Mindestlohn kommt 2014

Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster, schaue tief in die Glaskugel und prognostiziere: Der allgemeine Mindestlohn wird, in irgendeiner Form, 2014 kommen. Ich habe bereits 2011 geschrieben, dass die CDU ihren prinzipiellen Widerstand bei diesem Thema aufgegeben hat. Natürlich ist daraus bisher keine konkrete Politik entstanden, dafür sorgt die FDP. Es ist die typische Arbeitsteilung der schwarz-gelben Koalition: Die FDP zieht rote Linien und profiliert sich so bei ihren Wählern, während die CDU dadurch - leider, leider - nichts tun kann, aber prinzipiell ein Thema für sich eingenommen hat, das in der Bevölkerung mehrheitsfähig ist. In ähnlicher Form ist das Spiel beim Thema Energiewende zu beobachten; auf dem Feld der Familienpolitik nehmen die christkonservativen Hardliner die Rolle der FDP ein, aber das Schema bleibt dasselbe. Nun hat Volker Kauder erneut die Einführung von Mindestlöhnen gefordert ("wer den ganzen Tag arbeitet muss auch davon leben können"). Die FR-Überschrift "Koalition zankt um Mindestlohn" ist natürlich irreführend, denn hier zankt niemand wirklich. Die FDP nimmt wieder ihre Rolle ein und verhindert die Einführung, womit Schwarz-Gelb weiter ihre übliche Politik durchführen kann. Für die CDU ist das prinzipielle Bekenntnis zum Thema Mindestlöhne aber von großer strategischer Bedeutung.
Bei der Bundestagswahl 2013 nämlich kann die CDU die SPD nicht mehr so gut in eine strategische Umarmung nehmen, wie sie dies 2009 tun konnte, als beide symbiotisch verbundene Koalitionspartner waren. Die Rhetorik Peer Steinbrücks und der SPD deuten darauf hin, dass "Gerechtigkeit" ein Zentrum der sozialdemokratischen Wahlkampfstrategie darstellen wird. Dies fällt der SPD leicht, da sie vier Jahre in der Opposition war und damit sämtliche strukturellen Gerechtigkeitsprobleme der CDU/FDP-Regierung zuschreiben kann. Für die CDU ist es also von elementarer Bedeutung, der SPD hier das Feld nicht zu überlassen. Peer Steinbrück würde sich im unvermeidlichen TV-Duell sicherlich gerne aggressiv als Anwalt des kleinen Mannes in Szene setzen, der mit ebensolchen Sprüchen wie dem, den Kauder gerissen hat, gegen eine Merkel der sozialen Kälte angeht. Das ist vorhersehbar, und entsprechend entschärft die CDU das. Seit zwei Jahren entfacht sie immer wieder strategisch die Debatte um Mindestlöhne, ohne wirklich zu agieren, und wird im Wahlkampf die FDP verantwortlich machen, eine Strategie, die umso einfacher wird, als dass die FDP in den TV-Duellen nicht vertreten sein wird. Steinbrück wird daher mit seiner Mindestlohnforderung bei Merkel rhetorisch offene Türen einrennen, so dass Sozialdemokraten und Christdemokraten hier vereint Seit an Seit zu schreiten scheinen - ein für die SPD verheerender Eindruck, denn gerade diese Deckungsgleichheit der Positionen trug maßgeblich zum katastrophalen Ergebnis 2009 bei.
Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden sich CDU und SPD im Herbst 2013 als Koalitionäre unter einer Kanzlerin Merkel wiederfinden. Merkel hat es bislang sets zu einem Zentrum ihrer Strategie gemacht, den Sozialdemokraten solche Themen abspenstig zu machen. Sie wird der SPD nicht erlauben, sich als Opposition an der Regierung zu gebärden und einen taktischen Sieg auf dem Feld der Mindestlöhne zu gönnen (entweder als erfolgreich implementierte Reform oder als stetig schwelender Wahlkampfschlager). Stattdessen wird Merkel im Einklang mit ihrer Strategie seit 2005 einen eigenen Vorschlag machen, der im Gegensatz zu der völlig "unrealistischen", "unverhältnismäßigen" Forderung der SDP nach 8,50€ die Stunde einen "vernünftigen", "pragmatischen" Kompromiss darstellen wird. Und die SPD wird gerne darauf eingehen, weil deren Spitze ohnehin immer noch skeptisch ist. Und so werden wir wohl 2014 in den Genuss einer weichgespülten Mindestlohnreform kommen, die mit Sicherheit keinen allgemeinen, in Deutschland überall anwendbaren Stundenlohn von 8,50€ vorsehen wird.


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