Mit diesem Buch will Michael Schmidt-Salomon „Das Böse“ aus der Welt schreiben.
Der Videotrailer zum Buch verspricht wahrlich Revolutionäres. Das Buch ist dann doch für mich weniger revolutionär – was aber auch daran liegen mag, dass ich mich mit der Thematik seit geraumer Zeit auseinander setze und mir viele der im Buch geäußerten Gedanken nicht mehr ganz fremd und neu vorkommen.“ Jenseits von Gut und Böse“ ist nicht grell und schreiend bunt wie das Video; es ist ruhiger und es ist spannender.
Schon in seinen letzten Artikeln und Aufsätzen hat sich Schmidt-Salomon von der eher einfachen Position des reinen (und radikalen) Religionskritikers entfernt. Hin zu einer Denkweise, die weit darüber hinaus geht und Erklärungsansätze für ein ethisches Handeln zu finden versucht, das fern von dogmatischen und moralinsauren Vorstellungen ist.
Es ist erstaunlich, mit welcher Frische und Eleganz Schmidt-Salomon diese manchmal doch sehr schwer verständlichen Themen anzupacken weiß. Kaum zu glauben, dass es sich um einen deutschen Philosophen handelt, der dieses Buch schrieb. Man benötigt kein philosophisches Fremdwörterbuch, um seines zu verstehen. Das ist eine Schreibart, die ich an Dawkins und anderen schätze und bei vielen deutschsprachigen Wissenschaftlern sehr vermisse. Wie sollen aufklärerische Gedanken in die Gesellschaft kommen wenn sie sich hinter Fremdworten und Geheimsprache verstecken?
Doch davon ist dieses Buch frei. Es liest sich wie ein Roman. Und immer wieder wird der Leser persönlich angesprochen und mitgenommen auf eine Reise. Eine Reise, die den 10 Angeboten aus dem evolutionären Manifest folgt.
Der Autor unterscheidet im Buch zwischen den Begriffen Moral und Ethik; das sind zwei Begriffe, die umgangssprachlich als Synonym genutzt werden. Jedoch auf völlig anderen Grundlagen beruhen. Wo Moral auf einen (oft religiösen) Kodex verweist und damit die Trennung zwischen In-Groups und Out-Groups unterstützt, ist Ethik frei davon und allein durch die menschlichen Grundrechte determiniert. Ich werde zukünftig also versuchen, das Wort „Moral“ und vor allem moralisierende Worte zu meiden.
Der Gedanke taucht auch in Boldt’s Buch bereits auf. Die Religionen sind nach dieser Lesart unter anderen entstanden, weil sie eine Abgrenzung von Gruppen nach Außen und gleichzeitig eine Bindung der Gruppe nach innen ermöglichen und verstärken.
„Das Böse“ also kann allein deshalb nicht existieren, weil es moralisch bewertet ist. Und wo kein „Böses an sich“ kann auch nicht der notwendige Gegenpart existieren; „Das Gute“. Das ist wahrhaftig schwierig zu denken.
Woran ich allerdings subjektiv wirklich zu knabbern habe, ist die logisch bewiesene Abwesenheit eines freien Willens. Obwohl mir der Gedanke seit mehr als 30 Jahren nicht fremd ist. Damals bin ich in das größtmögliche Fettnäpfchen getreten als ich sagte, dass ich nur deshalb in der FDJ bin, weil ich der Generation angehöre, für die die HJ nicht mehr „bereit steht“. Anderenfalls wäre es anders gekommen. Schon damals muss mir also irgendwie bewusst gewesen ein, dass nicht ich es war, der sich für etwas entschieden hat. Sondern dass es Gründe, Ursachen und Umstände gab, die mich zu dieser Entscheidung brachten.
Und doch fällt es mir schwer, subjektiv mit diesem Wissen umzugehen. Natürlich kann ich frei entscheiden, ob ich Kaffee oder Tee trinke. Aber dass ich mich überhaupt dazwischen entscheiden kann hat damit zu tun, dass ich in Mitteleuropa geboren wurde, in einer Zeit, da diese Wahlmöglichkeiten möglich sind.
Wenn es „Das Böse“ nicht gibt, wenn es keinen freien Willen gibt – wie kann es dann eine Rechtsprechung geben? Die Konsequenz daraus ist nämlich, dass es keine Schuld gibt. Und damit auch keine Sühne.
Hier bleibt auch Schmidt-Salomon sehr oberflächlich in seinem Buch. Er spricht das Thema zwar an; begibt sich meiner Meinung nach aber auf glattes und brüchiges Eis. In „Überwachen und Strafen“ spricht Foucault darüber, dass es ein Irrtum sei, darauf zu verweisen, dass Strafe „gut“ machen würde. Schmidt-Salomon kommt – von anderen Voraussetzungen ausgehend – zum gleichen Denkergebnis. Allerdings bleibt seine Begründung ein wenig verwaschen. Denn natürlich ist es richtig, dass die Gesellschaft vor einem – zum Beispiel – Mörder auch geschützt werden muss, indem jener in einem Gefängnis verwahrt wird. Aber wie die Bewertung der ethischen Gründe dafür auszusehen hat, das bleibt offen. Denn wenn der Mörder eben nicht aus freien Stücken handelte, sondern wegen der Umstände, in denen er aufwuchs, wird es schwierig, eine Begründung, die über die genannte (Sicherung der Gesellschaft) hinausgeht, zu finden.
Die Gefängnisse sind nicht voller Mörder, sondern vor allem mit jenen gefüllt, die wegen oftmals geringer Vergehen wie Diebstahl „sitzen“. Wer wertet das? Und wie?
Doch Schmidt-Salomon ist kein Jurist – so müssen diese Fragen offen bleiben und können allerhöchstens Denkanstöße geben.
Ich halte mich nur ungern zurück mit einer „ultimativen Lobhudelei“… und bin doch der Meinung, dass dieses Buch – eher trotz und nicht wegen der aggressiven Werbung – eines von denen ist, die man regelmäßig verschenken, verborgen und wieder lesen soll. Ein Buch, das nötig und zum richtigen Zeitpunkt erschienen ist. Das zeigen schon die jetzt schon bestehenden Reviews und Diskussionen um das Buch.
Zum Abschluss muss ich allerdings noch sagen, dass es mich bitter ankommt, wenn sich Schmidt-Salomon auf den letzten Seiten dagegen verwehrt, als Heiliger von mir verehrt zu werden. Schade, wollte ich doch gerade nach diesem Buch eine MSS-Religion begründen.
Nic
Review von Armin Pfahl-Traughber beim hpd
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