Es ist die Standard-Bemerkung, wenn ich von meinem Leben mit fünf Kindern, Mann, Haus, Job, Schreiben etc. erzähle: „Dir wird bestimmt nie langweilig.“ Ohne viel zu überlegen, kommt dann meistens meine Standard-Frage zurück: „Langeweile? Was ist das?“ Und lange Zeit war es ja auch tatsächlich so, dass ich gar keine Zeit dazu hatte, mich zu langweilen. Da war immer jemand, der gewickelt werden wollte, immer einer, der Hunger hatte, der getröstet werden wollte, der ein paar Minuten bei Mama kuscheln wollte. Und wenn kein Kind etwas von mir wollte, dann rief der Haushalt mit seinen endlosen Aufgaben. Und wenn der Haushalt erledigt war, dann kam das Ehrenamt. Oder die Arbeit. Oder „Meiner“, mit dem ich ja auch noch ganz gerne Zeit verbringe.
Es ist nicht etwa so, dass mein Leben ruhiger geworden wäre, aber etwas hat sich in den vergangenen Monaten geändert. An Tagen, an denen ich mit allen Kindern alleine zu Hause bin, schleicht sich immer öfters die Langeweile bei mir ein. Ja, ich weiss, jetzt denkt ihr, ich sei vollkommen durchgedreht, aber ich versichere euch, dass ich für meine Verhältnisse geradezu erschreckend auf dem Boden der Tatsachen stehe, wenn ich sage, dass ich zuweilen kaum mehr weiss, was ich mit der Zeit anfangen soll. Seit ein paar Monaten können sich unsere Kinder – inklusive Prinzchen – ganz gut ohne mich unterhalten. Hin und wieder scheint mir gar, dass ich als Störfaktor wahrgenommen werde, aber das will ich noch nicht wahr haben.
„Umso besser“, mögt ihr jetzt denken „dann hast du jetzt also ganz viel Zeit, um dich dem Haushalt und deiner Schreiberei zu widmen, während die Kinder so schön mit sich selbst beschäftigt sind.“ Aber so einfach ist es leider nicht, denn die Kinder kommen wohl sehr gut ohne mich zurecht, solange ich in ihrer Nähe bin und irgend etwas tue, das man so nebenbei tun kann, den Geschirrspüler ausräumen, zum Beispiel, oder den Fussboden fegen. Sobald ich aber den grossen Fehler begehe, irgend eine grössere Arbeit in Angriff zu nehmen, weil die Kinder gerade so schön spielen, dann geht’s los mit dem Radau. Die fünf können sich während Stunden mustergültig verhalten, doch kaum liegen zum Beispiel alle meine Kleider auf dem Fussboden, weil ich die Gunst der Stunde nützen will, um mal wieder den Kleiderschrank aufzuräumen, legen sie los: Das Prinzchen öffnet sämtliche Joghurtbecher im Kühlschrank, der Zoowärter giesst einen Liter Apfelsaft in eine Espressotasse, der FeuerwehrRitterRömerPirat stürzt sich mit Feuereifer und einer Tube Leim auf eine Bastelarbeit, Luise verspürt den unbändigen Drang, sämtliche sich im Haus befindlichen Kosmetikartikel auszuprobieren und Karlsson fängt an, irgend einen obskuren Zaubertrank aus Ketchup, Honig und ich weiss nicht was sonst noch – das Rezept ist streng geheim – zusammenzubrauen. Spätestens nach fünf Minuten sieht es aus, als wäre eine Bombe geplatzt und ich werde plötzlich wieder von allen gleichzeitig gebraucht.
Man sieht also, das mit dem Arbeiten, währenddem die Kinder spielen, funktioniert nicht so richtig. Wie wär’s also mit lesen? Irgend ein oberflächliches Buch, das nicht allzu viel Konzentration erfordert und das man problemlos zur Seite legen kann, wenn man gebraucht wird. Nun, das ging früher, als die Kinder noch kleiner waren, ganz gut, aber heute hat „Mama mit Buch“ eine ähnlich fatale Wirkung auf die friedlich spielenden kleinen Menschen wie „Mama, die eine Arbeit in Angriff nimmt“. Spätestens nach einer halben Seite ist es vorbei mit der Ruhe und was dann abgeht, brauche ich euch nicht noch einmal zu schildern.
Nun gibt es ja noch andere Möglichkeiten, die Zeiten, in denen man nicht gebraucht wird, zu überbrücken. Man könnte zum Beispiel telefonieren. Anrufe, die getätigt werden sollten, gibt es genug. Zu dumm nur, dass die Wirkung von „Mama mit Telefon“ noch viel schlimmer ist als „Mama mit Buch“ oder „Mama, die eine Arbeit in Angriff nimmt“. Bevor du die Nummer fertig gewählt hast, heult der Erste und spätestens, nachdem du der Person am anderen Ende der Leitung deinen Namen genannt hast, musst du wieder auflegen, weil eines deiner Kinder in Lebensgefahr schwebt. Das Telefon ist also Tabu. Den allerschlimmsten Fehler, den du aber begehen kannst, ist, dass du die Zeit, in der die Kinder dich nicht brauchen, zur Entspannung nützen willst. Wehe, du machst dir einen schönen Kaffee und gönnst dir ein Stück Schokolade, vielleicht sogar noch ein Fussbad obendrein! Spätestens nach fünf Minuten müsstest du die Feuerwehr rufen, wenn du nicht wüsstest, dass alles nur noch schlimmer wird, wenn du den Hörer in der Hand hältst.
Ihr seht also: An solchen Tagen bleibt mir nichts anderes übrig, als anspruchslosen Kleinkram zu erledigen, während die Kinder sich ohne mich amüsieren. Und weil es selbst in unserem Haushalt nicht immer Kleinkram zu erledigen gibt – der Geschirrspüler braucht immerhin eine halbe Stunde, bis er fertig gespült hat und wieder ausgeräumt und neu beladen werden kann -, kommt es doch tatsächlich vor, dass ich zwischendurch mal auf dem Sofa sitze und wie ein Teenager jammere, mir sei so schrecklich langweilig. Und wie damals, in Teenagerzeiten, gibt es auch heute noch die Besserwisser, die nicht mitleiden, sondern einen pädagogisch wertvollen Ratschlag bereit haben: „Würdest du ein Musikinstrument spielen, dann müsstest du dich nicht langweilen, Mama“, tönt es aus dem Mund unseres Ältesten. Und schon ist er wieder weg. Seine Geschwister warten auf ihn.