einprägsamen “Remember Me”, der uns immer daran erinnern wird, an welcher Stelle wir uns einmal unauffällig umgesehen haben, um zu überprüfen, ob jemand unseren etwas lauteren Schluchzer und das Wegwischen der Tränen bemerkt hat.