Midterm Dangers

Auf dem Papier sehen die Aussichten der Democrats für die Midterm Elections kommenden Novermber großartig aus. Trumps Zustimmungswerte kommen nicht über die 45% hinaus, Skandal hängt an Skandal. Eine Rekordzahl republikanischer Amtsinhaber tritt nicht mehr an. Im generic ballot führen die Democrats, je nach Umfrage, zwischen 5% und 15%. Und doch bewegen sie sich angesichts der kommenden Wahlen in einem wahren Minenfeld. Denn gerade die Faktoren, die so verheißungsvoll wirken, bergen gleichzeitig ihre eigenen Gefahren. Und diese Gefahren bedeuten, dass es für die Democrats 2018 keine einfachen Entscheidungen gibt. Jeder Schritt birgt Opportunitätskosten, und in keinem Fall ist klar, welche Strategie sich am Ende auszahlen wird. Eines aber ist klar: in Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod. Legt sich die Partei nicht fest, verliert sie sicher. Es braucht nicht erst den SPD-Wahlkampf 2017, um diese Lektion deutlich zu machen.
Es lohnt sich, an dieser Stelle etwas zu verweilen. Denn wenn man Hillary Clinton bezüglich ihrer Wahlkampfstrategie 2016 einen Vorwurf machen kann, dann ist das nicht, nicht mal persönlich in Wisconsin vorbeigeschaut zu haben, sondern kein klares Wahlkampfthema besessen zu haben. Ein Teil davon war auch der Aufmerksamkeitsgenerierung Trumps geschuldet, sicher, aber Clinton konnte sich nie richtig entscheiden, was nun ihr Thema war. Frauenrechte? Ungleichheit? Korruption? Russland? Sie hatte zu allem etwas zu sagen, viel zu sagen, Gutes zu sagen, aber ein Thema gab es nicht, und damit fiel es der Presse umso leichter, dem jeweiligen nächsten scheindenden Ding hinterherzujagen, das Trump gerade produzierte.
Die Democrats brauchen daher 2018 ein Thema, ein Leitmotiv. Das wird zwingend mit Trump verbunden sein. Der Präsident, so viel haben die special elections der letzten zwei Jahre gezeigt, ist ein Mühlstein um den Hals jedes republikanischen Kandidaten, und die Oppositionspartei gewinnt eigentlich immer, wenn sie den Präsidenten mit seiner Partei verknüpft (im 20. Jahrhundert gibt es von dieser Regel gerade einmal drei Ausnahmen). Für die Republicans, die gegen Obama Wahlkampf machten, war das keine schwierige Entscheidung. Obama bot genau ein Ziel, aber das leuchtete floureszierend und überdeutlich sichtbar für alle, und entsprechend melkten es die Republicans erbarmungslos und mit großem Gewinn: Obamacare. Es war der eine weithin sichtbare, umfassende "Skandal" der Obama-Jahre, insofern "Skandal" hier großzügig auch auf das angewendet wird, was die Opposition dazu macht.
Das Problem für die Democrats ist nun wahrlich nicht, dass Trump zu wenig Skandale bieten würde. Das Problem ist, dass es zu viele sind. Dies mag erst einmal wenig intuitiv erscheinen, aber im Wahlkampf profitiert man eher, wenn der Gegner genau eine Angriffsfläche bietet - wie Obama das tat, oder Clinton - als wenn es viele verschiedene gibt. 2016 hat dies deutlich gezeigt. Denn wer jede Woche zwei neue Skandale produziert, dessen Skandale sind auf eine gewisse Art wertlos, der betäubt das Publikum. Die Democrats müssen daher ein Trump-Thema wählen und dieses erbarmungslos ausschlachten, die nationale Konversation immer und immer wieder auf dieses eine Thema lenken. Und welches das sein soll, ist völlig unklar.
Denn bei der Auswahl gibt es noch weitere Probleme zu bedenken. Die Basis der Democrats, auf deren hoher Wahlbeteiligung jedes Siegesszenario im November fußt, interessiert sich weniger für die Trump-Skandale. Die sind dazu da, Independents dazu zu bringen, ihr Kreuz aus Abscheu bei den Democrats zu machen und Republicans dazu zu bringen zuhause zu bleiben. Die Basis will klare Festlegungen ihrer Kandidaten für progressive Ziele: eine Sicherung und Ausweitung von DACA, eine allgemeine und gesetzliche Krankenversicherung, höhere Besteuerung der Spitzenverdiener, Reduzierung der Studiengebühren, Waffenkontrolle, etc. Diese Themen aber besitzen in den USA, wenn überhaupt, nur eine sehr tendenzielle Mehrheit und können von den Republicans schnell mit deren wohlgeölter identity-politics-Wahlkampfmaschine gegen die Democrats gewendet werden.
Die demokratische Basis alleine reicht aber zum Sieg nicht aus, vor allem nicht in den "roten" Staaten, in denen Trump mit zweistelligen Prozentzahlen gewann und in denen die Democrats zwingend Erfolge vorzeigen müssen, wenn sie die Mehrheit gewinnen wollen. Die Partei braucht Überläufer aus der Masse der Unentschlossenen (man sollte sie nicht "die Mitte" nennen, denn so etwas existiert effektiv nicht). Das setzt zwingend voraus, dass die Democrats eine Big-Tent-Party werden, also einer große Bandbreite von Überzeugungen eine Heimat bieten - ein klarer Gegenentwurf zur immer radikaleren, nur auf identity politics basierenden republikanischen Konzentration auf ihre Basis. Aber das freut natürlich die Basis der eigenen Partei nicht. Einen einfachen, richtigen Weg gibt es daher nicht.
Die daraus resultierende Strategie ist daher zwangsläufig widersprüchlich. Kandidaten müssen die demokratische Basis ansprechen, indem sie ein Bekenntnis zur reinen Lehre ablegen (was auch immer die im jeweiligen Moment gerade ist). Sie müssen Unentschlossene ansprechen, indem sie sich als Kontrollinstanz und Bremse für einen extremistischen GOP-Präsidenten präsentieren. Und sie müssen Konservative davon abhalten, für Trumps Kandidaten zur Wahl zu gehen, indem sie dessen schlechte Beliebtheitswerte nutzen. Aber diese dreigliedrige Strategie kann dafür sorgen, dass Unentschlossene nicht "radikale" Progressive in den Kongress wählen wollen, dass die Basis sich enttäuscht von den "faulen Kompromissen" ihrer Kandidaten abwendet und dass Konservative durch die identity-politics-Gegenkampagne der Republicans erst motiviert werden.
Bedauerlicherweise ist die Demoskopie dabei auch nur eingeschränkt hilfreich. So gibt es klare Umfrageergebnisse, nach denen die Wähler von den Democrats wollen, dass diese grundsätzlich mit Trump zusammenarbeiten. Nur: Zum einen hasst die Basis genau das, und zum anderen ist es einer dieser typischen Fälle, in denen die Wähler schlichtweg die Unwahrheit sagen. Zwar bekräftigen Wähler permanent vor Wahlen, dass sie unbedingt wollen, dass die Parteien zusammenarbeiten ("bipartisanship"), doch wann immer sie es tatsächlich tun, hassen sie das Ergebnis. Das zwingt die Politiker dazu, sich zu etwas zu bekennen, das sie in der Praxis nicht tun werden - zwar weil der Wähler das so will, aber da er es sich nicht eingesteht, heißt es dann gleich wieder "Lüge!". Und erneut, die Basis mag das eh nicht.
Ein weiteres kleineres Problem ist die eigentliche Führung der demokratischen Partei. Nancy Pelosi, ihres Zeichens Minderheitenführerin der Democrats im House of Representatives und zwischen 2006 und 2010 Mehrheitsführerin, ist eine absolute Hassfigur der Rechten. Sportliche 58% aller Wahlwerbespots seit 2016 hatten sie zum Thema. Pelosi ist im Wahlkampf sicher eine Belastung, aber sie ist gleichzeitig eine der effizientesten Parlamentarier aller Zeiten. Sie zu verlieren wäre für die Democrats ein schwerer Schlag. Der DNC, auf der anderen Seite, hat in letzter Zeit einige fragwürdige strategische Entscheidungen getroffen und genießt daher nicht das Vertrauen, das wünschenswert wäre.
Zuletzt gibt es das Problem, dass die Versuche der Republicans, die Demokratie durch aggressives Gerrymandering und Behinderung von Wahlen sowie den massenhaften Entzug des Wahlrechts einzuschränken, die Lage deutlich verzerren und die Democrats dazu zwingen, in vielen "roten" Distrikten anzutreten, während ihre "blauen" Distrikte so überwältigende Siege produzieren, dass die eigentliche Herausforderung der Kandidaten das Gewinnen der Vorwahlen ist, wo man sich sehr weit links positionieren muss, was den Republicans Möglichkeiten gibt, die Botschaft ihrer Gegner zu verwässern.
Abgesehen von diesen Hürden bleibt noch die Frage, welchen der vielen Skandale Trumps man denn nun zum eigentlich beherrschenden Wahlkampfthema machen will - und dafür alle anderen ignorieren und nach Möglichkeit in den Hintergrund drängen. Auch hier gibt es keine klaren Antworten, denn jedes Thema kommt mit seiner eigenen, eingebauten backlash-Gefahr.
Da wäre zum einen Korruption, das etwa Jonathan Chait empfiehlt. Die Vorteile dieses Themas liegen klar auf der Hand. Viele der Unentschlossenen, die Trump vor allem wählten weil sie irrig glaubten, das sei für ihre persönliche Situation besser, können durch einen Fokus auf die ungeheure und seit 1900 nicht mehr dagewesene Korruption und Selbstbereicherung der Regierung zur Wahlabstinenz oder sogar Wahl gegen Trump bewegt werden. Zudem können an dieses Thema leicht andere ökonomische Themen angehängt werden, etwa die Steuerpolitik oder die Krankenversicherung für alle, Themen also, die besonders dem Sanders-Flügel am Herzen liegen.
Das Thema hat jedoch auch ein gewaltiges Gefahrenpotenzial. Denn die Obama-Erholung, die Trump geerbt hat, produziert auch in ihrem mittlerweile neunten Jahr stabile Wachstumsraten. Die Situation ist besser als seit irgendeinem anderen Punkt mindestens in den letzten zehn Jahren, eher länger. Das Albtraumszenario wäre für die Democrats, dass die Botschaft der Republicans - Steuererleichterungen und niedrige Arbeitslosenzahlen - zu der Überzeugung, es sei eigentlich alles in Ordnung, gerade der Wähler führt, die man zu gewinnen hofft, während die Basis der Democrats, die weniger zu den Profiteuren zählt, sich ob der Losgelöstheit der Parteieliten von ihrer Realität angewidert abwendet, wie dies bereits 2016 teilweise zu beobachten war.
Da wäre zum anderen DACA. Trumps Kampf gegen illegale Einwanderer und den Rechtsstaat bietet eine große Angriffsfläche. Zahlreiche zu Tränen rührende Einzelschicksale unbescholtener Einwanderer können als politische Waffe gebraucht werden, der offenkundige Rassismus so vieler Trumpisten ins Scheinwerferlicht gerückt werden und die Latinos als große Wählergruppe mobilisiert werden. Zudem ist es für die junge Basis der Democrats ein wichtiges Thema, mit dem sie sich mobilisieren lassen.
Nirgendwo aber ist das Gefahrenpotenzial größer. Das Thema lässt sich leicht in Richtung "die Democrats helfen illegalen Einwanderern" drehen, und die republikanische identity-politics-Brigade wird massenhaft Munition erhalten, um ihre Basis mit der Bedrohung ihres Traums von einem weißen Amerika zu mobilisieren. Einer Mehrheit der Bevölkerung ist das Thema relativ egal, und zwingt man sie zu einer Entscheidung ist es sehr gut möglich bis wahrscheinlich, dass sie sich für Grausamkeit gegen die Einwanderer entscheiden. Viele der Latinos können mangels geklärter rechtlicher Umstände nicht wählen und fürchten die Registrierung, die von der unter Trump in eine autoritäre Schlägertruppe verwandelte Einwandererpolizei zudem zu gezielten Attacken gegen wählende Latinos missbraucht wird. All diese Faktoren sprechen eher gegen das Thema.
Da wäre Stormy Daniels. Der Porno-Star, den Trump wohl auch wegen der äußerlichen Ähnlichkeit zu seiner Tochter mit 130.000 Dollar für Sex bezahlte, hat sich als ein wahres PR-Genie entpuppt und hält den Skandal mit einer ungeahnten Kunsfertigkeit in den Schlagzeilen. Er eignet sich daher, um Trumps zahlreiche Affären und seine generell miese Behandlung von Frauen zu thematisieren, ähnlich wie Clinton dies 2016 mehrfach erfolgreich unternahm. Zudem gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte zur erfolgreichen #MeToo-Bewegung. Nur wenige Themen mobilisieren aktuell die Basis der Democrats so zuverlässig wie der "War on Women", den die Republicans unternehmen, und dessen Thematisierung auch andere Schwächen ausgleichen könnte (etwa der offensichtlich misogynistische Hass gegen Nancy Pelosi).
Wie DACA hat allerdings auch dieses Thema eine Menge Schattenseiten. Erst einmal ist unklar, ob Daniels es schaffen kann, den Skandal bis November warm zu halten. Einen Pornostar als Wahlkampfthema zu benutzen ist zudem sehr gefährlich, weil es die heuchlerischen "value voters" zurück auf Trumps Seite treiben könnte, so sich denn überhaupt von ihm abgewandt haben. Zudem birgt das Thema die große Gefahr, von den rechten identity-politics-Ideologen zur Mobilisierung der eigenen Basis genutzt zu werden. Viele Unentschlossene identifizieren sich zudem nur eingeschränkt damit und könnten durch den Zwang des Wahlkampfs auf die Seite der Republicans gedrängt werden, wie das in den letzten Monaten öfter, auch hier in Deutschland, zu beobachten war. Gezwungen, sich entweder mit Rechtsradikalen gemein zu machen oder ihr Weltbild zu überdenken, finden erschreckend viele ostentativ Bürgerliche Gemeinsamkeiten mit den Rechsextremen.
Da wäre Nordkorea. Trumps aggressive Rhetorik, gepaart mit seiner beeindruckenden Unkenntnis und mangelnden Aufmerksamkeitsspanne macht jegliche Vorstellung, dass dieser Präsident mit einer atomaren Krise konfrontiert sein könnte, inhärent furchterregend. Die Nominierung John Boltons als nationaler Sicherheitsberater und die Ernennung anderer Falken aus der Bush-Zeit mit mindestens fragwürdigen Lebensläufen ruft Erinnerungen an den Irakkrieg und George W. Bushs katastrophale Präsidentschaft wach, die hier generell thematisiert werden kann.
Doch trotz dieses wohlbekannten Desasters favorisieren die Amerikaner in überwältigender Mehrheit eine "starke" Außenpolitik, mit Militär als erstem und letztem Mittel, und sehen chauvinistisches, markiges Auftreten als größte Linderung ihrer Furcht vor dem Chaos der Außenpolitik, eine Mechanik, die schon so manchen demokratischen Präsidenten zur Übernahme deutlich aggressiverer außenpolitischerer Positionen bewogen hat, als diese im Wahlkampf vertraten. Wie auch bei der Frage der bipartisanship mögen die Wähler zwar häufig im Abstrakten eine Reduzierung des amerikanischen Engagements, doch als Antwort auf jegliche Krise wünschen sie sich dann doch die Entsendung amerikanischer Truppen. Diese Schizophrenie und die Tatsache, dass sich Wähler ohnehin nicht für Außenpolitik interessieren, macht das Thema wenig interessant.
Da wäre Russland. Der permanente und wohlbegründete Verdacht, dass Trump seinen Sieg zu nicht geringen Teilen einer verräterischen Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst zu verdanken hat eignet sich wie kaum ein anderes Thema zur Delegitimierung seiner Präsidentschaft und zum Angriff auf die Idee, es handle sich um einen Präsidenten, der seine Kernaufgabe, das amerikanische Volk zu beschützen, erfüllen könnte. Zudem lädt der reichhaltige Zitatschatz Trumps, in denen er seiner beinahe schon erotischen Begeisterung für Putins Autokratie Ausdruck verleiht, dazu ein, die faschistoiden Züge der modernen GOP im Allgemeinen und Trumps Regierung im Besonderen zu thematisieren. Sollte Robert Mueller bis November irgendwas Verwertbares herausfinden und/oder Trump Schritte gegen ihn ergreifen, ist es automatisch Thema Nummer 1, und die Democrats wären natürlich dazu positioniert, Ertrag daraus zu schlagen.
Wie bei Korea allerdings ist ein Problem, dass die Mehrheit der Wähler sich für diese abstrakten Themen schlicht nicht interessiert. Zudem ist kaum planbar, was die Ermittlungen um Mueller ergeben, und wie die Bevölkerung auf eventuelle Schritte Trumps reagieren würde. Dieses Thema ist für die demokratische Hygiene der USA sicherlich das wichtigste, aber es ist kein gutes Wahlkampfthema - wie Clinton 2016 auch unsanft erfahren durfte.
Und das ist nur eine Auswahl dessen, was just in diesem Moment, im April 2018, die Schlagzeilen bestimmt. Wer weiß, welchen Mist diese Regierung bis November noch verzapft! Bei jedem neuen Thema stehen die Democrats erneut vor der blöden Entscheidung, das bisherige Thema fallen zu lassen oder ihre alte Botschaft auf Kosten des neuen Skandals zu pushen, eine Entscheidung, die sie ohnehin nur schwer selbst treffen können, weil die ständig schwankende Aufmerksamkeit der Medien kaum beeinflussbar ist.
Für was auch immer sich die Democrats entscheiden, keine Variante ist eine "offensichtlich richtige", und die Wahl wird nicht leichter dadurch, dass eine wahre Armada von Kommentatoren ihre jeweils präferierte Politiklösungen als richtige Antwort verkaufen. Möchte man Single Payer durchsetzen? Dann können die Democrats nur gewinnen, wenn sie das als Plattform übernehmen. Und so weiter.
Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich ebenfalls versuchen, auf das Korruptionsthema zu setzen. Sicher ist das allerdings auch nicht. Es bleibt daher nur die Hoffnung, dass die vielen Vorteile, die die Democrats im kommenden November genießen, am Ende ausreichen werden.

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