Junge Welt, 31.07.2012
Rumäniens neoliberaler und autoritärer Staatschef Traian Basescu übersteht das Amtsenthebungsverfahren
Rumäniens Staatschef Traian Basescu bleibt vorerst im Amt. Obwohl nahezu 90 Prozent aller am sonntäglichen Referendum teilnehmenden Rumänen für die Amtsenthebung Basescus stimmten, ist diese Volksabstimmung nicht gültig, da die notwendige Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent verfehlt wurde. Knapp 46 Prozent aller laut den offiziellen Wahllisten auch wahlberechtigten Bürger Rumäniens nahmen an der Abstimmung teil, die von der sozialdemokratisch geführten Regierung um Ministerpräsident Victor Ponta im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens eingeleitet wurde. Die Regierung wirft dem rechtsgerichteten Präsidenten Machtmißbrauch und Verfassungsbruch vor.
Nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses erklärten sich sowohl das konservative Präsidentenlager als auch die sozialdemokratische Regierung zu Siegern. Die Rumänen hätten »gegen den Staatsstreich gestimmt«, behauptete Präsident Basescu, dessen Liberaldemokratische Partei zum Wahlboykott aufgerufen hat, am Sonntag abend. Auch Regierungschef Ponta mühte sich, den Ausgang des Votums zu seinen Gunsten zu interpretieren. Aufgrund der überwältigenden Zustimmung zur Amtsenthebung Basescus beim Referendum habe seine Regierung »eine neue Legitimität« erreicht, so der Regierungschef. Dennoch gilt Ponta nun als stark angeschlagen, da gegen ihn auch Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit seiner Dissertation aufgetaucht sind.
Europäische und insbesondere deutsche Spitzenpolitiker hatten die angestrebte Absetzung des Staatschefs – der rücksichtslos die neoliberalen Politikvorgaben Brüssels umsetzte – vehement kritisiert und im rumänischen Machtkampf zugunsten des Präsidenten interveniert. Mitte Juli wurde Ponta von EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso vorgeladen, um diesem die Rücknahme von Kompetenzbeschneidungen des rumänischen Verfassungsgerichts zu versprechen. Merkel bezeichnete das Amtsenthebungsverfahren im neokolonialen Gestus gar als »inakzeptabel«. Berlin drängte vor allem darauf, daß über den Verbleib Basescus im Amt »von der absoluten Mehrheit der registrierten Wähler« entschieden werde müsse. Die Regierung Ponta wollte dagegen die Klausel über die Mindestwahlbeteiligung aus dem Wahlgesetz streichen lassen, doch mußte sie schließlich dem Druck aus Berlin und Brüssel nachgeben und diese beibehalten. Der rumänische Premier machte seinem Ärger über die Intervention Berlins im rumänischen Machtkampf Mitte Juli öffentlich Luft: Er sei »enttäuscht, daß Frau Merkel nicht mit der Regierung, sondern nur mit dem suspendierten Präsidenten gesprochen« habe.
Dabei kann zumindest die Aufhebung der Mindestwahlbeteiligung durch die Regierung Ponta als ein Versuch gewertet werden, die Verzerrungen des Wählerwillens in Rumänen zu minimieren, die durch veraltete Wahllisten entstehen. Aufgrund der massiven armutsbedingten Auswanderungswellen der vergangenen Jahre entstand in Rumänien eine große Differenz zwischen den offiziell registrierten und den tatsächlich im Land lebenden Wahlberechtigten. Laut einer inoffiziellen Volkszählung von 2011 gibt es nur noch 15,5 Millionen Wahlberechtigte in Rumänien, während in den Listen noch 18,3 Millionen Wähler festgehalten sind. Somit müßte die reale Abstimmungsbeteiligung bei 65 bis 70 Prozent liegen, um das Quorum von 50 Prozent zu erreichen. Zudem hatte auch der rechtspopulistische ungarische Regierungschef Viktor Orbán am 28. Juli die ungarische Minderheit in Rumänien – die rund 1,4 Millionen Einwohner umfaßt – zur Unterstützung Basescus und zum Wahlboykott aufgerufen.
Die Empörung über die Unterminierung der Demokratie in Rumänien hielt sich in Brüssel und Berlin hingegen in Grenzen, als Basescu mittels einer autokratischen Politik und blankem Verfassungsbruch brutale Kürzungsprogramme durchsetzte. Der Präsident habe ein »allmächtiges Präsidialregime« aufgebaut, bei dem er »die Regierungspolitik bis ins Kleinste« dirigiere, wußte etwa die Frankfurter Rundschau noch im Januar 2012 zu berichten. Jede wichtige Gesetzesinitiative ging damals »direkt vom Präsidentenpalast aus, und Basescu macht aus seinem absoluten Führungsanspruch auch öffentlich kein Hehl«. Dabei hat der rumänische Präsident laut Verfassung gar kein Recht auf Gesetzesinitiative – doch solche evidenten Verfassungsbrüche wurden in »Europa« kaum wahrgenommen, solange Basescu die neoliberalen Politikvorgaben aus Berlin und Brüssel exekutierte.