Messer: „Die Schönheit ins Dunkel zu bringen ist meine große Herausforderung"

Messer: „Die Schönheit ins Dunkel zu bringen ist meine große Herausforderung

Foto: Katja Ruge

Sommer in der Stadt, und der soll ja auch in Berlin ganz schön sein. Die Nebengeräusche rund um die Veröffentlichung des dritten Albums der Münsteraner Band Messer werden von Tag zu Tag lauter, die Promomaschine rollt. Und Hendrik Otremba? Hätte eigentlich jede Menge zu tun – Termine jeden Tag, Radiointerviews stehen an, zudem liegt die Arbeit an seinem ersten Roman in den letzten Zügen – dennoch: Der Sänger macht es sich, entspannt und erstaunlich undüster, mit einem Eis auf der Couch bequem, den Blick auf sein Plattenregal gerichtet, bereit, ein paar Fragen zum Stand der Dinge zu beantworten.
Steigen wir doch dort ein, wo wir vor einigen Tagen ins Gespräch gekommen sind: In einem der neuen Stücke singst Du die Zeile „ … chercher les mots … “ – auch oder gerade mit dem neuen Album hat man nicht den Eindruck, als müßtest Du lange nach Worten suchen. Wo findest Du Deine Inspiration?
Was mich zum Schreiben anstößt sind in der Regel Umstände, Beobachtungen, auch Träume, gerade beim neuen Album vermischen sich oftmals viele dieser Dinge auf einmal. Man ist einfach vor Beginn der Arbeit lange Zeit in einer Art Empfangsmodus, ist sensibilisiert und die Worte und Bilder kommen dann zu dir, ohne daß du sie unbedingt suchst. Dann nimmt man es auf und weiß, das ist jetzt etwas, kann es vielleicht noch gar nicht so genau zuordnen und erst später fügen sich diese Dinge fragmentarisch zusammen. Eine Ausnahme war da vielleicht „Schwarzer Qualm“ auf „Jalousie“, da habe ich mich gegen die Gewohnheit wirklich hingesetzt und bewusst etwas geschrieben, das dann vielleicht auch greifbarer als sonst einen politischen Kontext hatte.
Düster und wütend wirken auf den ersten Blick alle drei Platten, und auch wenn die neue deutlich abwechslungsreicher daherkommt – täuscht der Eindruck oder hat sich am Zorn nichts geändert, wird er vielleicht nur feiner gezeichnet?
Die Formulierung gefällt mir eigentlich ganz gut, dass man also auch auf dem dritten Album sehr wohl eine ungebrochene Wut, ein Unbehagen wahrnimmt, die Zeichnung aber weicher geworden ist. Das hat sicher, um im Bild zu bleiben, auch damit zu tun, daß ich gelernt habe, besser zu zeichnen, also mit Energie und Zorn anders umzugehen. Wir haben in den drei Jahren, in denen die Platte entstanden ist, auch viel mehr Gelegenheit gehabt, die Texte zu reflektieren, länger und konzentrierter daran zu arbeiten. Ein Stück der Dunkelheit unserer Songs kommt aber mit Sicherheit auch daher, daß wir alle Gefallen an einer gewissen Ästhethik gefunden haben, insofern ist das auch nach wie vor eine stilistische Entscheidung. Für mein Empfinden steckt aber gerade bei den neueren Stücken auch der Versuch dahinter, innerhalb der Dunkelheit und den Abgründen Schönheit und glückliche Momente auftauchen zu lassen. Das in Sprache zu fassen war für mich eine sehr große Herausforderung.
Zwischen Album 1 und 2 verging nicht weniger als ein Jahr, nun hat es für „Jalousie“ ganze drei gedauert – was war der Grund?
Im Grunde sind die beiden ersten Alben in unserer Wahrnehmung ja fast an einem Stück entstanden, wir haben also während der Tour zu „Im Schwindel“, fast wie im Rausch, schon an den Songs für „Die Unsichtbaren“ geschrieben. Wir haben in dieser Zeit auch mehr und mehr die Band als ein Teil unserer selbst begriffen, haben uns gefragt, wo genau wir hinwollen. Und waren uns einig, daß wir alle den Anspruch hatten, unbedingt etwas Neues auszuprobieren. Dazu kamen diverse Umzüge, unsere tägliche Arbeit natürlich, viele Konzerte, wir sind in China getourt, haben mit Manuel Chittka unseren Studiodrummer offiziell in die Band genommen, Milek kam hinzu, dafür ist Pascal Schaumberg ausgestiegen. Für uns alle war das einfach eine wahnsinnig belebte und sehr intensive Zeit, die man von außen dann gar nicht so richtig mitbekommen hat und die, je nach Perspektive, dem einen dann kurz und dem anderen eher lang anmutete. Weil die Hörer eben erst jetzt das Resultat, die Platte also, mitbekommen.

In einem Artikel der taz wirst Du mit dem Satz zitiert, Post-Punk passe deshalb so gut zu Messer, weil der Genrebegriff anders als sonst zunächst einmal sehr offen ist. In der Regel scheuen Künstler ja das Etikett und die Einordnung – ist das also bei diesem leichter zuzulassen?
Also ich scheue mich grundsätzlich schon auch vor solchen begrifflichen Definitionen, mich und uns einzuordnen, finde aber auch, dass man sich dem nicht komplett verschließen sollte. Das liegt vielleicht daran, daß ich selbst schon immer gern über Musik und Bands geschrieben habe, ich also weiß, daß es manchmal bestimmte Etiketten und Genres braucht, um Dinge einzuordnen. Spannender sind für mich aber immer die Sachen, die sich dem Künstler aus einer anderen Perspektive, mit einem ungewöhnlichen Ansatz nähern. Wenn ich jetzt gerade auf die Plattensammlung vor mir schaue, dann stehen dort sehr viele Sachen, die unter dem Begriff Post-Punk geführt werden, das ist dann schon etwas, das meine Herkunft gut beschreibt. Wehren würde ich mich also nicht dagegen, nur dann eben, wenn mich die Kategorisierung einschränkt und mir bestimmte Freiheiten nicht zugesteht.
Im selben Text kam auch Susan Sontags Manifest Against Interpretation zur Sprache, mit dem Du Dich auseinandergesetzt hast. Nun schreibst Du sehr mit einer sehr bildhaften, metaphorischen Sprache – wie nähert man sich also am besten den Texten von Hendrik Otremba?
Ich wünsche mir schon, daß die Texte vom Rezipienten wie ein Element von vielen eines Musikstückes, also Bass, Gitarre, Schlagzeug, wahrgenommen werden, ich kann aber auch nachvollziehen, wenn die Worte manchmal in den Fokus rücken, da ein Text weitaus weniger abstrakt funktioniert als ein Instrument. Wir haben das Artwork des Albums aber auch extra sehr aufwändig gestaltet, damit man sich den Texten nähern, sie lesen kann, auch wenn man zunächst keinen unmittelbaren Bezug dazu hat. Es sollte aber niemals darum gehen, zu dekodieren oder zu dechiffrieren, was genau ich mit dem einen oder anderen Satz gemeint habe. Ich bewege mich ja selbst manchmal ganz bewusst in einen gewissen Nebel, insofern ist es besser, einfach zuzuhören, zu schauen, was macht das mit mir, berührt mich das, weckt das in mir Assoziationen?
Also lieber Inspiration als Interpretation?
Genau, das trifft es auf den Punkt.
Der Maler Neo Rauch hat einmal in einem Interview mit dem Rolling Stone gesagt, ihm seien Liedtexte ganz und gar unwichtig, Stimme sei für ihn mehr ein Instrument. Bei deutschen Bands wünsche er sich öfters, sie würden englisch singen, weil ihn die Informationen, die transportiert würden, einfach nicht interessierten. Der ideale Zuhörer also oder ein unglaublicher Ignorant?
Also wenn ich den Zusammenhang richtig verstehe, dann ist es eher der Ignorant, denn er verweigert sich ja der Beschäftigung mit dem Inhalt per se, wenn er nicht-deutsche Texte überhört. Das passt ja zu Neo Rauch. Ich kann den Ansatz, etwas Strukturgebendes in einem Song, was ja ein Text sein kann, überhören zu wollen aber schon verstehen, weil ich selbst auch öfters Musik höre, die eher als Geräusch und reiner Klang funktioniert, der man dann nicht folgt und in die man sich hineinfallen lassen kann. Das ist auch ein Anspruch, den ich an meinen Texten habe, daß ich nicht versuche, eine Richtung vorzugeben, sondern die Zuhörer manchmal lieber irritiere. Ich möchte nicht, dass mir jemand blind hinterherläuft um herauszufinden, was ich sagen will, sondern vielmehr, daß sich Zuhörer in meiner Spur verirren und dann selbst einen Weg entdecken.
Zur Musik von „Jalousie“: die Gastsängerinnen Stella Sommer und Katharina Maria Trenk, Jochen Arbeits Unterstützung, Micha Achers Trompeten, Jazzanklänge, der Funk von „Detektive“ und „Der Staub zwischen den Planeten“, wilde Perkussions – was gab den Ausschlag für die Erweiterung des Repertoires? Habt ihr Euch vorher nicht aus der Deckung getraut, ist das personellen Änderungen geschuldet oder eher ein ganz normaler Entwicklungsschritt?
Also da spielen wohl viele Dinge eine Rolle, natürlich die personellen Umbesetzungen – die funkigen Gitarren stammen zum Beispiel von unserem neuen Gitarristen Milek – und auch der zeitliche Faktor, weil man in drei Jahren einfach viel länger mit den Stücken experimentieren kann. Unsere Herangehensweise hat sich natürlich auch durch die räumliche Entfernung geändert, zudem haben wir früher immer klassisch mit Gitarre, Schlagzeug, Bass, Gesang komponiert, jetzt entstehen einzelne Songskizzen, teilweise auf Pogos Orgel, die dann auch mal liegen dürfen, die man später aufbricht, auch schon mal ad absurdum führt. Jeder von uns hört unterschiedliche Musik und den Anspruch als Band haben wir ja auch, dass dieser Unterschiedlichkeit im Ergebnis Rechnung getragen wird.

Wenn das dann so ungewohnt klingt und zugleich so grandios gelingt wie bei „So sollte es sein“ oder „Die Hölle“ – ist da dann auch Erleichterung, vielleicht sogar Stolz dabei, es geschafft zu haben? Oder nimmt man das gar nicht als so maßgeblich wahr, weil man ja ständig damit befasst ist?
Gute Frage. An „So sollte es sein“ haben wir ewig gearbeitet und uns dann an einem Punkt bewusst auf dünnes Eis gewagt: Das Stück haben wir als unfertige Skizze auf der Bühne ausprobiert und geschaut, wie es denn funktionieren könnte – und es danach doch noch oft umgebaut und ergänzt. Und so ist dann ein Song daraus geworden, den ich so eigentlich schon immer haben wollte. Stolz ist da nicht so der passende Ausdruck, es hat uns einfach glücklich gemacht, daß es so gut gelungen ist. „Die Hölle“ und „Schaumbergs Vermächtnis“ sind beide in einer Zeit entstanden, als Pascal schon auf dem Absprung war, wir haben die Grundgerüste zu zweit entwickelt und erst später sind sie dann, wieder in anderer Form, auf die Platte gelangt, letzteres quasi als ein Gruß, eine Hommage an einen engen Freund.
In „Schwarzer Qualm“ geht es offenkundig nicht um das, aber um ein Bild von Deutschland, hier ein schwarzes Loch mit Mauern, düster, ratlos, ohne Hoffnung. Dann also doch die recht plakative Frage: Wie kommst Du mit dem Land im Moment zurecht? Macht es Dir Angst? Gibt es Dinge, die trotzdem Mut machen?
Wir haben zusammen ja seit jeher das Selbstverständnis einer linken Punkband und deshalb natürlich Probleme mit Deutschland, mit deutscher Politik, mit der deutschen Identität, zugleich bin ich hier geboren, lebe hier, treffe meine Freunde. Ich würde den Kreis auch gern weiter ziehen. Es geht in „Schwarzer Qualm“ eben um die schrecklichen Ereignisse, die vor den Grenzen Europas passieren, für die Deutschland mitverantwortlich ist. Und ja, das macht Angst und Unbehagen und da gibt es natürlich den Impuls, sich mit den eigenen Mitteln dagegen aufzulehnen. Wir versuchen Wunden zu zeigen und die Finger reinzulegen, auch weil ich eine Zufriedenheit mit den herrschenden Zuständen nicht nachvollziehen kann. Genauso ist es aber für mich als Künstler auch eine Herausforderung, in dieser Dunkelheit, wie eingangs schon gesagt, Schönheit, Liebe und Glück auftauchen zu lassen. Selbst ein so radikaler Mensch wie William S. Borroughs hat das mit seinem speziellen Humor geschafft und ist in dieser Hinsicht für mich auch heute noch ein ganz großer Ansporn, auch immer wieder Brüche zuzulassen.
Die niederländische Band DŸSE spielt gerade die Premiere von Peter Richters Buchadaption “89/90” am Dresdner Staatsschauspiel, ihr selbst habt auf dem Hamburger Kampnagel einen Liederabend über Boris Vian gegeben, die Tagebücher von Romy Schneider vertont – ist da mehr zu erwarten und was reizt Euch daran?
Ich bin dem Ganzen nicht abgeneigt, weil solche Grenzüberschreitungen auch spannend sind, eben weil es hier nicht diesen festen Rahmen eines Konzerts gibt, eben nicht dieses „Tut das, was ihr immer tut,“ sondern „Tut etwas Einmaliges!“ Dieses Ausprobieren reizt einen als Künstler sowieso und natürlich ergeben sich auch viele Sachen, weil man immer mehr Leute kennenlernt, die solche Ideen haben. Wir werden aber sicher keine reine Theaterband, sondern wollen einfach die Augen offenhalten und das tun, was uns interessiert und für uns Sinn macht.
Ebenso (naja) beliebt wie die Frage nach dem Etikett ist die nach Referenzen – für meine Begriffe sind Mutter eine Band, die für einen Vergleich immer näher ins Bild rückt?
Also Mutter und Max Müller waren für mich immer Motivation, überhaupt Musik zu machen, dabei ging und geht es nicht darum zu versuchen, ihrer Sprache und Musik nachzueifern, sondern eher um ihre radikale Art, sich ihre Freiheit zu bewahren, sich auch heute noch nicht einordnen zu lassen. Manchmal denke ich tatsächlich in einer Art „Mutter-Kriterium“ – ‚Würde Max jetzt den Kopf schütteln?‘ – die Band spielt für mich also immer noch eine ganz große Rolle, weil sie einfach sehr selbstbestimmt sind.
Zum Schluß doch noch eine Interpretationsfrage: Warum die “Jalousie”?
Zum einen wollten wir so ein wenig mit der Titelfolge der bisherigen Alben brechen, da war Jalousie ein schönes Bild, weil das Motiv für das Album fast leitmotivisch ist, das Spiel von Licht und Schatten etwa. Zudem ist das Artwork, das ich mit dem Leipziger Designer Jim Kühnel entwickelt habe sehr katalogisch geraten. Wie ein Ausstellungsstück, das man einfach so wahrnimmt, ohne das Davor und Dahinter – sondern mit der Aufforderung, sich eigene Gedanken zu machen.
Im Frühjahr 2017 erscheint im Verbrecher Verlag der erste Roman von Hendrik Otremba mit dem Titel "Über uns der Schaum", das Album "Jalousie" wurde gerade bei Trocadero veröffentlicht.

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