Die Aufforderung des Schlafwandlers zum Tanzvon
Mira Jacob erschien 2015 im Eichborn Verlag
576 Seiten
19,99 €
Vielen Dank an:
Eichborn VerlagBloggDeinBuchInhalt
Der Anruf Kamalas, Aminas Mutter, schreckt die junge, in Amerika geborene Inderin auf. Ihrem Vater geht es nicht gut. Der Chirurg sieht seine tote Mutter, führt Gespräche mit ihr auf der Veranda. Die junge Fotografin nimmt sich sofort frei und fliegt von Seattle nach Albuquerque um sich selbst einen Überblick über den Ernst der Lage zu verschaffen. Dabei lernen wir in Rückblenden das bisherige Leben Aminas und das Schicksal der Familie kennen: Aminas Eltern Thomas und Kamala entschieden sich, ihr Glück weit weg von Indien, in Amerika, zu suchen. Gemeinsam mit dem kleinen Akhil und mit Amina im Bauch wanderten sie aus und konnten tatsächlich Fuß in der Fremde fassen, auch wenn Kamala nie recht ankam. Als die Kinder im Highschoolalter sind, wird bei Akhil eine schwere Krankheit festgestellt: Narkolepsie. Nur wenige Wochen später ist er tot. Und auch die Familie Thomas' stirbt bei einem schrecklichen Schicksalsschlag. Und nun das: auch Thomas driftet immer mehr in einer andere Welt ab, sieht seine verstorbenen Liebsten. Mit all dem muss Amina nun klar kommen. Zum Glück hat sie Dimple, ihre Freundin, und Jamie, einen alten Schulkameraden, an ihrer Seite.
Meinung
Mira Jacobs Roman "Die Aufforderung des Schlafwandlers zum Tanz" ist ein erstklassiges Familiendrama. Der Leser begleitet den gesamten Roman über die junge Fotografin Amina. Durch ihre Augen werfen wir dann auch einen Blick auf ihre Verwandten, Bekannten und Freunde. Es gelingt Jacob dabei sehr gut, die verschiedenen Charaktere "zum anfassen" zu gestalten. Nach der Lektüre hatte ich das Gefühl, Aminas Familie zu kennen. Besonders spannend fand ich, dass sie die schlechten Eigenschaften herausarbeitet, ohne dass die verschiedenen Personen an Sympathie verlieren. Die Figuren wirken sehr lebendig und vor allem realistisch, da sie nicht "schwarzweiß" dargestellt werden. Der Roman ist in insgesamt elf Teile gegliedert, von denen etwa die Hälfte Rückblenden darstellen. Die beiden Erzählstränge sind so geschickt verflochten, dass sie fürs gegenseitige Verständnis notwendig sind und ein Lesefluss entsteht, der es schwer macht das Buch aus der Hand zu legen. Die Handlung ist in sich schlüssig, hält jedoch kaum Überraschungen parat. Darum geht es in diesem Buch jedoch auch gar nicht. Es geht um die Verarbeitung des Schmerzes, über den Verlust geliebter Menschen, die Machtlosigkeit angesichts einer tödlichen Krankheit. Thematisiert wird vor allem der Umgang der Angehörigen mit der Krankheit, weniger der Kranke selbst. Da ich selbst bereits in dieser Situation war, konnte ich mich umso besser hineinversetzen. Mira Jacobs beschreibt alles so authentisch, dass ich vermute, dass sie selbst einen ähnlichen Schicksalsschlag erlitten hat. Wenn nicht: umso mehr zücke ich meinen Hut, da es ihr perfekt gelingt die Gefühle der Betroffenen zu beschreiben. Zudem kommt auch immer wieder das Thema "Einwanderung" auf, wenn auch nur am Rande. Besonders wird dies in der Fremdheit problematisiert, die Kamala auch nach Jahren in Amerika empfindet und in der in sich geschlossenen indischen "Gesellschaft" verschiedener Einwanderer, die sich selbst als Familie begreift. Der Roman hat gefesselt. Soviel steht fest. Ich bin mir nicht sicher wie es für Leser ist, die mit der Thematik nicht viel anfangen können. Ich selbst habe viele Situationen so wieder erkannt und mich gut aufgehoben gefühlt, auch wenn die Traurigkeit manchmal zum Erdrücken schwer war. Die Augen bleiben bei diesem Buch definitiv nicht trocken. Die Traurigkeit und Leere, Hilflosigkeit und auch aufkeimende Hoffnung sind stets greifbar. Es handelt sich bei dieser Geschichte um eine sehr ernsthafte Thematik, die jedoch hier und da humorvolle, lockere, leichte Passagen aufweist und irgendwo auch die Leichtigkeit des Todes aufzeigt. Ich persönlich war tief bewegt und werde dieses Buch in die Reihe meiner Lieblingsbücher aufnehmen.