Oft trifft man Menschen, die in einer anderen Zeit vermeintlich glücklicher geworden wären, als in der Gegenwart. Wenn der Weltschmerz fahrt auf nimmt, verklären sie eine bestimmte Epoche und deklarieren sie gerne zur aufregendsten und vielversprechendsten Zeit, die es je gegeben hat.
Für den Trailer bitte hier klicken.
Auch Gil (Owen Wilson) der Protagonist von Woody Allens jüngstem Wurf Midnight in Paris ist ein hingebungsvoller Nostalgiker: Paris ist für ihn die Stadt seiner Jugend. Damals hätte er alles werden können, jetzt dümpelt er als erfolgreicher aber unglücklicher Hollywood-Schreiberling mit unerfüllten schriftstellerischen Ambitionen vor sich hin. Dank eines Business-Meetings seines zukünftigen Schwiegervaters ist er also wieder in Paris und die Stadt hat für ihn noch immer nichts von ihrer Magie eingebüßt – ganz besonders, wenn es regnet. Dann streift er durch die Pariser Flohmärkte und spaziert durch die engen Gassen, die gespickt sind mit charmanten Cafés und urigen Bistros. Man denke nur an die inspirierenden Persönlichkeiten, die sich hier in den Roaring Twenties die Klinke in die Hand gaben!
Leider teilt seine Verlobte Inez (Rachel McAdams) Gils Ansichten herzlich wenig. Die Tochter aus wohlhabendem, republikanischem Hause legt eher Wert darauf, dass ihr Ehemann in spe sie finanziell befriedigen kann. Intellektuellen Ansporn holt sie sich lieber von Paul (Michael Sheen), einem ihrer ehemaligen Dozenten, den das Paar zufällig in Paris trifft. Während Inez die Nähe des blasierten Pedanten sucht, begibt sich Gil auf einen seiner nächtlichen Spaziergänge durch die Stadt seiner unheilbaren Nostalgie. Als er um Mitternacht auf einer Treppe in der Rue Montagne St. Genevieve Rast macht, hält eine elegante Limousine mit ein paar exzentrisch gekleideten Nachtschwärmern, die Gil prompt auf eine Party mitnehmen. Mit einem Mal befindet er sich in Gesellschaft von F. Scott und Zelda Fitzgerald, ist per Du mit Ernest Hemingway (Corey Stoll) und am Klavier sitzt kein Geringerer als Cole Porter. Er wird empfangen als einer von ihnen und es kommt besser: Mr. Hemingway schlägt seinem Bewunderer vor, dessen unfertiges Manuskript von einer befreundeten Schriftstellerin lektorieren zu lassen: Gertrude Stein (Kathy Bates). Bereits am nächsten Abend zur gleichen Zeit reist Gil erneut in die 20er und trifft weitere Koryphäen der bohèmen Kunstelite. Im Hause Stein holt er sich nicht nur Feedback, sondern macht auch die Bekanntschaft von Picassos Lebensabschnitts-Muse Adriana (Marion Cotillard), deren Charme Gil augenblicklich verzaubert. Nacht für Nacht holt er sich Inspiration aus seiner Lieblingsepoche und merkt irgendwann, dass sein Fernweh nach der Vergangenheit ihn nicht wirklich weiterbringen kann…
Bereits in The Purple Rose of Cairo (1985) ließ Woody Allen den Wunschtraum seiner Protagonistin Cecilia (Mia Farrow) wahr werden, indem er es der armen Kellnerin ermöglichte, ihren verehrten Kinohelden von der Leinwand runter ins richtige Leben zu beschwören. Der Sprung aus dem Film wird von Allen kompromisslos durchdekliniert: Was hat es für Konsequenzen für die Filmwirtschaft, für die Produzenten und den Rest der Crew, wenn ein Schauspieler aus einem Film entwischt? Wie kommt der fiktive Held ohne Geld in der Realität klar? Und: Warum wird bei Liebesszenen nicht abgeblendet? Diese Fragen beantwortet Allen und wir nehmen es ihm ab, weil er seine Sache mit einer ungemeinen Glauwüdigkeit präsentiert. So ähnlich funktioniert auch Midnight in Paris. Anders als in The Purple Rose entlässt uns der aktuelle Film aber mit Optimismus aus dem Kino. Das überrascht, wenn man an Allens letzte Filme denkt: In Ich sehe den Mann deiner Träume oder Whatever Works präsentierte sich der Meister von einer eher pessimistischen, zynischen und konservativen Grundhaltung. Seine aktuelle Liebeserklärung an Paris ist hingegen kurzweilig, vorwärtsgewand und unterhaltsam, wie die jazzige Leitmelodie, die sich durch den gesamten Film zieht und danach schwer aus den Ohren zu bekommen ist.
Wie immer hält der Regisseur für uns ein großartiges Schauspieler-Ensemble bereit: Owen Wilson, der als Gil sowohl den intellektuellen und zynischen Alter Ego Allens früherer Filme verkörpert, aber dem ganzen durch sein sonniges Gemüt eine angenehme Prise Leichtigkeit verleiht. Auch Amy McAdams brilliert mit gewohnter Natürlichkeit in ihrer Rolle als Gils arrogante Verlobte. Katy Bates performt eine unaufgeregte, kritische Gertrude Stein und ein überaus humoriges Erlebnis bietes uns Adrien Brody in seinem kurzen Auftritt als Salvador Dalí. Da verzeiht man auch das Auftauchen von First Lady Carla Bruni, die als Museumskuratorin ihre wenigen Sätze (durchaus passabel) über die Leinwand bringt. Midnight in Paris ist eine Wohltat für alle, die nach den letzen Filmen des Meisters eine Art Nostalgie nach dem alten Allen bekommen haben. Wir brauchen nicht mehr sehnsüchtig zurück blicken. Er ist da.