"Micha´s (dicke) Gedanken" im Interview

Den Blog von Michael Wirtz habe ich bereits vor einiger Zeit hier vorgestellt und ich folge seinen Beiträgen immer noch sehr gerne.
Ich freue mich sehr, dass er sich bereit erklärt hat mir ein paar Fragen in Form eines Interviews zu beantworten und zwar aus der Sicht einens "Betroffenen"
Es ist ein etwas längerer Text daraus geworden, kürzen wollte ich aber nicht, da ich die Antworten interessant finde.
SH: Was hat Dich dazu bewogenDich einer bariatrischen OP* zu unterziehen?
MW: Außer dem Gewicht von knapp 160kg? Über lange Zeit war ich davon überzeugt, dass ich es auch ohne eine Operation schaffe. Männer können sowas … sich gut einreden.
Als ich dann bei der Arbeit an einem Tag beinahe zusammengebrochen bin, habe ich beschlossen das Thema anzugehen.

SH: Wonach wurde entschieden, welche OP-Methode für Dich die Richtige ist?
MW:Letztendlich war für mich klar, dass nur der Magenbypass in Frage kommt. Gerade vor dem Hintergrund, dass ich Stressesser war / bin und dem süßen Lebensmitteln zugetan war.
SH: Eine OP ist eine Entscheidung, die das weitere Leben bestimmt. War Dir das bewusst, wie wurdest Du darauf vorbereitet?
MW: Glücklicherweise kannte ich sehr viele Betroffene, die sich bereits einer Magenoperation unterzogen hatten und habe auch bei beobachten können was passieren kann wenn man sich nicht an die Vorgaben hält oder unvorsichtig wird. Ich habe mich sehr intensiv mit der Zeit beschäftigt und hatte viel Respekt vor der Zeit nach OP. Der Austausch mit Betroffenen war wohl der wichtigste Part in der Vorbereitung.SH: Hattest Du das Gefühl, dass du im Rahmen des Multimodalen Konzeptes gut auf die Zeit nach OP vorbereitet wurdest? Wenn nicht, was hat Dir gefehlt, wenn ja, was war gut?
MW: Dummerweise hatte ich schon einiges an Vorwissen, so dass ich mich dann im Rahmen der konservativen Therapie auf andere Dinge konzentriert habe. Nämlich auf mein Essverhalten und eine wirklich versuchte Ernährungsumstellung. Ich glaube ich war ein schwieriger Patient.SH: Als Diätassistentin frage ich mich natürlich: Warum wurde nicht früher etwas unternommen? Hast Du bereits früher etwas versucht z.B. eine Ernährungsumstellung und warum ist das dann gescheitert?
MW: Na ja, als Kind wurde ich bereits in eine Kur in eine Kinderklinik geschickt. Man hat also früh versucht entgegenzuwirken. Die Umsetzung zu dieser Zeit war leider suboptimal. Auch von therapeutischen Ansatz her.
Ich habe es später durch Sport auch geschafft immer so im Bereich 100-120 kg zu bleiben. Als der wegfiel kam ich dann bei knapp 160 kg an. Ich wäre vor 20 Jahren auch nie auf die Idee gekommen eine Diätassistentin aufzusuchen. Ich wusste damals auch gar nicht, dass es sowas gibt.

SH: Welche Vorteile hatDir die OP gebracht und gibt es auch Nachteile?
MW: Zuerst einmal der immense Gewichtsverlust in den ersten 12 Monaten. Ich bin 160 kg auf unter 100 kg runter. Das war echt der Hammer. Sport hat wieder Spaß gemacht und ich bin viel agiler geworden. Natürlich tritt man auch in der Öffentlichkeit anders auf und man wird auch anders wahrgenommen.
Nachteilig war stellenweise, dass ich nicht alles an Gewürzen oder Speisen vertragen habe. Ich habe dies aber dann so hingenommen und eben darauf verzichtet. Nachdem sich ein Magengeschwür im OP als Loch in der Magenwand entpuppte, waren gewisse Unverträglichkeiten auch geklärt.
Letztendlich sehe ich selbst keine Nachteile, weil ich vorher wusste was auf mich zukommt. Da brauche ich im Nachhinein auch nicht jammern.
SH: Du gehst sehr kritisch mit dem Thema um, was ich auch immer wieder in Deinem Blog lese. Was ärgert Dich, was freut Dich?
MW: Mich ärgert die Ignoranz seitens der Politik und der Kassen im Umgang mit der Adipositas. Bis zur OP läuft alles unter dem Deckmantel der Prävention. Es ist furchtbar, dass die medizinischen Dienste und Kassen– gerade in Süddeutschland – anscheinen willkürlich erstmal alle Kostenübernahmeanträge ablehnen. Mich ärgert es, dass wir die Selbsthilfe nicht unter ein Dach bekommen. Ich habe das Gefühl, das viele Angst haben, sie bekommen etwas weggenommen. Mich ärgern Betroffene, die zwanzig Leute oder eine Facebookgruppe mit 1.000 Leuten um Rat fragen und das einfachste für sich rausziehen. Mich ärgern die dauerhaften falschen Tipps und Informationen auf Facebook. Und es ärgert mich wenn erfahrene Betroffene von Fachleuten als doof hingestellt werden. Haben wir noch ein paar DIN A4 Seiten?
Mich freut, wenn das Thema „Adipositas“ in der Fachpresse korrekt behandelt und dargestellt wird. Wenn Betroffene berichten, dass sie von ihren Ärzten ernst genommen werden. Es freut mich tierisch, dass das Programm „Junge Adipositas“für Kinder und Jugendliche in diesem Jahr mit 2 Gruppen starten konnte. Ich freue mich über jeden, der es schafft mit oder ohne OP Gewicht zu verlieren und auch sein Leben so zu ändern, dass er / sie dabei stabil bleibt. Und ich freue mich, dass es mit der Kampagne „schwere(s)los“ eine anerkannte Kampagne gibt, die auf politischer Ebene anerkannt wird.

SH: Thema SHG = Selbsthilfegruppe. Im Rahmen des MMK ist die Teilnahme Pflicht. Wie sollte solch eine Gruppe geführt werden und wer sollte sie leiten?
MW: Na ja, die Teilnahme an der SHG wird leider nur empfohlen. Letztendlich ist es immer gut, wenn es eine homogene Gruppe ist. Die SHG Leitung sollte nicht als Alleinunterhalter dienen, sondern eher Moderator sein. Es schadet der SHG Leitung auch nicht ab und zu über den Tellerrand zu schauen, sich mit anderen auszutauschen. Auch darf eine SHG Leitung sich fortbilden. Und vor allem soll eine SHG dem Austausch dienen und kein Kaffeekränzchen sein.
Über das „Wer“ hatte ich schon Diskussionen mit NAKOS. Wir sind da etwas unterschiedlicher Meinung. Ich denke, dass es immer ein(e) Betroffene(r) sein muss. Kein Arzt, keine Ernährungsfachkraft, kein Therapeut oder sonst jemand der damit sein Geld verdient, sollte eine SHG leiten. Es geht hier um die Unabhängigkeit der Selbsthilfe. Das ist manchen so schwer zu vermitteln, wie die Tatsache, dass eine SHG keiner Klinik gehört. Das gefällt manchen zwar nicht, aber es ist leider so.
SH: Ist es sinnvoll auch nach dem Eingriff weiter in einer SHG zu bleiben und wenn ja, warum?
MW: Ja das ist durchaus sinnvoll. Gerade in den ersten 12-15 Monaten nach dem Eingriff verändert sich alles. Nicht nur das Gewicht. Da kann die SHG immer nur hilfreich sein. Gerade beim Thema „Unverträglichkeiten“ und so kann die Gruppe sehr hilfreich sein. Auch kommt es öfter vor als man denkt, dass es Probleme in der Partnerschaft gibt. Auch diese Erfahrungen sind in der Gruppe oftmals vorhanden.SH: Supplementation- immer ein kritisches Thema. Was hälst Du hierbei für zwingend notwendig? Wie ist Deine Einstellung dazu?
MW: Es gibt ja Stimmen – auch aus der Ärzteschaft – die behaupten, das Thema wäre nicht so wichtig. Ein paar Vitamine A-Z würden ja ausreichen. Und dann stellt man sich als Betroffener und Laie hin und muss den Fachleuten erklären wo welche Vitamine aufgenommen werden und warum es z.B. mit Magenbypass eben nicht ausreicht nur normales Calcium zu nehmen sondern dass es wichtig ist Citrate zu nehmen. Es gibt 3 Hersteller, die Vitaminpräparate speziell für Magenoperierte herstellen. Die Dosierungen richten sich in der Regel an die Empfehlungen der ASMBS  . Alle die, die mir immer erzählt haben, dass sie keine Vitamine nehmen, weil alles gut ist, fallen nach 3-4 Jahren in einen Mangel. Calcium ist wichtig, da es in den Blutuntersuchungen nicht nachweisbar ist, ob ein Mangel besteht. Wenn im Blut Calcium fehlt holt sich das Blut das Calcium aus den Knochen und Zähnen.
Eiweiß ist wichtig, da ich ja toll in den ersten 12 Monaten abnehmen, aber eben auch Muskelmasse verliere. Bei den anderen Vitaminen sind A,D,E,K sowie B12 und B6 immer gerne genommen. Bei Eisen müssen gerade die Damen aufpassen. Einmal im Eisenmangel ist es schwer diesen in den Griff zu bekommen.
SH: Stell Dir vor es kommt eine Fee zu Dir, die Dir drei Wünsche erfüllt und zwar im Hinblick aufa) Arzt (Hausarzt)- vielleicht magst Du da etwas differenzieren  
MW: Von den Hausärzten würde ich mir wünschen, Adipositas als Krankheit gesehen wird und die Betroffenen nicht mit „Essen Sie weniger“ oder „Nehmen Sie ab“ abgespeist werden.
Von den Fachärzten wünsche ich mir, dass sie ab und an auch auf das vertrauen, was die Patienten sagen. Ein „Das kann nicht sein“ hat sich schon oft als „Kann doch sein und ist so“ herausgestellt.
b)beratende Diätassistentin oder andere Ernährungsfachkraft
Ein alter Satz von mir in einem Raum voller Ernährungsfachkräfte war einmal „Die Diätassistentin ist der natürliche Feind des Adipösen“ Die fanden das nicht witzig. In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Beratung immens verbessert. Es hat anscheinend ein Umdenken stattgefunden. Vereinzelt hat man noch ein paar Ausfälle, wo „Standard“ durchgezogen wird. Aber ich beobachte, dass die individuelle Beratung, mit fundiertem Wissen und einem psychischen Verhaltensansatz genau der richtige Weg ist c) die Betroffenen selbst  
Ohh .. da kann noch noch zig Seiten schreiben. Ok …
Liebe Betroffene, die Ernährungsfachkraft ist NICHT Euer Feind. Seid offen zu ihr, was Euer Essverhalten angeht. Wenn ihr Euch mit dem Thema OP beschäftigt, denkt daran. Die OP ist nur die Krücke. Alles danach müsst ihr selbst machen. Nutzt die Hilfe die man Euch anbietet und seht Kritik als das was es ist. Eine Hilfestellung. Es ist nicht hilfreich, 2 Wochen nach OP eine Currywurst zu probieren. Und geht in eine Selbsthilfegruppe. Und falls die Gruppe nicht zu Euch passt, geht in eine andere.
Nutzt die Zeit des MMK um Euch auf die OP vorzubereiten und „nehmt“ Eure Partner mit. Redet mit ihnen. Auch für die ist es eine Umstellung und sie wissen nicht was passiert.
Zu guter Letzt. Die OP ist nur der Anfang eines langen Weges, Das Thema „Essen“ wird Euch Euer Leben lang begleiten. Und das wird Euch dann so 2 – 3 Jahre nach OP bewusst, wenn Ihr evtl. wieder Gewicht zulegt. Einmal adipös immer adipös. Klingt hart, sorry.
    
Ganz herzlichen Dank für die ausführlichen Antworten. 
     


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