Nur mit viel Anstrengung bleibt man oben, beim kleinsten Ausfall oder Fehltritt rutscht man tiefer. So geht es auch vielen Familien in Südindien. Trotz des Wirtschaftsbooms lebt hier noch fast jeder Zweite täglich von weniger als einem Euro. Jeder Tag ist damit ein Kampf gegen den Absturz. Viele Inder sind den willkürlichen Widrigkeiten des Alltags ausgesetzt – wie Krankheit, dem plötzlichen Tod des Brotverdieners in der Familie oder den immer wiederkehrenden Naturkata- strophen. Im Jahr 2004 verwüstete der Tsunami weite Teile der indischen Südküste. Tausende Menschen kamen ums Leben; und diejenigen, die den Sturm überlebt hatten, waren plötzlich ohne Hab und Gut.
Menschen, die in Armut leben, brauchen eine Absicherung gegen solche unerwarteten Schicksalsschläge. Ansonsten versinken sie immer tiefer in der Armutsspirale. Es sind aber gerade die Armen, die sich Versicherungsprämien nicht leisten können. Von einem Euro am Tag bleibt nicht viel übrig. Zudem ist das Konzept, sich gegen eventuelle Schäden zu versichern, in großen Teilen Indiens unbekannt. Die meisten Menschen wissen also nicht, dass sie die Möglichkeit hätten, ihr Leben und ihren Besitz zu schützen.
Theaterzeit in Mutlur
Ein Blick nach Tamil Nadu, zum südlichsten Zipfel Indiens: Vor dem Gemeindehaus im Dörfchen Mutlur hat sich eine große Menschenmasse versammelt. Vor allem Frauen sind zu sehen, gehüllt in farbenfrohe Saris. Es sind Frauen, die der unteren Kaste angehören, den Dalits. Sie werden auch die „Unberührbaren“ genannt, sie werden diskriminiert und öffentlich geächtet. Sie gehören zur ärmsten Bevölkerungsschicht Indiens. Für diese Frauen findet heute eine außergewöhnliche Veranstaltung statt. Bei Musik, Tanz und Theater hören sie ein neues Wort: Mikroversicherung. Eine Tanzgruppe tritt auf, sie singt von dem Nutzen einer solchen Versicherung; darüber, wie sie den Frauen helfen kann, ihren Besitz und ihr Leben abzusichern und im Falle einer Katastrophe geschützt zu sein. Danach kommt eine Theatertruppe, die auf der Bühne nachspielt, wie man eine Mikroversicherung abschließen kann. Die Frauen lachen und klatschen in die Hände. Am Ende der Veranstaltung laufen viele zu dem kleinen Stand und informieren sich genauer über die Mikroversicherung. Zwei Vertreter, einer von Bajaj Allianz, dem indischen Tochterunternehmen der Allianz, und einer von CARE, erklären ihnen die Vorteile und die Kosten. 60 Frauen schließen an diesem Abend eine Mikroversicherung ab. CARE arbeitet schon seit langem mit lokalen Selbsthilfegruppen in Indien zusammen, um nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Seit dem Jahr 2008 unterstützen CARE und seine lokalen Partner die Allianz-Versicherung, um den Einwohnern einen Grundschutz gegen Unfälle, Feuer und Naturkatastrophen anzubieten. Eine Police für eine vierköpfige Familie kostet weniger als drei Euro im Jahr.
Nisha kann uns nichts anhaben
In der Frauengruppe von Sematikuppam haben sich 15 Frauen zusammengeschlossen, um gemeinsam Geld zu sparen. Auch wenn es nur wenige Cents im Monat sind – nach ein paar Wochen oder Monaten ist genug Geld im Topf, um die Schulausbildung der Töchter oder die Miete für ein kleines Geschäft zu zahlen. Jede der Frauen kann sich aus dem Topf Geld leihen und mit einem kleinen Zinssatz zurückzahlen. Als Ende des Jahres 2008 der Wirbelsturm Nisha die Häuser des Dorfes zerstörte und die gesamte Ernte verwüstete, waren viele der Frauen zum ersten Mal nicht völlig verzweifelt. Denn sie hatten alle eine Mikroversicherung gekauft, mit der sie Anspruch auf eine Rückzahlung hatten und ihre Häuser reparieren konnten. Anfangs konnten sich nicht alle Mitglieder der Gruppe die Versicherungsprämie leisten. Doch die Frauen haben kurzerhand zusammengelegt, so dass sich letztendlich auch die ärmste Familie versichern konnte. Mikroversicherungen sind ein innovativer und wirksamer Schutz gegen die Folgen von Katastrophen. In Zeiten des Klimawandels, in denen Naturdesaster intensiver und häufiger auftreten können, brauchen vor allem die Bewohner von Entwicklungsländern ein Netz, das sie vorm steten Abrutschen in die Armut bewahrt. Über 98 Prozent derjenigen Menschen, die von Katastrophen wie Überschwemmungen oder Erbeben betroffen sind, leben in den ärmsten Ländern der Welt. Eine Mikroversicherung ist solch ein Rettungsnetz.
Aus: care_affair / care.de