Junge Welt, 01.06.2013
Französischer Präsident rang der Kanzlerin bei den deutsch-französischen Konsultationen nur symbolische Zugeständnisse ab
Es gibt Mißtöne zwischen Berlin und Paris. Je näher das jüngste »Arbeitstreffen« zwischen Bundeskanzlerin und Staatspräsident rückte, desto schriller fielen sie aus. Nachdem François Hollande sich eine Einmischung Brüssels in die eigene Politik nachdrücklich verbeten hatte und der EU-Kommission bescheinigte, sie habe »uns nicht zu diktieren, was wir zu machen haben«, reagierten deutsche Unionspolitiker giftig. Unionsvizefraktionschef Michael Fuchs fand Hollandes Äußerungen »besorgniserregend«. Laut CDU-Parlamentarier Michael Meister sei der Kommission gerade die »Nachsicht« vorzuwerfen, die sie gegenüber Frankreich geübt habe, indem sie dem Land mehr Zeit zur Haushaltssanierung einräumte. Haushaltsexperte Norbert Barthle verstieg sich zur Drohung: »Man sieht sich immer zweimal im Leben. Noch einmal wird Frankreich nicht mit Nachsicht rechnen können.«
Keine guten Voraussetzungen, um den Gesprächsfaden zwischen Hollande und Merkel wieder aufzunehmen. Bei dem Spitzentreffen am Donnerstag abend sollte die Tradition wieder aufgenommen werden, im Vorfeld von EU-Gipfeln in wichtigen Fragen gemeinsame Standpunkte auszuarbeiten, um diese dann leichter durchsetzen zu können. Solche Abstimmungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Euro-Zone fanden zuletzt nicht mehr statt. Nach dem Treffen scheint eine Wiederannäherung zwischen Paris und Berlin eingeleitet.
Beide Politiker einigten sich auf die Einführung eines hauptamtlichen Chefs der Euro-Gruppe sowie auf regelmäßige monatliche Treffen der Staats- und Regierungschefs des Währungsraumes. Damit schien Merkel den Forderungen Hollandes nach der Einführung einer europäischen Wirtschaftsregierung entgegenzukommen. Zudem vereinbarten beide einen vorläufigen Kompromiß zur Bankenunion, bei dem die von Berlin abgelehnte Etablierung europäischer Rettungsmechanismen aktuell nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Statt dessen sollen sich künftig »nationale Autoritäten« an der »Frontlinie« wiederfinden, wenn Banken abermals in Schieflage geraten, erläuterte das Wall Street Journal. Die Vereinbarung lasse die Möglichkeit offen, »künftig« auch europaweite Mechanismen einzuführen. Zudem einigten sich beide Seiten auf ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, dessen Details Anfang Juli ausgearbeitet werden sollen.
Einen Großteil der gemeinsamen Pressekonferenz beider Politiker nahmen die Versuche ein, ihre grundlegenden Differenzen darzulegen. Der Präsident beteuerte erneut, daß sich seine Regierung zu Haushaltssanierung und zu Strukturreformen (FAZ) verpflichtet habe, doch bei der konkreten Ausgestaltung dieser Reformen werde Paris keine Vorschriften dulden. Merkel wiederum unterstrich, daß die EU-Kommission mit ihren Empfehlungen im Rahmen des – maßgeblich von Berlin durchgesetzten – Stabilitätspaktes agiere und sich an ihr Mandat halte.
Das Insistieren Hollandes in dieser Frage scheint angesichts seiner Vorschläge zum Aufbau einer »Europäischen Wirtschaftsregierung« inkonsistent. Allerdings geht es bei Auseinandersetzungen um die Krisenpolitik längst nicht mehr um die Ausarbeitung einer konsistenten Linie, sondern um die Durchsetzung der jeweiligen nationalen Interessen. Berlin hatte es in den vergangenen Jahren geschafft, die Krisenkosten mittels des drakonischen Spardiktats auf die Schuldenländer abzuwälzen und die Dominanz in der Euro-Zone zu zementieren. Frankreich wiederum versuchte, die BRD an den Kosten zu beteiligen, indem Deutschland zur Mitfinanzierung der Bankenunion oder zur Teilnahme an Euro-Bonds gedrängt wird. Die »Wirtschaftsregierung« sollte solche Bonds ausgeben dürfen und Befugnisse zu »Harmonisierung der Sozial- und Steuerpolitik« erhalten. Damit sollte das Lohn- und Sozialdumping Deutschlands ausgehebelt werden. Dort sieht man es genau umgekehrt: Die Befugnisse Europas sollen sich auf die verbindliche Umsetzung des (deutschen) Spardiktats beschränken.
Klar ist, daß Hollande beim letzten Arbeitstreffen Merkel nur marginale Zugeständnisse abringen konnte. Bestätigt wurden zugleich die grundsätzlichen, von Deutschland formulierten Leitlinien der europäischen Krisenpolitik (»Strukturreformen« zur Erringung von »Wettbewerbsfähigkeit«). Indes mehren sich die Zeichen für ein vollständiges Umschwenken Hollandes auf neoliberalen Kurs: Ausgerechnet auf der Feier zum Gründungsjubiläum der SPD lobte er die »mutigen Entscheidungen«, die Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 gefällt habe. Noch in diesem Jahr will er beispielsweise eine »Rentenreform« einleiten, die mit einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit einhergehen soll.