Metzger und Fleischer – die neuen Rockstars der Gastro

Von Davidsights @Schlaraffenwelt

Ein rosa Schweinchen auf weißem Grund – es ist der Prototyp jedes Metzger-Logos, wie die meisten es noch aus Kindertagen kennen. Sinnbild für jenen Ort, den man wegen der Extra-Scheibe Lyoner liebte und wo die Eltern noch 200 Gramm Aufschnitt mitgenommen haben. Ein bisschen Salami, ein bisschen Schinken und am Feiertag noch ein Bratenstück. Die Mitarbeiter überzeugten durch Bodenständigkeit, ein paar Gramm zu viel auf den Rippen, ein gutes Herz und – da ist sie wieder – die Scheibe Lyoner. So sehr dieses alte Bild der Metzgerei gerade bei Landmenschen noch ein wohliges Gefühl der Geborgenheit auslösen dürfte, so sicher ist auch: Diese Form der Metzgerei hat keine Zukunft. All das kann heute jeder Discounter, genauso gut, noch günstiger.

Doch das hier wird kein Abgesang auf das Metzger-Handwerk. Im Gegenteil: Die Branche der Metzger und Fleischer ist ein Paradebeispiel für ein altes Handwerk, das sich gerade neu erfindet, um sich selbst vor dem Aussterben zu retten. Und obwohl sich der Wandel noch vollzieht, kann man bereits jetzt festhalten, dass es längst kein Kampf ums Überleben mehr ist, sondern der Aufschwung in eine völlig neue Sphäre der öffentlichen Wahrnehmung. Der Metzger 2.0 ist mit seinem Handwerk nicht nur überlebensfähig – nein, ich behaupte: Metzger und Fleischer sind die neuen Rockstars der Gastronomie.

Der Aufschwung: Von der Wurst zum Steak

Der Wandel des Metzger-Handwerks hat viele Facetten. Eine davon liegt im Produkt-Fokus begründet. Lange Zeit standen Metzgereien vor allem für eine bunte Auswahl an verarbeiteten Fleischwaren wie Wurst, Schinken und Pasteten, daneben die obligatorische und immerselbe kleine Auswahl an Schmor- und Kurzbratstücken. Schaut man sich heute bei den neuen Rockstars der Szene um wird klar: Die Wurst ist nicht verschwunden, doch das Fleisch steht nun im Mittelpunkt. Steak ist nicht mehr nur Steak, es wird mit spezifischen Qualitätskriterien angereichert und wertschätzend vermarktet, wie es sich für ein gutes Produkt gehört. Rasse, Fütterung, Art der Reifung, Fettgehalt und Herkunft stehen nicht irgendwo versteckt auf dem Label – es sind die Unique Selling Points der Branche. Hätte ich bei meinem Metzger vor 15 Jahren ein Steak vom amerikanischen Black Angus angefragt, bitte grasgefüttert, stark marmoriert und trockengereift – man hätte mich irritiert angeschaut. Heute greift mein Metzger zielsicher zum richtigen Stück, schneidet mir eine Scheibe ab und bittet mich, sie auf keinen Fall weiter als medium zu braten.

Von Fachverkäufern zu Rockstars

Früher reichte es aus, wenn der Fachverkäufer hinter der Wursttheke mir sagen konnte, ob ich besser Filet oder Schulter zum Schmoren verwende. Heute stehe ich nicht einem Fachverkäufer sondern einem Experten gegenüber, der für seinen Beruf brennt und sein Wissen teilen will. Rezepte und Basics zum Thema Fleisch kann ich im Internet nachlesen, ich gehe heute zum Metzger meines Vertrauens, weil er mir vielleicht etwas verraten kann, das ich selbst noch nicht weiß. Ein neuer Cut, eine neue Rasse, eine neue Reifetechnik. Nur wenn der Mann auf der anderen Seite mehr weiß als ich, gibt es einen Grund, seinen Service in Anspruch zu nehmen und auch etwas mehr für das Produkt zu bezahlen. Wenn ich erkenne, dass das Theken-Personal beim Discounter-Metzger mich nicht angemessen beraten kann, will ich dort auch nichts kaufen. Und weil sich immer mehr Menschen immer besser mit Fleisch auskennen und sich dafür interessieren, haben kompetente Fleisch-Experten in kleinen Rockstar-Metzgereien Hochkonjunktur.

Industrialisierung beim Fleisch: Ein heikles Thema

Es ist schön zu sehen, dass sich ehrliche Leidenschaft für Fleisch für immer Metzger bezahlt macht. Das hilft dem Verbraucher und dem Tier. Dass die Industrialisierung mit ihrer Massenabwicklung in der Fleisch-Branche zunehmend kritischer betrachtet wird, ist nur konsequent – geht es hier doch um organische Produkte, mit einem Leben. Genau dort endet die Argumentation für höher größer schneller, die in anderen Branchen sehr gut funktioniert. Die Qualität eines Schuhs leidet nicht zwangsläufig unter der Effizienzsteigerung seines Herstellers. Die Lebensqualität eines Tiers in der Regel schon. Und damit leidet auch das Endprodukt, das wir konsumieren. Dieser recht banale Gedankengang leuchtet immer mehr Verbrauchern ein. Großen Anteil daran haben all die Fleischer-Pioniere, die ihrer Branche zur Zeit ein neues Image auferlegen.

Es ist zum Glück cool geworden, gutes Fleisch zu essen. Vom „Metzger des Vertrauens“. Das hat dazu geführt, dass sich seit einigen Jahren Metzgereien deutschlandweit in einen fruchtbaren Wettstreit begeben, der bemerkenswerte Blüten treibt. Er ist geprägt von einer Marketing-Dimension, die diese Branche noch nicht kannte. Von Innovationsstreben auf allen Ebenen. Von Kollegialität und Austausch. Und am wichtigsten: Von Leidenschaft, Loyalität und größter Wertschätzung für das eigene Produkt. Die rosa Schweinchen verschwinden langsam von den Logos und werden ersetzt durch zeitgemäße Grafiken mit moderner Typo. Der Unterschied zwischen Tech-Startup und Metzgerei verschwimmt, zumindest beim Web-Auftritt und das Grundprodukt Fleisch ist nicht mehr nur Sättigungsbeilage, sondern Ausgangspunkt für Weiterentwicklung und Perfektionsstreben. Zugegeben: Der Innovationsdrang treibt auch mal skurrile Blüten, solche Aktionen bleiben dennoch Teil einer grundrichtigen Bewegung.

Sie geben dem Handwerk die Würde zurück

Quer durch die Republik finden sich die Rockstars dieser Branche. Jürgen David hat sich in Worms zum heimlichen Dry Aging Papst gemausert. Wolfgang Otto verschafft dem Endverbraucher mit Otto Gourmet Zugang zu den raresten Fleisch-Delikatessen und darf mittlerweile sogar das original Kobe-Beef importieren. Dirk Ludwig zeigt in Schlüchtern, wie man eine kleine Dorfmetzgerei zu einem Online-Shop mit Fleisch-Erlebniszentrale weiterentwickelt. Ludwig Maurer züchtet im bayerischen Wald Wagyus und predigt die ganzheitliche Verarbeitung des Tiers. Wolfgang Müller macht das Wursten mit seinem Buch wieder populär und räumt damit renommierte Preise ab. Fleisch-Sommelier Christoph Grabowskis Zerlegeseminare sind deutschlandweit bekannt und ausgebucht. Bei Kumpel & Keule in Berlin verbinden ein Aktivist und ein Metzger die Dimensionen Moral und Genuss in einer Institution. Mit dem DRY AGER ist mittlerweile ein deutsches Qualitätsprodukt auf dem Markt, in dem Fleischliebhaber ihre Steaks selbst trockenreifen können. Und das ist nur die Speerspitze einer Bewegung mit vielen ambitionierten und motivierten Köpfen im Hintergrund.

„Lange lebe das ehrbare Handwerk“ steht auf der Website der Berliner Fleisch-Pioniere Kumpel & Keule. Und: „Wir sind angetreten, dem Fleisch und dem Handwerk die Würde zurückzugeben“. Die Rehabilitation der Metzger- und Fleischerbranche ist bereits geglückt. Nun steht diese neue Generation der Fleisch Experten vor einer größeren Aufgabe. Sie muss nicht nur einige wenige Fleischliebhaber erreichen, sondern endlich auch die breite Masse davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, beim Fleischkauf in Qualität zu investieren.