Michael Kohlhaas

Erstellt am 8. November 2013 von Pressplay Magazin @pressplayAT

Film-Festivals

Veröffentlicht am 8. November 2013 | von Martina Zerovnik

Wertung

Summary: stilvolle Literaturverfilmung mit Übermaß an Auslassungen und Mangel an Perspektiven, karge, aber schöne Bilder und ein ebensolcher Darsteller

3

Melodram

 „An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“ So begann Heinrich von Kleist seine gleichnamige, 1810 veröffentlichte Novelle, die nun in einer filmischen Fassung des französischen Regisseurs Arnaud des Pallières in die Kinos kommt.

Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) ist ein Pferdehändler, dem auf einem seiner Handelswege von einem Baron (Swann Arlaud) die Querung seines Landes verwehrt wird, weil Kohlhaas keinen Passierschein, den er in Wirklichkeit auch nicht braucht, vorweisen kann. Er muss zwei Rappen als Pfand zurücklassen. Als er die Pferde abholen will, findet er sie durch Feldarbeit geschunden vor. Auf seinen Knecht César, den er für die Versorgung der Pferde zurückgelassen hatte und der diese retten wollte, wurden die Hunde gehetzt. Kohlhaas beauftragt den Advokaten (Jacques Nolot) mit einer Klage vor Gericht, die jedoch abgewiesen wird. Daraufhin will seine Frau Judith (Delpine Chuillot) an höchster Stelle, bei der Prinzessin (Roxane Duran), einen Bittbrief ihres Manns vorlegen, doch sie wird nicht einmal bis zu ihr vorgelassen und kehrt schwer verletzt zurück. Sie stirbt an ihren Verletzungen, woraufhin Kohlhaas mit seiner Tochter Lisbeth (Mélusine Mayance) zurückbleibt. Er gibt seine Tochter in Obhut und zieht gegen den Baron, um Rache zu üben. Er und seine Gefolgschaft töten alle Männer in der Burg. Nachdem er aber den Baron nicht dort antrifft, beginnen sie dessen Verfolgung. Immer mehr Männer schließen sich Kohlhaas an.

Arnaud des Pallières konzentriert sich auf die Figur des Michael Kohlhaas bzw. auf seinen Hauptdarsteller Mads Mikkelsen, in wiederkehrenden, lang anhaltenden Nahaufnahmen, die ihn schön, stolz und wortkarg zeigen. Die Kamera von Jeanne Lapoirie ruht auf Mikkelsen mit großartigen, aber immer gleichen Bildern, die keine Entwicklung und wenig Emotion zeigen. Das gilt auch für die Landschaft, deren Licht und Farben zwar wunderbar eingefangen sind, aber in eine Monotonie münden, die orientierungs- und zeitlos macht.

Ob es Tage, Monate oder Jahre sind, die Kohlhaas mit seiner Jagd auf den Baron verbringt, wer weiß das schon. Man muss kämpfen können, um in Kohlhaas’ Truppe aufgenommen zu werden, aber der Kampf selbst steht nicht im Mittelpunkt. Auch nicht das Rauben und Morden, das einen „Mann in Schwarz“ (Denis Lavant) zu der Frage veranlasst, ob das ein Preis für Gerechtigkeit sein kann. In der Novelle ist es Martin Luther, der bei dem Anblick von Kohlhaas ausruft: „Weiche fern hinweg! Dein Odem ist Pest und deine Nähe Verderben!“

So viel Leidenschaft halten Pallières Interpretation der Novelle und Mads Mikkelsens Darstellung des Rebellen nicht bereit. Der dem Film beigegebene Zusatz „frei nach“ ist ernst zu nehmen, wenngleich das Drehbuch der literarischen Handlung relativ genau folgt, zumindest – bis auf Schauplatz und Figuren – wenig hinzu- oder umdichtet. Aber nicht Anschauung, sondern Auslassung und Andeutung waren Methode. Die Handlung bekommt so einen Gestus, der den ursprünglich weitreichenden Konflikt zwischen Recht und Unrecht durch einen übermäßigen Hang zur Fokussierung auf den Protagonisten (oder gar Schauspieler) wie eine narzisstische Störung erscheinen lässt. Die Reaktionen der anderen, die Folgen seiner Taten und deren Radikalität finden wenig Widerhall.

Doch auch für ein tiefgreifendes Portrait von Michael Kohlhaas fehlen die Schattierungen und Gegenüber. Diese Reduktion hat auch etwas Reizvolles, das Pallières selbst mit der Motivation, einen Western zu machen, erklärt. Trotz aller Mitstreiter wirkt Kohlhaas allein und einsam, denn die Rolle der Tochter Lisbeth, die zuerst weggegeben und dann zur Gefährtin wird, bleibt rätselhaft. Es wird kein Zufall sein, dass in der Novelle Kohlhaas’ Frau den Namen Lisbeth trägt und es hier die Tochter ist, doch sie bleibt ebenso undurchdringlich, wie alle anderen Figuren. So präsentiert der Film die immer gleiche undefinierte, teilnahmslose und manchmal doch auch faszinierende Perspektive, die zwar wunderschön anzusehen ist, aber nicht nur den Protagonisten einsam zurücklässt, sondern auch die Zuschauer.

Regie: Arnaud des Pallières, Drehbuch: Christelle Berthevas, Arnaud des Pallières
Darsteller: Mads Mikkelsen, David Bennent, Paul Bartel, Bruno Ganz, Mélusine Mayance, David Kross
Laufzeit: 122 Minuten, Kinostart: 07.11.2013, michaelkohlhaas-derfilm.de
gezeigt im Rahmen der Viennale V’13

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Über den Autor

Martina Zerovnik Aufgabenbereich selbst definiert als: Filmleserin. Lächelt über “Oh diese Technik [Film] ist sehr entwicklungsfähig, fast reif zur Kunst” (Döblin).