"Mir ist nicht kalt, Kind!" - "Tatort: Freitod" aus Luzern

©ARD

Man kann in die Schweiz reisen, um dort Urlaub zu machen. Man kann aber auch in die Schweiz reisen, um dort zu sterben. Sterbe-Tourismus nennt sich das dann. Sterbenskranke, die sowieso nicht mehr lang zu leben haben, reisen also aus Österreich oder aus dem schönen Köln ins nicht minder schöne Luzern, um dort erlaubt sich selbst das Nein-Wort zu geben. Das Nein-Wort zum Leben. Aus juristischen Gründen werden die Sterbenden aufgezeichnet in ihren letzten Sekunden, kostenlos sterben ist ebenfalls nicht - die Geldbörse wird ordentlich aufgemacht. Die einen sind dafür, die anderen dagegen - so wie immer im Leben. Und gestorben wird nicht nur mit legalen Mitteln.
Just nachdem Sterbebegleiterin - es geschieht schließlich alles zum Wohle der Sterbewilligen und ist daher keine Hilfe - Helen Mathys Gisela Aichinger auf ihrem Weg ins Nirvana begleitet hat, scheidet sie selbst aus dem Leben aus. Unfreiwillig. Erst ein Schlag auf den Haupt, anschließend eine Plastiktüte übers Gesicht: Schon war es das. Mathys ist tot. Verdächtig sind viele. Der geisteskranke Sohn der Toten Martin (Martin Butzke) zum Beispiel. Er wusste nichts davon, dass seine Erzeugerin sterben will. "Ihr werdet büßen", schreit er. "Pest, Pest, Pest!", schreit er. "Über euch werden Plagen kommen!", schreit er ebenfalls. Manchmal fragt er auch was. Und zwar:"Warum seid ihr in die scheiß Schweiz gefahren?" Gute Frage. Aber er ist eben ein Irrer. Zu irre, um der Mörder zu sein?

"Ihr werdet büßen!" Der irre Martin. ©ARD Degeto/SRF/ Daniel Winkler


Auch der Chef der christlichen Anti-Sterbehilfe-Vereinigung "Pro Vita" ist ein in gewisser Weise Irrer. Mit höchst plakativen Sätzen und Aussagen protestiert Josef Thommen (aalglatt und arg unsympathisch: Martin Rapold) gegen das Treiben von "Transitus", dem Sterbebegleitungs-Laden, für den Mathys arbeitete. Er schreit nicht, sondern ist ein Fiesling. "Der gläubige Mensch spielt nicht Gott!", sagt er beispielsweise. Ständig sagt er sowas. Da ging mehr, Eveline Stähelin und Josy Meier! Die beiden schrieben das Buch zum "Tatort: Freitod". Und dieses Buch hat noch mehr im Petto. Auch für Thommen.
Der ist Vater eines noch ungeborenen Kindes, mit der Sekretärin - Klischee nennt man sowas, soweit ich weiß -, natürlich. Doch Thommen ist verheiratet und will das Kind abtreiben. Die Sekretärin will nicht. Was wohl Gott dazu sagen würde? Auch würde Gott es bestimmt nicht begrüßen, dass "Pro Vita" den Dialysekranken Mike Zumbrunn (Lukas Kubik) für seine Zwecke missbraucht. Merkt ihr selbst, ne?! "Transitus" hat eine Wohnung angemietet, in der gestorben wird. Alle anderen Bewohner sind rausgezogen, denn: "Leben in einem Haus, in dem gestorben wird, will niemand." Wohl wahr. Würde ich auch nicht. Macht Zumbrunn trotzdem. Der fragt die Sterbehelfer alsbald:"Ihr könnt nicht genug bekommen vom Sterben, oder? Macht euch das geil?" Und irgendwann wird Sabotage betrieben. Hmm.

Hat was gegen Sterbebegleitung, aber ist für die Abtreibung seiner unehelichen Kinder: Josef Thommen (m.) ©ARD Degeto/SRF/ Daniel Winkler


Ob das die Sterbehelfer Jonas (Sebastian Krähenbühl) und Nadine Camenisch (Anna Schinz) wirklich geil macht, bleibt unbeantwortet. Sie helfen nur, wo sie können. Und tun etwas Gutes, meinen sie. Er ist Theologie-Student, sie arbeitet in einem Spital. Genau dort könnte auch ein Motiv begründet liegen in dieser ganzen Geschichte. Erzählt wird die Geschichte von Regisseurin Sabine Boss. Und sie tut das gut. Es gibt gute Momente - besonders die eindringlichen, emotionalen Momente zu Beginn, in denen Aichinger stirbt ("Mir ist nicht kalt, Kind!") - es gibt weniger gute Momente - die Liaison zwischen dem irren Aichinger und einer Unbekannten zum Beispiel nervt. Dafür, dass der unbedingt verrückt sein muss, kann Boss natürlich nichts. Für viele andere, sich im Laufe der Zeit herausstellende ultradämlich und mühsam zusammen gestrickte Verbindungen ebenfalls nicht.

Die Kommissare. ©ARD Degeto/SRF/ Daniel Winkler


Dafür bringt sie die Kommissare Reto Flückinger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) zu Höchstleistungen. Er hat eine Partnerin, kommt zu spät zur Arbeit. Sie möchte wissen, wer sie ist. Und so weiter. Netter kleiner Running Gag. Genauso wie der Nebenkriegsschauplatz des Flirts des neuen Praktis (Kay Kysela) mit der Gerichtsmedizinerin (Fabienne Hadorn). Auch nett. Der Showdown ist spannend in Szene gesetzt, ein kleiner kurzer Fernsehanschreier. Und überraschend ist die Auflösung dann irgendwie doch auch. Bis dato überwiegen inhaltlich aber die vielen plakativen Schwerpunkte, viele Klischees und eine kleine tendenziöse Neigung dieses Tatorts. Überragend dagegen manch ein Nebendarsteller.
Fazit:
Inszenatorisch sicher, inhaltlich teils ausbaufähig, aber immens wichtig und interessant: "Freitod" ist kein großer seiner Zunft, aber ein ordentlicher - besonders, wenn man bedenkt, was sonst schon so alles aus Luzern zu sehen war. Und die Moral von der G'schicht:"Die einen sterben freiwillig, die anderen hoffen auf eine Spenderniere."

©ARD


BEWERTUNG: 7/10Titel:Tatort: FreitodErstausstrahlung: 19.09.2016Genre: KrimiRegisseur: Sabine Bosse
Darsteller: u.a. Stefan Gubser, Delia Mayer, Anna Schinz, Martin Rapold, Martin Butzke

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