So schnell kann das gehen. Eben noch war Sigmar Gabriel der hochgeachtete Retter der deutschen Sozialdemokratie und Anwärter auf den Sessel des nächsten SPD-Kanzlerkandidaten. Schließlich hatte er die SPD nicht nur energisch konsolidiert, sondern ihre Umfragewerte auch von 22 auf 26 Prozent stabilisiert. Und auf einmal schlägt alle Welt auf den früheren Popbeauftragter der organisierten Arbeiterklasse und heutigen Wahlmagdeburger ein. "Keiner der momentanen Spitzenpolitiker vermag so marktschreierisch zu formulieren, so substanzlos zu schwafeln. Wenn Gabriel sich zu Wort meldet, dann fragt man sich nicht, welche inhaltlichen Überlegungen ihn motiviert haben, sondern welche Effekte er erzielen möchte", höhnt Zettel in seinem kleinen Raum. "Verlacht und verkannt von der Welt, dennoch unaufhörlich Sätze plappernd, die keiner hören will als Sigmar Gabriel selbst", stöhnt Karl Eduard angesichts eines Fotos des Parteivorsitzenden, das ein missgünstiger Fotograf "Sigmar Gabriel denkt nach" genannt hat.
Es ist eine offenkundige Schwäche des Führers der deutschen Arbeiterklasse, dass es nicht mehr braucht als eine Bildbeschreibung, um den ganzen Sigmar Gabriel zu enttarnen. "Ein großes Bild, ein schwerer Mann, die Anstrengung des Nachdenkens ist ihm ins Gesicht geschrieben", sinniert Karl Eduard. Die Denkerstirn liegt tief in Falten, das Bild eines intellektuellen Schwerarbeiters. "Was schaut Sigmar Gabriel, sorgenumwölkt? Was sieht er? Sieht er das heraufdämmernde Zeitalter überbordenden Internets, in dem Hetze, Beleidigungen oder gar Bedrohungen als „eine Art Folklore“ hingenommen werden?"
Wir werden es wieder und wieder erfahren, ahnt Zettel. Gabriel, bei dem schon die körperliche Konstitution für einen behandlungsbedürftigen Mangel an Selbstdisziplin spricht, äußert sich immer und zu allem. Er äußert sich laut, aber widersprüchlich, er fädelt Konjunktive aneinander und "glaubt", "ist überzeugt" und "würde", wie Die Anmerkung analysiert. "Dieser intelligente, flatterhafte Mann ohne erkennbare Prinzipien, mental so leichtgewichtig, wie er körperlich schwergewichtig ist, war und ist der perfekte Dröhner", findet Zettel. Alles an Gabriel sei unecht, auf Show und Theatralik angelegt. "Gegen ihn war sein Mentor Schröder ein Muster an intellektueller Ernsthaftigkeit und charakterlicher Solidität."
Der Niedersachse, der nicht nur charakterlich einem Milchbrötchen gleicht, sondern in seiner ganzen Person die Generation Fastfood verkörpert, zieht allemal am schnellsten, wenn es um blödsinnige Vorschläge und irrwitzige Vergleiche geht. So habe der Pop-Beauftragte sich natürlich auch "zu den Taten des Anders Behring Breivik geäußert", konstatiert Zettel. "In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und die Abgrenzung von anderen wieder hoffähig wird, in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden", verriet Gabriel der staatlichen Nachrichtenagentur dpa.
Das darf getrost übersetzt werden mit "wer heute mehr Integration von den zu Integrierenden fordert, wird morgen Kinder morden". Denn wenn "in einer Gesellschaft (der deutschen) Thilo Sarrazin mit kritischen Thesen Zustimmung" finde, zerlegt Zettel das atemlos machende dumme Geschwätz des Genossen, ist es "natürlich", daß in einer Gesellschaft (der norwegischen) ein Massenmörder Kinder und Jugendliche umbringt.
Weil dieser Zusammenhang nun selbst für Gabrielsche Verhältnisse unsinnig ist, hat Sigmar Gabriel sofort nach Veröffentlichung seiner Äußerungen bestritten, das er sie gemacht hat. "Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist dem Eindruck entgegengetreten, er habe einen Zusammenhang zwischen den Attentaten von Oslo und der Diskussion über Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin hergestellt", teilte er erneut über dpa mit. Diesen Zusammenhang gebe es "natürlich nicht", sagte Gabriel. Was Zettel so kommentiert: "Was schert Gabriel sein Geschwätz von gestern. Natürlich gibt es den Zusammenhang, sagt er. Natürlich gibt es ihn nicht, sagt er."
So ist er halt, der poppige Gabriel, der doch so gern ein Vordenker und messerscharfer Populist sein möchte, nur eben leider nicth weiß, wie das geht. Die FDP müsse aufpassen, keine Tea Party zu werden, ruft er. Desweiteren sei er "für eine schärfere Kontrolle des Internets durch Polizei". Außerdem poche er "nach den Anschlägen in Norwegen auf ein Verbot der rechtsextremen NPD" und sei "unzufrieden über die sinkenden Löhne für Geringverdiener". Die SPD habe immer ein Auge auf die Gerechtigkeit in Bezug auf die Bundeswehr gehabt, betont er zwischendurch. Merkel habe jeden Kredit verspielt, die Besoldung bei der Bundeswehr müsse besser werden, er biete der CDU Hilfe bei der Durchsetzung einer Steuerreform an, außerdem sei Schwarz-Gelb am Ende und er fordere ein Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose.
Sigmar Gabriel, gerade noch als Eisbärenpate gescheitert, ist in Bestform. Die Welt gibt ihm kaum noch Rätsel auf, und so erscheint ihm alles erleuchtet, schreibt die "Welt". Karl Eduard sieht dem Denker ins Gesicht und sieht einen "Mahner, einen Denker, eine Kassandra im Anzug". Auf dem Stuhl von August Bebel und Willy Brandt sitze heute ein Mann, findet Zettel, den selbst die der SPD zugetane "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Online-Ausgabe denjenigen nennt, der "fürs Poltern und fürs Provokante verantwortlich zeichnet". Früher einmal habe in Deutschland die Regel gegolten, dass in den großen Parteien der Vorsitzende staatsmännisch-zurückhaltend zu sein hatte; klagt Zettel, während der Generalsekretär den "Mann fürs Grobe" gab. Heute hat die SPD den Mann fürs Grobe an ihrer Spitze, er heißt Sigmar Gabriel und er würde, wenn er könnte. Bis dahin redet er.