Milchsuppe und Umleitung

Erstellt am 16. November 2012 von Andramas

Das Wort “Milchsuppe” entstammt einem meiner ersten Bücher (“Kriminalkommissar K. erzählt”) und – analysiere ich – diese Vokabel war wohl deshalb so prägend, weil ich seinerzeit keine Milchsuppe kannte. Nebel im Übrigen auch nicht, denn Nebel ist in einer sich verändernden Großstadt für ein Kind nicht sonderlich bemerkbar. Darüber hinaus gehören Synonyme nicht unbedingt zu kindlicher Sprache.

In “Kriminalkommissar K. erzählt” schimpft ein LKW-Fahrer über Milchsuppe, durch die er fahren muss, womit er dichten Nebel meint ~ mehr blieb von dieser Geschichte nicht hängen.

“Milchsuppe”, präzisiere ich daher heute, “ist dichter Nebel bei angehender Dunkelheit in einem Auto mit Sommerreifen”.

OMG! – ICH MUSS ENDLICH ZEIT FINDEN, UM DIE REIFEN ZU WECHSELN, BALD WIRD ES RICHTIG GLATT, VERFLUCHT-NOCH-MAL!

Die Milchsuppe ist zu allem Übel garniert. Am Abzweig Rippachtal kann man nicht nach Norden. Die Abfahrt auf die A9 in Richtung Berlin ist gesperrt und ein böser Wegweiser führt einen noch unvoreingenommenen Reisende um ganz Leipzig herum. ”Auf Wiedersehen im Land der Frühaufsteher!”

Schönen Dank aber auch, ihr doofen Anhalter!

Die alte Dame bemerkt, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte.

“Wir haben uns wohl verfahren?”

“Nee. Hammer-nich! Aber die Abfahrt auf die A9 ist gesperrt. Nun müssen wir von der 38 über die 14 auf die 9.”

Was sie noch mehr beunruhigt.

“Geht es dir gut? Du sprichst so komisch!?”

Wenig später hängt jeder erneut seinen eigenen Gedanken nach.

Das Sterben, überlege ich, ist eine schreckliche Sache. Plötzlich hängt man tagsüber nur noch in einem Rollstuhl und wird gefahren. Von lauter fremden Leuten, die es gut meinen. Du wirst gewaschen, wirst irgendwie gut oder schlecht gepflegt und hast, wenn du reden kannst, kein anderes Thema als dein Leid oder das Leid der Anderen.

*seufz*

Dies seufzen hörend, spricht sie wieder.

“Tante Trulla sei ja auch sooo schlimm gestorben. Oder Onkel Oskar erst! Und die Margit – nee! ~ Ach die Margit! … Sagmal, wie lange ist die Margit eigentlich schon tot?”

Keine Ahnung. Es nützt wenig, zu wissen, dass man nicht dazu gehört. Auch wer sich selbst jung glaubt, sieht sich von Kranken- und Sterbegeschichten nur so umzingelt.

“Meine Töchter sollten meinen Job übernehmen”, denke ich plötzlich in den Nebel hinein. Um diesen Gedanken sofort wieder zu verwerfen. Also nee - DAFÜR IST EINE ENDZWANZIGERIN DOCH NOCH VIEL ZU JUNG!

Irgendwas muss ich sagen, ich spüre das.

“Jedenfalls hat die Krankenkasse gestern für den Vater die Pflegestufe 3 bewilligt.”

In die Stille hinein, einfach nur-so.

“Hä? Was? Und DAS sagst du so nebenbei?”

Egal wie schön eine Botschaft, sie kann immer auch mit Vorwurf enden. Und der Nebel bleibt bis Potsdam.