Michail Ryklin – "Kommunismus als Religion"

Von Nicsbloghaus @_nbh

Dieser Hinweis vielleicht vorab: das Buch ist in Rußland, dem Land des Autors, noch nicht erschienen; und so, wie sich Ryklin am Ende seinen Buches mit dem aktuellen Rußland auseinandersetzt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dort erscheinen wird, eher gering.

Michail Ryklin war Philosoph an der Akademie der Wissenschaften in Moskau – nach Wikipedia ist er derzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Er war verheiratet mit Anna Altschuk, die im Laufe diesen Jahres unter bisher ungeklärten Umständen zu Tode kam. Anna Altschuk wurde in der Presse als “Putin-Gegnerin” bezeichnet. Dies trifft gleichfalls auf Ryklin zu. So schreibt er im Epilog des Buches:

Der Radikalität nach kann sich das heute in Rußland herrschende Regime nicht mit dem stalinistischen messen [...] Das hindert das … Regime jedoch nicht daran, zivilgesellschaftliche Institutionen im Keim zu ersticken, die Gewaltenteilung aufzuheben, die Pressefreiheit abzuschaffen und … uneingeschränkte Meinungsäußerungen zu unterbinden. Ohne nur ein Wort der Verfassung zu verändern, hörte das Regime einfach auf, sie zu beachten. Seite 187

Jedoch ist das Buch weniger eine Kritik an der heutigen Sicht auf Rußland, als der Versuch einer Aufarbeitung der Faszination, mit der die Intellektuellen des Westens nach dem revolutionären Rußland schauten.

Auf Grundlage Jaques Derridas Theorie von einer eigenständigen Literaturgattung der “Reisenden in die UdSSR” (Back from Moscow) versucht Ryklin, anhand von Texten Bertrand Russel’s, Walter Benjamin’s, Arthur Koestler’s, André Gide’s, Lion Feuchtwanger’s und Bertolt Brecht’s zu begründen, weshalb er davon ausgeht, dass der Atheismus in seiner bolschewistischen Spielart als Religion anzusehen ist.
Das ist ihm – zumindest für mich – schlüssig gelungen. Allerdings bin ich schon seit dem Ende der 80-iger Jahre davon überzeugt, dass das Anhängen an der Utopie des Kommunismus viel mit Glauben zu tun hat; haben muss. Denn da die “Verheißung” erst in ferner Zukunft eingelöst werden kann/soll, ist “Hoffnung” das einzige Mittel, ein Warten auf das Paradies, in dem alle Menschen gleich sind, erträglich zu machen. Zumal mit dem Wissen, dass man selbst nicht noch die Kinder und Kindeskinder in den Genuss der Utopie kommen werden. Was bleibt ist gläubiges Hoffen; Gewissheit sicherlich nicht.

Die Partei, die in Rußland mit dem Oktoberumsturz an die Macht kam, war eine Partei von Atheisten. Seite 13

Jedoch:

Das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz avancierte zum Zentrum des neuen Kults. Seine pure Existenz war der Beweis dafür, dass Negation des Theismus nicht gleichbedeutend mit der Abschaffung der Religion, daß eine nicht-theistische Religion möglich ist. [...] Viele Pilger verstanden die Analogie der Lenin Ruhestätte mit dem Grab des Herren wörtlich…Lenin war für sie der neue Christus. Seite 26 ff

Was auch für die benannten “westlichen Intellektuellen” gilt, die in der Sowjetunion das “gelobte Land” erkannten. Und die Reisen dorthin als Pilgerreisen empfanden.
Nur: einige derer, die die Reise als Apologeten antraten, kamen als Zweifelnde oder “Abtrünnige” zurück. Und, wie Ryklin berichtet, wurde der Hitler-Stalin-Pakt am 24. August 1939 für einen Großteil der “Gläubigen” zu einem Fanal, einer Glaubens- und Gewissensprüfung. Und damit hörte auch die Literaturgattung “Back from Moscow” auf, zu bestehen.

Interessant für mich – das als Abschluss – weist Ryklin dediziert darauf hin, dass er zwischen dem Stalinismus und dem Nationalsozialismus keinerlei Parallelen sieht und allen, die dies befürworten, für kurzsichtig hält. Das ist für mich insofern interessant, als dass ich Hannah Arendt’s Buch “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft” gerad gelesen habe (und mich noch vor dem Artikel darüber drücke, weil das Buch so groß und umfangreich ist).