Milieustudie von der Stange: "Tatort: Borowski und die Kinder von Gaarden"

Man kann sich niemals sicher sein – so heißt nicht nur Eva und Volker A. Zahns berühmtestes, für den Grimme Preis ausgezeichnetes Werk, sondern dieser Satz schleicht sich durch die gesamte Vita des Drehbuch-Ehepaares. So wie sie bislang mit ihren Tatorten meistens Durchschnitt abliefern – oder eben nochviel weniger -, so entsprangen aus ihren Federn ebenfalls gelungene Fernsehfilme wie „Mobbing“ mit Tobias Moretti in der Hauptrolle. Und auch „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ ist ein beeindruckendes Werk - zwar nicht in meinen Augen, aber dafür in denen vieler Kritiker.
Bei Eva und Volker A. Zahn kann man sich also tatsächlich nie sicher sein, was am Ende für ein Film herauskommt. Für den aktuellen Kieler Tatort „Borowski und die Kinder von Gaarden“ waren die Vorzeichen jedenfalls alles andere als gut. Der letzte Fall über Drogen-Junkies war ein Brett, und der engagierte Regisseur Florian Gärtner hat an so fulminanten filmhistorischen Wunderwerken wie „Sex Up“, „Sex Up 2“ oder auch dem Ausbilder Schmidt-Film mitgewirkt. Es schwante mir daher bereits Böses im Vorfeld. Leider bewahrheiteten sich diese Bedenken. Denn das Buch der Zahns besticht einzig durch eine durchaus amüsante Namenswahl der Figuren – ansonsten ist der Film das perfekte Beispiel für einen Tatort, wie er nicht sein sollte. Mehr Schema F geht kaum.

Der pseudocoole Bezirks-Bulle und seine Bekanntschaft aus früheren Tagen (Wlaschiha l., Kekilli r.) ©NDR/Christine Schroeder

Ein Mann liegt tot in der Wohnung. Blutverschmiert, er stinkt, nicht nur nach Tod, sondern auch nach Schnaps. Alki war er, vorbestraft auch. An Kindern hat er sich mal vergriffen, saß deshalb auch schon ein. Onno Steinhaus wurde bloß sechzig Jahre alt und war nicht gerade beliebt in Gaarden, einem Kieler Problembezirk. Jugendliche kamen zu ihm, um sich mit ihm zu betrinken. Oder um sich mit Onno zusammen Pornos anzusehen. Dabei ging Onno manchmal auch zu weit. Auch vor Onno konnte man also nicht sicher sein. Hat sich einer seiner Opfer nun an ihn gerächt? Und überhaupt: Was hat der Bezirks-Cop Torsten Rausch (zu pseudocool: Tom Wlaschiha) mit dem ganzen Geschehen am Hut? Man weiß es nicht. Auch Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die Rausch durch einen gemeinsamen Freund namens Knacki – was für Namen! - kennt, und Kollege Borowski (Fels in der Brandung: Axel Milberg) blicken noch nicht durch im Gaardener Dickicht voller Probleme...

Furchtbare Klischeeparade - vorhersehbar wie nur eben möglich


Es scheint so, als hätten sich die Autoren übertrumpfen wollen in Sachen Klischees. Bereits nach der Tatort-Begehung und des ersten Auftritts von Wlaschiha als unsympathischen, kettenrauchenden Bezirks-Bullen ahnt der Zuschauer: Der hat Dreck am Stecken. Zu cool wirkt er, zu unsympathisch. Dauernd trägt er Sonnenbrille, dauernd gibt er den Obermacker, dauernd gibt er markige Sprüche von sich. Er ist der Boss im Bezirk, derjenige, der sich auskennt unter den Problem-Jugendlichen von Gaarden. Solche Figuren kennt man als Krimi-Experte zuhauf. So wundern die nach und nach herauskommenden Erkenntnisse, die ihn mit Steinhaus verbinden, auch diejenigen nicht, die bloß sporadisch Tatort gucken. Wie der Zufall es will, kennt er Brandt – die ihm aber natürlich attestiert, einer der Guten zu sein. Der Meinung schließt sich ihr Kollege selbstredend nicht an, der Rausch (Spitzname Rauschi, wuhaha) durchweg kritisch beäugt.

Borowski ist neuerdings Kindergärtner! (Axel Milberg) ©NDR/Christine Schroeder

Währenddessen gerät der 15-jährige Timo (stark: Bruno Alexander) in Verdacht, der zusammen mit seinem Halbbruder Leon (auch gut: Amar Saaifan) von der Mutter (Julia Brendler) vernachlässigt wird. Die mag ihre Kinder augenscheinlich nicht, genauso wenig wie Sheryl, die Ex-Freundin von Timo. Im bösen, bösen Internet findet die Kommissarin Brandt superschnell kompromittierende Videos von Timo, die den ungeheuerlichen Verdacht nahe legen: Der Tote habe ihn missbraucht. Draufgehalten mit ihren Handys hat eine fiese, nicht gerade mit Intelligenz gesegnete Jugendgang, die ohne jeglichen Respekt den Ermittlern gegenüber auftritt. Alle rauchen und trinken sie, trotz eines Alters jenseits der Strafmündigkeit. Spätestens als der Film dann auch noch Nachbarn ins Geschehen einführt, die bloß durch ihre Fenster zusehen, wie der Kinderschänder Steinhaus ständig Kinder zu sich eingeladen hat, versteht auch jeder Doofkopp: Gaarden, das ist ein Ort der Hoffnungslosigkeit.

©NDR/Christine Schroeder

Gärtners Krimi erinnert so stark an ein 0815-Sozialdrama. Er arbeitet dabei natürlich mit dauerhaft dunklen Bildern, und die Geschichte erzählt die üblichen Wirrungen. Borowski glaubt Timo, der seine Unschuld beteuert; Brandt hingegen glaubt – oh Wunder! - Timo nicht. Nach einer vermeintlichen Täter-Überführung sind noch 15 Minuten Laufzeit übrig – da gibt es dann selbstverständlich obendrein den berühmt-berüchtigten Tatort-Schluss-Twist.„Borowski und die Kinder von Gaarden“ ist somit ein krimitechnischer Offenbarungseid, der auch als Milieustudie aufgrund seiner Figuren vom Reißbrett nur bedingt funktioniert. Einzig zwei Szenen bilden eine Ausnahme: Um Zugang zu finden zu der Jugendgang, sperrt Borowski diese auf einem Bolzplatz ein. Wer einmal dort geboren ist in den Plattenbauten von Gaarden, der kommt so schnell nicht mehr davon – da kann man, wie Timo, auch noch so viele Bewerbungen schreiben. Bloß als Hund schafft man das, wie der Köter vom Toten. Dieser rennt am Ende über die Straßen, die Kamera fährt hoch, der Abspann beginnt. 

©ARD

Zum Jubeln ist einem da zumute. Ein grausiger 0815-Tatort hat ein Ende. Bei Eva und Volker A. Zahn kann man sich echt nie sicher sein.  
BEWERTUNG: 03/10Titel: Tatort: Borowski und die Kinder von GaardenErstausstrahlung: 29.03.2015Genre: KrimiRegisseur: Florian GärtnerDarsteller: Axel Milberg, Sibel Kekilli, Tom Wlaschiha, Bruno Alexander, Amar Saaifan u.v.m.

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