Es ist nämlich keineswegs so, dass es die vielen – meist seelenlosen – Neubauklötze sind, denen die Landeshaupstadt ihre steigende Beliebtheit verdankt, vielmehr sind es die gewachsenen Eigenheiten und liebevoll gepflegten Kostbarkeiten, die den Charme der Stadt ausmachen.
Die wildromantischen Stäffele etwa, die vielen Plätze, auf denen die Stuttgarter neuerdings bei den ersten Sonnenstrahlen ihre „südländische Streetcredibility“ unter Beweis stellen oder der pulsierende Schlossplatz mit seinen eindrucksvollen königlichen Bauten und die durchaus reizvolle Kulturmeile mit dem Haus der Geschichte, der Staatsgalerie, dem Großen und Kleinen Haus, also mit den Bühnen der Staatstheater Stuttgart.
Jetzt legt Adrienne Braun als gebürtige Hessin eine ganz persönliche Liebeserklärung an Stuttgart vor: in ihrem Buch „Adrienne Braun. Lieblingsorte Stuttgart“ nimmt sie die Leser mit an bekannte und eher heimliche Ecken, an belebte oder ganz stille Plätze und sie sieht so manche Stuttgart-Institution aus ganz eigenen Blickwinkel.
Ja, sie schaut und hört genau hin, die Kolumnistin und Autorin, beobachtet zum Beispiel, dass am Schillerplatz nicht nur der Hackenporsche „untertourig holpert“ sondern so mancher Getriebene in der Abendsonne die Seele baumeln lässt. Außerdem können an diesem „wohlproportionierten“ Platz auch Stuttgart-Kenner noch so manches neue alte Detail entdecken.
Adrienne Brauns Stuttgartführer lebt von diesen humorig-hintersinnigen Beobachtungen: dass die Wilhelma einer der schönsten zoologisch-botanischen Gärten Europas ist, wissen wir schon lange! Dass Besucher hier den größten Magnolienhain nördlich der Alpen erleben können, dass hier zahlreiche Tiere ohne „offiziellen Wohnberechtigungsschein“ zuhause sind und dass Bonobo & Co. im neuen Affenhaus sogar unzüchtige Filme schauen, sind dagegen echte Neuigkeiten.
Bei aller Postkartenidylle vergisst Adrienne Braun nicht, die etwas weniger schönen Seiten der Sonntagmittags-Familien-Glücks zu schildern. Oder findet Ihr es gut, dass stolze Wildkatzen stumpf ins Leere schauen und im Schaubrüter zahlreiche Hühnerküken so ganz ohne ihre schnäbelnde Glucke auf die Welt kommen?!
Die Nachfrage bestimmt bekanntlich das Angebot, da kann man vielen Zoodirektoren nicht mal allein den schwarzen Peter zuschieben – auch in der Markthalle kommt aus dem Sortiment, was die wählerische Kundschaft allzulange meidet. In der malerischen Jugendstilhalle gibts Delikatessen und Gaumenfreund aus aller Welt, auch Wilhelm II. von Württemberg ließ es sich hier schmecken, während seine vierbeinigen „Spitzbuben“ Ali und Rubi an Frackschößen rissen und Leute ankläfften.
Und wo wir gerade beim Essen sind: warum Adrienne Braun so gerne im „Goldenen Drachen“ speist, ist nach eben diesem kulinarisch-philosophischen Kapitel leicht nachvollziehbar.
Warum sie gern ins Porsche-Museum geht, am liebsten im Sportzentrum Waldau schwitzt, den Ausblick von der Karlshöhe mag, das handtuchschmale Haus der Katholischen Kirche schätzt und einen Ausflug zur Eselsmühle empfiehlt – diese Geschichten sind ebenfalls so unterhaltend wie allgemeinbildend. Zumindest wenns um Stuttgart geht!
Die vielen Farbfotos von Martin Stollberg beleuchten die Stadt zudem aus neuen Perspektiven und sorgen dafür, dass Adrienne Brauns Lieblingsorte keine reinen Phantasiegebilde bleiben.
Spätestens nach dem letzten Kapitel, in dem die Autorin hinreißend beschreibt, wie sie seit ihrer Gymnasialzeit hingebungsvoll die korrekte Aussprache von „Fernsäh“, „hälinge“, „Gruschd“ und „groddemäßig“ übt, erbarmt sich das Herz des schwäbischen Lesers und beschließt, dass es „ofanga Zeid wär“, Adrienne Braun aufgrund ihrer Herkunft „nemme als Reig’schmeckte“ zu bezeichnen!
Fazit: ein weiterer Stuttgartführer, den es durchaus noch gebraucht hat!
Adrienne Braun „Lieblingsorte Stuttgart“, 184 Seiten mit 40 Farbfotografien, Hardcover, 19 Euro 95, emons: