Metaphern von Dichtern und Denkern

Ein Appell auf die Scheiße.
Offensichtlich ist es so, dass man in diesem Lande gar kein Deutsch spricht. Das spricht man nur immer in dem Moment, in dem man deutlich werden will. Berühmte und oft gehörte Einleitung in diesem Lande ist: Auf Deutsch gesagt. Und nach diesen drei Worten folgt dann die Deutlichkeit.
Neulich fragte ein Radioreporter Angestellte eines Unternehmens, das Einsparungen beim Personal beschlossen hat. Eine Frau gab zu Protokoll: Auf Deutsch gesagt, alles beschissen. Und gleich darauf ein Mann: Auf Deutsch gesagt, das ist Scheiße. Dann kam einer, der sagte, dass es deutlich gesagt, eine Frechheit sei. Deutsch sprechen bedeutet also deutlich sprechen? Hat Deutsch und deutlich denselben Wortstamm? Welche Sprache sie vorher sprachen, erklärten die Empörten allerdings nicht. Getraut haben sie sich aber was - und das im Radio!

Auf Deutsch gesagt ist auf Deutsch gesagt eine ankündigende Floskel, dass jetzt gleich ein böses, besonders schlimmes Wort folgen wird. Man konnte der Frau wie dem Mann den Stolz aus der Stimme herauslesen. Wahrscheinlich dachten sie, nun etwas ganz grob Wahrhaftes gesprochen zu haben. Beschissen, hohoho, so ein unanständiges Wort! Da haben sie es der Geschäftsleitung aber mal gegeben.
Zu Auf Deutsch gesagt, alles Scheißkerle! hat es jedoch nicht mehr gereicht. Da sind sie vor ihrer eigenen Courage erschrocken und haben just geschwiegen, sich verschämt zurückgezogen. Als wäre ihnen eingefallen, dass sie gerade einen Tabubruch begangen haben, der zwar im Zustand der Erregung geschehen kann, aber nicht soll. So hat man es ihnen doch beigebracht.
Es muss schon viel zusammenkommen, dass der unbescholtene Bürger in der Öffentlichkeit zur rhetorischen Scheiße greift. Sonst hingegen leidet er unter falscher Zurückhaltung, krankt er an einem falsch anerzogenen Anstandsgefühl. Die Geziertheit eines Bürgertums, zu dem die meisten Menschen nie zählten und vermutlich nie zählen werden, hat auf sie abgefärbt. Unzumutbarkeit sacken lassen, dezent umschreiben, Diplomatie anwenden und die nicht genannte Scheiße schlucken - in vier Schritten zum sittsamen Bürger.
Schitt, Scheibenkleister, schade - oft genutzte Ersatzwörter ohne Bezug zu dem, was sich einem innerlich aufdrängt. Wenn jemand meint, dies oder jenes sei Scheiße, so definiert er dieses Dies oder dieses Jenes als Produkt der Verdauung, als braunen Brei, als Abfall und Dreck. Niemand denkt an Kleister, der auf Scheiben landet. Soviel metaphorisches Geschick kann man im Augenblick der Erregung eigentlich gar nicht entwickeln. Die Scheiße ist hingegen die natürlichste aller Metaphern.
Es gibt Eltern, die ihren Kindern beibringen, das unerträgliche Sch-Wort nicht zu sagen. Sie tun das, weil sie glauben, sie würden der Welt einen Dienst erweisen, Menschen in sie hinauszuschicken, die nicht mal das Mütchen haben, etwas das Scheiße ist, auch damit zu bezeichnen. Wer nicht Scheiße! flucht, weil man das nicht tut, der ist allerdings schon irgendwie suspekt, der wird immer schlucken, wird stets hinnehmen und ist wahrscheinlich nur ein moralischer Windbeutel und politischer Idiot. Die Scheiße ist immerhin der Ursprung aller Politik. Besser gesagt: das laute Scheiße!-Rufen.
Im Gegenteil, man muss seinen Kindern beibringen, auf die Kacke zu hauen. Im richtigen Moment, dosiert aber bestimmt. Maßloses Sanktionieren im Schulalltag soll nicht mit Sentenzen wie Ich finde das nicht gut! kommentiert werden, sondern mit Das ist absolute Scheiße! Und wenn es heißt, was das für eine liderliche Ausdrucksweise sei, dann soll es antworten: Die einzige, die jetzt in diesem Augenblick richtig war.
Man darf wetten, dass die Frau und der Mann aus dem Radio hernach zuhause gerügt wurden. Recht hast du ja, wird die bucklige Verwandtschaft gesagt haben. Muss man das aber so derb sagen? Was, wenn die Betriebsleitung dir das verübelt? So fest ist der Schluckreflex manchen Menschen anerzogen. Sie glauben, dass die in den Mund genommene Scheiße eine dumme Donquichotterie ist, gekühltes Mütchen, etwas das man unter rationeller Betrachtung nicht tut.
Es gehört aber doch kein Scheißmut dazu, die Dinge beim Namen zu nennen. Es nicht zu tun ist Fabrikat einer falschen Erziehung. Die Scheiße als Metaphorik der Unerträglichkeit ist uns doch immanent, sie abzuerziehen ist "wider die Natur". Vor Scheiße ekeln wir uns. Sogar vor unserer eigenen. Andere Körpersekrete finden wir in der Regel nur bei anderen ekelhaft. Bei uns selbst weniger. Die Scheiße ist aber generalisierend das auf der eigenen Haut Unerträgliche. Manche erbrechen fast sogar, wenn sie sie auf der Haut ihrer Mitmenschen erblicken. Ausnahmen lassen wir mal als Minderheitenvotum unter den Tisch fallen. Wir können uns zwar selbst riechen - meistens! -, aber anfassen, sie an die Finger bekommen wollen wir sie nicht. Scheiße als Wort des Unmuts ist so natürlich, weil wir eine natürliche Abwehrreaktion zu ihr in uns haben. Wenn wir uns in die Hand niesen, sind wir zwar nicht entzückt, aber tragisch finden wir es nicht. Keiner fasst in seinen Haufen, denn die Berührung dessen, was uns hintenraus entfleucht, ist für uns völlig unerträglich. Scheiße zu sagen ist demnach die exakte Beschreibung für Dinge, Läufe, Ereignisse und Entwicklungen, die so ekelhaft sind, dass wir sie nicht näher berühren mögen.
Auf Deutsch gesagt zur Einleitung ist kurios. Welche Sprache sprechen Menschen in diesem Lande denn vorher? Ist es nicht mehr das Deutsche? Eine Krämer- und Arbeitsmarktsprache, die im Moment der Erregung dem Deutschen weichen soll? Eine Sprache gesellschaftlicher Korrektheit? Etwas das nur noch zur reinen Kommunikation auf niedrigstem Level dient? Ohne Gefühl, ohne Unflätigkeit zum gebotenen Augenblick? Zweifelsohne sind es bürgerliche Konventionen, die da auf die gesittete Sprache abfärbten. Was haben dann Bürger gesprochen, wenn nicht Deutsch? Scheißt man unter Bürgern nicht oder hat man wenig Ekel davor?
Die Scheiße ist nur eine Metapher. Es gibt viele andere. Kacke natürlich, was aber auf dasselbe hinauskommt. Kot oder Stuhlgang eher nicht, denn so sprechen Ärzte und die fummeln bekanntlich auch in der Scheiße zur Erlangung von Erkenntnissen. Wenn der Ekel vor Darmendprodukten wegfällt, so fällt auch deren Sinngehalt als metaphorisches Element weg. Und dann gibt es ganz andere Möglichkeiten. Das Arschloch ist zwar eine Beleidigung, aber manchmal trifft man es nicht besser. Aus ihm kommt die Scheiße, es stinkt und ist nie rein. Arschloch als Metapher ist wahrlich trefflich, daran erkennt man, dass es aus dem Land der Dichter und Denker kommt. In Spanien beispielsweise sind die Beleidigungen undurchdachter, will man Arschloch sagen, sagt man hijo de puta, was nicht weniger als Hurensohn heißt. Das ist einfältig und beleidigt ja die falsche Person. Und was sagt Herkunft schon über einen Menschen aus? Und statt Scheiße sagt man meist coño, was Fotze bedeutet. Nun ist die aber nicht unbedingt etwas, womit man Ekel verbindet - normalerweise. Scheiße und Arschloch sind dementgegen zwei elementare Metaphern, die eine kulturelle Leistung darstellen.
Hijo de puta, diese so häufig gebrauchte Floskel im Spanischen, ist nur eine Ehrabschneidung, allerdings keine Metapher, die mehr ausdrücken will. Mit hijo de puta will man jemanden schwer treffen, ohne die Sachlage zu treffen. Das Arschloch indes ist ein Scheißefabrikant, aus seiner Öffnung presst sich stinkender Brei. Das ist Metaphorik! Die große Kunst, einen Tatbestand mit einem vortrefflichen Wort auszustatten. Hijo de puta drückt nichts aus. Es ist eher, wenn man es analytisch sieht, ein klassistischer Ansatz, denn es reduziert den Empfänger auf seine Herkunft, degradiert ihn nicht menschlich, sondern klassistisch, sagt damit auch: Du bist blöd oder gemein, weil du nicht gesellschaftlich höhergestellt bist. Das Arschloch als Metapher ist klassenübergreifend. Jeder hat eines, jeder kann eines sein. Die Klasse und die Herkunft ist dabei einerlei. Der an dieser Stelle selten gelobte Sloterdijk schrieb ja auch mal Annehmbares. In seiner KzV schrieb er dazu: "Der Arsch ist der Plebejer, der Basisdemokrat und der Kosmopolit unter den Körperteilen..." Er meint damit sinngemäß, dass überall auf dem Erdenrund geschissen wird. Stimmt auch. Insofern kann auch jeder überall Arschloch sein.
Über das Leck mich am Arsch!, das es im Spanischen so gar nicht gibt, nur einige Sätze. Der Spanier sagt Vete a tomar por el culo!, also Greif mir an den Arsch. Das Lecken suggeriert Abscheu, nur der letzte Dreck leckt den letzten Dreck. Asche zu Asche, Staub zu Staub, Scheiße zu Scheiße. An den Arsch greifen kann hingegen auch sexuell interpretiert werden. Wahlweise sagt man in Spanien auch Tocáme los cojones!, übersetzt: Fass mir an die Eier. Hoden sind kein Arsch. Die ins Deutsche gekommene Ausdrucksart, jemand hätte keine Eier, kommt ursprünglich aus dem Spanischen, weswegen manche Kenner dieses Ausdrucks auch nicht Eier, sondern polyglott und kosmpolitisch cojones sagen. Keine Eier haben sagt ja, es ist eine Tragik, unbehodet zu sein. Und an Körperteilchen zu greifen, deren Abwesenheit schade ist, soll etwas Verächtliches ausdrücken?
Dies hier kann keine Empfehlung sein, mit einem lockeren Arschloch auf den Lippen durch die Welt zu gehen. Das ist zu teuer, wenn es auch nötig wäre. Nur wird das Arschloch auch kaum verwendet, wenn beispielsweise zwei Angestellte unter sich über einen Höhergestellten in verächtlicher Form sprechen. Denn dergleichen schickt sich nicht. Man könnte das auch Sklavenmoral nennen. Wenn man einem Worte als unschicklich aberzieht, fehlen irgendwann treffende Bezeichnungen und der Ausdruck leidet.
Dies soll auch kein Aufruf, kein Bekenntnis zur barschen Unflätigkeit sein. Hinter jeden Satz ein Scheiße zu setzen mag manchmal ein Lebensgefühl der Befreiung sein, ist aber dauerhaft auch nicht befriedigend. Nur zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kultur des Dichtens und Denkens Metaphern hinterlassen hat, die zuweilen und nicht inflationär verschwendet, durchaus stichhaltig und effektvoll sind, das sollte man schon. Und man muss sich nicht entschuldigend ankündigen, gleich auf Deutsch gesagt Scheiße zu sagen. In einer Zeit, da Perspektivlosigkeit und Alternativlosigkeit das Scheißprogramm von Scheißtypen sind, ist das böse Sch-Wort nicht schlecht, sondern einfach nur eine treffende Karikatur der Wirklichkeit.

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