Mich mag auch nicht jeder

Von Kinderdok

Mittwochnachmittag, wir vertreten ein paar Kinderarztpraxen der Umgebung. Es folgt Mutter mit Tochter, die Praxissoftware verrät, dass Melanie seit anderthalb Jahren nicht mehr da war.

Ich: “Hallo, wir kennen uns doch…”
Mutter: “Ja?”
Ich (mit dem Vorteil der EDV-Dokumentation): “Sie waren doch bis Ende 2012 bei mir in der Praxis, da war Ihre Melanie gute zwei Jahre alt, oder?”
Mutter: “Ja, kann sein.”
Ich: “… seit Geburt. Haben Sie gewechselt?”
Mutter: “Mmmh, ja.”
Ich: “Oh schade, wie bedauerlich. Mich interessiert immer, warum?”
Mutter: “Ach, die Melanie hat bei Ihnen immer so geweint.”
Ich: “Ja, das machen die Kinder beim Kinderarzt mitunter. Und, beim anderen Kollegen geht’s jetzt besser?”
Mutter: “Naja, so lala, sie mag halt keine Ärzte.”
Ich: “Ich seh grad, Sie waren zwischenrein noch bei Frau Kilian, jetzt sind Sie bei Doktor Riemlich?”
Mutter: “Das war irgendwie alles nichts. Hat sie überall geweint. Und der Herr Riemlich schreibt ja auch immer gleich die Hämmer auf. Frau Kilian war gaaar nichts, da hat sie noch mehr geheult.”
Ich: “Wie gesagt…”

Melanie sitzt auf dem kleinen Stühlchen am Kindertisch und kritzelt was aufs Blatt Papier.
Ich: “Na denn,” und bitte die Mama, Melanie auf den Schoß zu nehmen, damit ich sie untersuchen kann. Sicher ist sicher.

Die Mutter geht zögerlich auf ihre Tochter zu und hebt bereits beschwichtigend die Hände:
“So, Melchen, jetzt brauchst Du gar keine Angst zu haben, gelt?”, die Tochter schaut verschreckt auf, als nehme sie die Praxis erst jetzt wahr,
“der Onkel tut Dir gaaar nichts, nicht wahr?”, jetzt zucken schon die Mundwinkel,
“der hat auch gaar keine Spritze dabei, guckst Du?”, die Augen werden größer,
“und der tut auch gaaar nichts Böses, ja? Wir sind dann hier auch ganz schnell wieder weg, dann ist alles wieder gut, gibt dann auch ein Eis, ach, Melchen, Du musst doch gar nicht weinen, komm, ach Schatzileinchen, jetzt komm…”
Der Rest gibt im Brüllen der Tochter unter.

Ich höre noch ein “Dabei habe ich ihr zuhause erstmal gar nichts gesagt, dass wir zu Ihnen gehen, weil, dann hätte sie gleich noch mehr geweint, weil sie Sie doch so gaaar nicht mag…”,
die Untersuchung ein einziges Fiasko.

Man muß nicht alle Menschen mögen, aber was ich mag: Wenn Kindern Vertrauen und Zuversicht vermittelt wird und keine Angst und Abneigung. Projektion nannte das wohl Freud.

(c) Foto bei Greg Westfall