Foto (c) Thomas Gothier
Nicht nur die Münchner*innen kennen Mira Mann als vielbeschäftigte und streitbare Künstlerin, sie ist Sängerin und Bassistin der Band Candelilla, kuratierte jahrelang das Programm der Milla, einem der angesehensten Clubs der Stadt, arbeitet als Radiomoderatorin, Herausgeberin, Journalistin und Autorin. Vor zwei Jahren bekam sie die Diagnose der Erkrankung an Multipler Sklerose, in den zwei Wochen danach schrieb sie den Lyrikband "Gedichte der Angst", der im Januar 2019 beim Kölner Verlag Parasitenpresse erschienen ist. In diesen Tagen nun veröffentlicht sie via Problembär Records ihre erste Soloplatte, die EP "Ich Mag Das", entstanden in Zusammenarbeit mit dem Musiker und Komponisten Ludwig Abraham. Eine Menge zu tun also, dennoch fand sie Zeit für ein kurzes Gespräch.Mira, überwiegt heute eher die Wehmut darüber, mit Candelilla nicht spielen zu können oder zählen Freude und Stolz mehr, dass am Freitag deine erste Solo-EP erscheinen wird, also etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares?
Es ist tatsächlich beides, würde ich sagen. In dem Moment, wo man etwas Neues, also die Soloplatte herausbringt, dann denke ich schon noch zurück an meine Band – immerhin haben wir zehn Jahre zusammen gespielt. Aber gleichzeitig bin ich auch total glücklich, aufgeregt, und gespannt, was denn jetzt passiert, wie die Leute auf meine neue Platte reagieren.
Ist denn die Band ad acta gelegt oder pausiert sie momentan eher?
Nein, kein Ende, sondern schon eine Pause, aber eher eine ohne genaues Ende. Wir haben uns noch nicht darüber abgesprochen, ob und wann wir wieder zusammen spielen wollen. Aber die Möglichkeit ist total da.
Die Stücke auf der Platte sind ja größtenteils vertonte Gedichte aus deinem Lyrikband „Gedichte der Angst“, den du in den zwei Wochen nach der Diagnose geschrieben hast. Woher kam der Ansporn, hier noch Musik hinzuzufügen?
Also die Idee, so etwas zu machen kam eigentlich sehr schnell. Vielleicht in allererster Linie deshalb, weil ich Musikerin bin und weil ich ein sehr großes Interesse an Text und Musik habe. Und das ist vielleicht auch die Story der Platte: Die „Gedichte der Angst“ sind ja noch sehr roh, unbearbeitet und ich hatte, glaube ich, doch den Wunsch, dem ersten Impuls noch mehr hinzuzufügen. Das bekommt dann eben eine Vielschichtigkeit, die ich über die Musik einfach besser ausdrücken kann.
Für mich erhalten die Gedichte mit der Musik und vor allem mit deiner Stimme tatsächlich noch eine zusätzliche Wirktiefe, öffnen neue Ebenen, du steigerst die Empfindungen, vervielfachst sie. Empfindest du das beim Vortrag ähnlich?
Ja, das ist tatsächlich so. Ich hätte ja nie im Leben gedacht, dass ich die „Gedichte der Angst“ jemals öffentlich vorlesen werde. Doch jetzt tue ich’s – gerade letzten Samstag habe ich vier Lesungen hintereinander gehabt – und ich bin selber überrascht, wie gut mir das tut, wie gut es sich anfühlt.
Sind das eigentlich reine Textlesungen oder kombinierst Du schon mit der Musik?
Nein, das sind momentan noch reine Lesungen und die Konzerte sind dann eben reine Konzerte, aber ich glaube, ich habe 2020 auch ein Booking, wo ich beides miteinander kombiniere.
Die Songs von Candelilla waren ja doch schon manchmal recht schroff, die neuen Stücke sind dagegen deutlich ruhiger, näher, fast zärtlich manchmal. Wie siehst du diese Veränderung?
Nun ja, die Beobachtung stimmt wohl. Gerade wenn man sich die Stücke vom letzten Album „Camping“ anhört, mit welcher Energie ich da eher schon fast schreie, das sind ja nun Sachen, die so auf „Ich mag das“ nicht zu hören sind. Ich denke mir, das hier die Energie vielleicht woanders gebündelt ist, vielleicht kann man das so sagen.
Klingt das vielleicht auch ein Stück verletzlicher?
Ach, ich weiß nicht, ob jemand, der so laut rumschreit, deshalb weniger verletzlich ist.
Du hast in einem Interview mit „Das Wetter“ in Bezug auf deine Gedichte von einem bewussten "sinnlichen Diskurs" gesprochen, einem "ironielosen Zoom", der Verletzlichkeit geradezu herausfordert. Hast du denn diese Offenheit in deinen Gedichten und jetzt in deiner Musik jemals bereut?
Nein, das bereue ich gar nicht. Ich habe mir ja auch schon mit der Veröffentlichung der Gedichte richtig lange Zeit gelassen und habe dann irgendwann gespürt, dass das für mich der richtige Weg ist. Das ist jetzt sehr persönlich, aber ich bin schon dafür, seine Wunden zu zeigen, was nicht bedeutet, dass es alle tun sollen. Aber ich selbst glaube, dass das sehr produktiv sein kann und für mich ist es das auch.
Rein technisch betrachtet – wie hast du den LoFi-Sound der Stücke aufgenommen? Woher kamen die Ideen, Einflüsse, wie hast du, habt ihr produziert?
Also ich habe mich öfters mit dem Komponisten Ludwig Abraham in der Schreinerei, einem Studio am Münchner Hauptbahnhof, getroffen und dort haben wir von Null aus versucht, einem Text, aus einer Situation einen Song zu machen. Die Texte sind ja nicht eins zu eins aus dem Band übernommen, sondern weitergeschrieben, er hat die Musik dazu komponiert und dann haben wir beides, Texte und Musik, immer wieder übereinandergelegt.
Und das ist alles am Rechner entstanden?
Ja, komplett am Laptop. Du hörst auf der Platte kein einziges normales Instrument.
Ist „Ich mag das“ eine Platte, die nur im Kontext mit deiner Geschichte funktioniert oder könntest du dir vorstellen, dass sie jemand ohne das Wissen darum auf gänzlich andere Art erfahren kann?
Doch, das denke ich schon, dass das funktioniert. Ich kenne das ja auch von mir – dass ich also eine Platte von einer Künstlerin, die ich gerade entdecke, von der ich noch nichts weiß, auf mich ganz anders wirkt, als dann, wenn ich mich aufmache, um über sie zu lesen oder andere Sachen von ihr zu hören. Also insofern glaube ich, dass man das generell bejahen kann.
Veranstaltungen:
25.10. Berlin, Urban Spree - mit Andreas Spechtl
01.11. Hamburg, Kampnagel - Überjazz Festival
06.11. München, Spielart Festival
08.11. München, Lost Weekend (Lesung)
23.11. Nürnberg, Kantine am K4 - mit Attwenger
24.11. Wien, Rhiz