Mimimi.

Am frühen Donnerstag Abend lag ich mit meiner Tochter zusammen auf dem Bett und schaute ein Buch an. Eine der für uns normalsten Sachen der Welt endete unnormal schmerzhaft für mich.

Es dauerte nur einen Bruchteil von Sekunden. Ich sah plötzlich von der Seite einen kleinen Finger näher kommen und ehe ich reagieren konnte, ratschte eben dieser durch mein rechtes Auge. Ich schrie kurz laut auf und hielt mir mein Auge zu. In dem Moment konnte ich kaum Luft holen. Pusteblume protestierte bereits, weil sie das Buch doch gern weiter anschauen würde, während ich nicht wusste, ob ich schreien oder heulen soll. Ich tat weder das Eine, noch das Andere, taumelte stattdessen zum Spiegel, um mir das Ausmaß anzusehen. Tatsächlich war ich dazu nicht in der Lage, weil es einfach zu schmerzhaft war. Und so kauerte ich wimmernd auf dem Boden, als mein Mann kam und fragte, was passiert sei. In dem Moment war ich noch überzeugt davon, dass der Schmerz bald nachlassen würde. Und eigentlich wollte ich auch noch wegfahren.

Doch das Auge hörte nicht auf zu tränen, so dass ich mich schließlich abschminkte und versuchte das Auge auszuwaschen. Das hat aber rein gar nichts gebracht. Ich hing meinen Termin an den Nagel und zog mich ins verdunkelte Wohnzimmer aufs Sofa zurück, stets ein Taschentuch vors Auge gepresst. Die Schmerzen wurden immer schlimmer, statt besser und ich war wirklich kurz davor loszuheulen. Ich dachte ja, ich bin Schmerzen gewöhnt und kann einiges aushalten. Aber das war einfach nicht auszuhalten.

Meine Schwiegermutter war zufällig da und fuhr noch zur Apotheke, um mir etwas zur Linderung zu besorgen. Doch dort wurde sie leider mit leeren Händen wieder weggeschickt. Ich sollte das lieber vom Arzt abklären lassen. Natürlich. Ich verbrachte den Rest des Tages daher mit weitestgehend geschlossenen Augen, doch jede Bewegung versetzte mir erneut einen Stich und der Reflex, die Augen zuzukneifen, verursachte nur noch größeren Schmerz. Das Dumme ist ja auch, dass man das eine Auge synchron zum anderen bewegt. So kam es automatisch immer zu neuen Schmerz-Attacken.

Ich verpflanzte mich daher schon um kurz nach acht ins Bett, in der Hoffnung, das Auge würde zur Ruhe kommen und am nächsten Morgen wäre wieder alles okay. Falsch gedacht. Ich fand nämlich so gut wie keinen Schlaf, weil es in jeder Schlafposition weh tat und es mir einfach nicht gelang, die Augen nicht zu bewegen. Einigermaßen erträglich war es nur, wenn ich mit leichtem Druck das Auge zu hielt.

So versuchte ich mich am nächsten Morgen einhändig und blind fertig zu machen, während mein Mann die Kinder versorgte. Um halb acht stand meine Schwiegermutter schon vor der Tür, um uns unter die Arme zu greifen. Mein Mann wollte mich dann um zehn vor acht zum Augenarzt im Ort bringen – doch der hatte ausgerechnet jetzt Urlaub. Also fuhren wir wieder nach Hause, er brachte dann den Wildfang in den Kindergarten, um anschließend mich wieder zu Hause aufzugabeln und 15 km weiter zum Vertretungsarzt zu bringen – was für ihn total schlecht war, denn er hatte an dem Tag eine wichtige Deadline und außerdem war es der letzte Tag vor seinem Urlaub. In weiser Voraussicht schlug ich ihm vor, seinen Laptop mitzunehmen und so saß er dann neben mir im Wartezimmer und arbeitete an seinem viel zu kleinen Bildschirm, weil uns leider niemand sagen konnte, wie lange wir warten müssten und wir uns daher nicht sicher waren, ob es sich lohnen würde, wenn er wieder nach Hause fährt. Ich saß blind neben ihm, immer die Augen zu, weil es viel zu hell war, vor dem rechten Auge immer ein Tuch. Dazu natürlich völlig ungeschminkt. Ich kam mir total blöd vor, auch wenn es vermutlich niemanden interessiert hat.

Satte 2,5 Stunden musste ich warten. Und dann dauerte die Behandlung nicht mal 2 Minuten. Mir wurde gesagt, dass ich in dieser Woche schon die dritte Mutter mit Finger im Auge war. Und dass ich einen Riss in der Hornhaut habe und dafür Tropfen bekomme. Und tschüss.

Wieder zu Hause versuchte ich, die Tropfen zu nehmen. Und da ich voll die Mimi bin, habe ich das selbst nicht geschafft und mein Mann musste herhalten. Und verdammt, das Zeug brannte natürlich! So saß ich weiterhin mit geschlossenen Augen dumm herum. Meine Kinder kamen abwechselnd bei mir vorbei, um mich mit den Worten „Arme Mama!“ zu bedauern. Dabei bedauerte ich es, mich nicht um sie kümmern zu können.

Nachmittags verkroch ich mich ins Bett – zum Einen, um Schlaf nachzuholen, zum Anderen, um mein Auge zu schonen. Einschlafen konnte ich aber lange Zeit nicht. Lesen oder aufs Handy starren ebenso wenig. Also lag ich einfach da und dachte über alles mögliche nach, bis ich nach langer Zeit dann doch ein wenig Schlaf fand.

Am Abend war Pusteblume leicht fiebrig. Und wir entdeckten einige Bläschen an Händen und Füßen. Ich hatte es befürchtet – sie hat sich mit der Hand-Mund-Fuß-Krankheit angesteckt. Ich hatte bereits fest damit gerechnet, aber trotzdem seit Anfang der Woche gehofft, der Kelch würde an uns vorübergehen. Leider kein Glück gehabt. Noch war sie aber erstaunlich gut gelaunt.

Am Abend musste mein Mann mir sogar ein Brot schmieren, weil ich vor Schmerzen nicht konnte. Wie blöd das alles doch war! Später schalteten wir „The Voice of Germany“ an. Ich konnte nur zuhören. Jeder Blick in die Röhre trieb mir Tränen in die Augen. Da bekam der Begriff „Blind Audition“ eine völlig neue Bedeutung.

Doch es dauerte nicht lange, bis das Tochterkind zum ersten Mal schreiend wach wurde. Nicht zum letzten Mal in dieser Nacht.

Bis zum nächsten Morgen sind bei ihr noch ein paar Bläschen hinzu gekommen und leider schmerzte es ihr auch sehr im Mund. Sie wollte nichts essen, spuckte alles wieder aus und schrie „Aua!“. Die arme Maus.

Und mir ging es nur dezent besser. Ich konnte das Auge zwar wieder öffnen, jedoch nur unter Schmerzen. Und ich sah alles verschwommen. So hielt ich mir weiterhin ständig ein Taschentuch vors Auge, weshalb ich schon einen Krampf im Arm hatte. Alle Zimmer waren ein wenig abgedunkelt, nirgends brannte Licht, weil mir alles zu hell war. Das wiederum fand mein Mann durchaus positiv, da ich sonst immer und überall Licht brennen lasse.

Es blieb also kompliziert. Der Einfachheit halber bestellten wir daher mittags Pizza. Allerdings nicht in unserer Lieblings-Pizzeria, weil diese leider Vandalismus zum Opfer gefallen ist. Unfassbar! Daher musste eine andere Bude herhalten. Für die Kinder gab es eine Pizza Margeritha, für meinen Mann und mich je eine mit Thunfisch. Ich gab bereits nach der Hälfte auf, denn so toll schmeckte die Pizza nicht. Mein Sohn hörte kurze Zeit später auf zu essen, nachdem er ein Stück Glas (!) in seiner Pizza fand. Auch das ist unfassbar!

Es dauerte dann auch nicht allzu lange, bis mein Mann und ich uns gar nicht mehr so gut fühlten. Ob es am Thunfisch lag? Uns ging es auf jeden Fall schlecht und wir hatten uns offenbar den Magen verdorben. Bis zum Abend hatte sich die Lage glücklicherweise wieder etwas beruhigt.

Die Nacht war noch schwieriger als die davor. Pusteblume hatte offenbar Schmerzen, trotz Schmerzsaft. Mein lieber Mann hat aber die Nachtschicht übernommen. Doch schon vor sechs Uhr war die Nacht für mich dann auch vorbei, weil der Wildfang in mein Bett kroch und es nicht lange dauerte, bis mich ein Wortschwall über Gülle, Schweine und Dinosaurier überrollte. Etwa eine Stunde später stolperten Papa und Tochter auch ins Schlafzimmer und wir läuteten den neuen Tag ein.

Allerdings erlitt der Wildfang noch vor dem Frühstück einen Energieabfall und er glühte. Der dritte Patient.

Er wollte nicht mal etwas essen, daher schaltete ich ihm den Fernseher ein, während wir in der Küche frühstückten. Die Kleine aß immerhin eine halbe Scheibe trockenes Toastbrot. Alles andere bereitete ihr nach wie vor Schmerzen.

Bei mir hingegen ging es schon bergauf. Die Schmerzen waren deutlich zurück gegangen, allerdings waren meine Augen noch sehr lichtempfindlich und schnell überanstrengt. Aber das wurde im Laufe des Tages auch etwas besser. Trotzdem ist es immer noch am angenehmsten, die Augen zu schließen.

Der Vormittag zog sich wie Kaugummi. Das kleine Kind war sehr schlecht drauf und schrie viel, das große Kind schlief immer wieder ein. Auch Mittag essen wollte er nicht. Und die Kleine konnte nicht.

Der Tag kam uns unendlich lang vor. Den ganzen Tag in der Bude hängen mit zwei kranken Kindern und einer defekten Mutter, macht nicht so viel Spaß. Papa ist der einzige körperlich intakte Mensch hier, allerdings mit strapazierten Nerven. Verständlich.

Läuft gerade bei uns. Zwar rückwärts und bergab. Aber läuft.

Zwischendurch verpasste meine Tochter mir übrigens mal wieder eine Kopfkeule und donnerte gegen meine Lippe, die innerhalb weniger Sekunden aufs dreifache angeschwollen ist.

Habe ich dann mit Eis gekühlt.

Mimimi.

Um 19.45 Uhr liegen schließlich beide Kinder schlafend im Bett. Für den Wildfang einen Besonderheit, schläft er sonst nie vor 21.30 Uhr ein. Er muss also wirklich richtig krank sein. Wir wissen eben nur noch nicht, was er da ausbrütet. Ich vermute ja, er hat sich bei seiner Schwester angesteckt, aber bisher ist kein einziges Bläschen zu sehen. Lassen wir uns also überraschen.

Kann ja eigentlich nur besser werden. Oder eben nicht.



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