Ich habe mir „Metro 2033“ gekauft als es damals 2007 herauskam, um auf der Rückreise in die Schweiz etwas zu lesen zu haben und weil ich eine Schwäche für alles Postapokalyptische habe. Das Buch habe ich nie zu Ende gelesen; tatsächlich bin ich wahrscheinlich nicht über die ersten 50 Seiten gekommen. Als ich wieder in Chur war, ist es erst im Regal versauert und dann in einer Bücherspende für die Bibliothek gelandet. Warum? Weil „Metro 2033“ einfach schlecht war. Damit war die Sache erledigt – dachte ich.
Erst empfahl mir ein guter Freund doch einen Blick hinein zu werfen, dann tauchte es ständig in den Regalen der Buchhandlungen auf. 2009 gab es die kreativ betitelte Fortsetzung „Metro 2034“ und Anfang 2010 kam ein Videospiel, basierend auf dem Buch, das ich für OUTNOW.CH rezensierte. Es ließ mich einfach nicht in Ruhe, ich konnte dem Buch nicht entfliehen – von überall starrte es mich an, wie ein russisches Klageweib mit Kopftuch, das mit dem Finger auf mich zeigt und mich für den Tod ihres Kindes verantwortlich macht.
„Ist ja gut!“, schrie ich irgendwann, völlig aufgelöst auf dem Boden der Stadtbücherei Münster herumkriechend, „ich geb’ dem verdammten Buch eine zweite Chance!“ und griff zu dem Hörbuch. Seitdem habe ich ein paar Sachen gelernt.
In Metro 2033 erzählt Autor Dmitri Gluchkowski von einer Welt, in der ein Atomkonflikt den Großteil der Erde unbewohnbar gemacht hat. Die Strahlung macht ein Leben an der Oberfläche unmöglich und so sind die Menschen gezwungen im Untergrund ihr Heil zu suchen – was ist da besser geeignet, als die Moskauer Metro? In den U-Bahn-Stationen, sicher vor der Radioaktivität, haben sie in der Dunkelheit eine neue Existenz aufgebaut.
Aber es gibt Probleme: Aus den Schatten der Tunnel kommen merkwürdige Dinge gekrochen: Mutanten, fürchterlich entstellt, flüstern in den Köpfen der Menschen. Ganze Stationen verschwinden plötzlich und Stück für Stück muss Homo Sapiens die Poleposition in der Evolutionskette räumen.
Der junge Artjom bekommt eines Tages von einem Freund seines Ziehvaters die Mission, die legendäre Polis im Zentrum der Metro zu erreichen. Irgendwie ist Artjom anders und reagiert nicht auf die psychischen Attacken der Mutanten, die alle anderen ins Verderben reißen. Er muss sich durch das U-Bahn-Netz schlagen, denn von ihm hängt das Schicksal der gesamten Metro ab – was sonst?
An dieser Stelle will ich meine Ausführungen kurz unterbrechen und dir Tom vorstellen: Tom ist ca. 1,80m groß, blond und schlank. Welche der zwei folgenden Charakterisierungen erweckt den guten Tom vor deinem inneren Auge am besten zum Leben?
- Tom war ein linker Halunke, der selbst den Pagen um das Trinkgeld betrog.
oder
- „Bring bitte meine Koffer auf das Zimmer, ja?“ bat Tom den Pagen. Mit einem wohl meinenden Zwinkern steckte er ihm eine Dollarnote zu. „Jawohl, Sire, sofort“, sagte der Junge begeistert, schob den Schein in die Brusttasche. Mit federnden Schritten griff er sich die Koffer und trug sie nach oben aufs Zimmer. Ohne dass er es merkte, spannte sich der unsichtbare Nylonfaden, der an dem Schein befestigt war, fischte das Geld aus seiner Tasche und verschwand in Toms Ärmel. „Klappt jedes Mal“, murmelte Tom zufrieden.
Ich tippe spontan, dass du die zweite Variante bevorzugst, oder? Dann verstehst du auch was „Show, don’t Tell“ bedeutet. Im Prinzip geht es darum, dem Leser etwas zu zeigen, statt ihm nur davon zu erzählen. Denn Spannung und Action sind interessanter als Adjektive und Vorträge.
Herr Gluchkowski scheint das leider nicht verstanden zu haben. Bei Metro 2030 haben wir auf der einen Seite nämlich das übergroße „Tell“, fett und überquellend, den Mund voll mit Beschreibungen und elendig langen Ausführungen über die Hintergrundwelt, während auf der anderen Seite das kleine schmale „Show“ um etwas Aufmerksamkeit und ein paar spannende Szenen bettelt. Dadurch erfahre ich natürlich viel über das „Metro 2030“ – Universum. Das ist schön, denn es gibt ein paar Details, die mir sehr gut gefallen haben. Aber ganz besonders wenn es um die Charakterisierung der Figuren geht, hätte ich mir gewünscht, dass sie mir durch ihre Taten näher gebracht werden, statt nur durch ein paar lapidare Sätze und eine Abhandlung ihrer Lebensgeschichte. Herr Gluchkowski, zeigen Sie mir, dass Zuchoi Artjom nicht für einen würdigen Nachfolger hält, statt es mir zu erklären; demonstrieren Sie mir, was für ein harter Bursche Hunter ist, statt ihn nur zu beschreiben; und warum lassen Sie nicht jemanden einen spannende Geschichte über die sagenumwobene Polis erzählen, statt eine ganze Seite darüber zu referieren? Die politischen Verhältnisse in der Metro mögen wichtig für die Handlung sein – aber sie sind verdammt langweilig zu lesen. Ich quäle mich durch jede Zeile, wie durch lilafarbenen Wackelpudding, immer zu hoffend und nur die Stimme von Detlef Bierstedt hält mich bei der Stange.
Was also halte ich von “Metro 2033″? Fairerweise muss ich sagen, dass ich es zum Zeitpunkt dieser Rezension immer noch nicht zu Ende gehört habe. Bei CD 3 auch diesmal Schluss. Ich werde dieses Buch nie zu Ende bringen, da können noch so viele Klageweiber versuchen mir ein schlechtes Gewissen einzureden.
An und für sich ist die Idee mit der Metro ja toll. Die Mutanten gefallen mir ganz gut. Aber wirklich begeistern kann es mich nicht – ich sitze zumindest noch verdächtig stabil auf meinem Hocker.
Ich bin beruhigt, dass meine ersten Einschätzungen sich bestätigt haben: Das Buch ist schlecht geschrieben, Zeter und Mordio, nehmt es weg, bevor ich daran ersticke. Ich weiß, ich übertreibe, aber für so einen über-kritischen Möchtegern-Autor wie mich ist „Metro 2033“ ein Beispiel dafür, wie man es nicht macht. Und genau an dieser Stelle wird das Buch für mich fast unverzichtbar, denn ich habe eine Menge gelernt. Ein anschaulicheres Beispiel für „Show, don’t tell“ fällt mir auf die Schnelle nicht ein. Ich überlege die ganze Zeit schon, wie ich es besser machen kann und das ist gut so. In diesem Sinne: Danke, Herr Gluchkowski. Für alles. Vielen Dank.
Guten Abend.