8.2.2012 – Heute empfängt Angela Merkel in Berlin den Präsidenten von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew. Bei dem Treffen soll ein Abkommen unterschrieben werden, dass es deutschen Firmen ermöglichst, sogenannte Seltene Erden in dem zentralasiatischen Land zu suchen und zu fördern.
Merkel folgt damit vor allem den Wünschen des Industrieverbandes BDI, der sich zunehmend um die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft sorgt. Dass es sich bei Nasarbajew um einen Diktator ohne demokratische Legitimation handelt, stört weder die Kanzlerin noch die Industrie.
Präsidialrepublik Kasachstan
Kasachstan liegt zwischen dem Kaspischen Meer und dem Altai-Gebirge und ist das neuntgrößte Land der Erde. 1990 erklärte der Staat seine Souveränität innerhalb der UdSSR und 1991 seine Unabhängigkeit. Die kasachische Verfassung von 1995 machte das Land zu einer Präsidialrepublik.
Obwohl das Gesetz vorschreibt, dass die Amtszeit des Staatsoberhauptes auf zweimal fünf Jahre begrenzt ist, führt Nursultan Nasarbajew Kasachstan bereits seit 1991. Sein Regierungsstil ist autoritär. Die Rechte der Opposition sind stark eingeschränkt. Die Medien stehen unter strenger Überwachung und das Internet in Kasachstan ist zensiert.
Bei den Wahlen im August 2007 erhielt die Regierungspartei „Nur Otan“ 88 Prozent der Stimmen. Da keine der Oppositionsparteien die Sieben-Prozent-Hürde überwinden konnte, erhielt „Nur Otan“ alle 98 Sitze im Parlament. Die OSZE kritisierte die Wahlen in Bezug auf die Stimmenauszählung als nicht den internationalen Standards entsprechend. Die Opposition sprach von massiven Manipulationen.
Bei den letzten Wahlen, am 15. Januar 2012, erreichte die Regierungspartei „Nur Otan“ wiederum über 80 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig konnten zwei weitere Parteien die Sieben-Prozent-Hürde überspringen. Hierbei handelt es sich um die wirtschaftsliberale Partei „Ak Schol“ und um die „Kommunistische Volkspartei“. Beide gelten als regierungsnah.
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) hat die Wahl in Kasachstan für den Europarat beobachtet. Gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern kommt er zu dem Schluss, dass die Wahlen weder als demokratisch noch als plural bezeichnet werden können. Bereits im Vorfeld wurden kritische Parteien und Kandidaten gar nicht erst zugelassen.
Im Jahr 2010 erklärte das Parlament Nasarbajew zum „Führer der Nation“ auf Lebenszeit. Anfang 2011 wurde entschieden, dass die nächsten beiden Präsidentenwahlen in den Jahren 2012 und 2017 ausfallen. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass es ohnehin keine Alternative zu dem derzeitigen Präsidenten gäbe. Wahlen seien daher „Geldverschwendung“.
Die Wünsche des BDI
Kasachstan ist nicht nur reich an Öl- und Gasvorkommen und an Gold, Silber, Uran, Kupfer, Blei, Zink, Bauxit oder Phosphor. Es verfügt auch über große Vorräte an sogenannten Seltenen Erden. Diese werden unter anderem zur Produktion von Smartphones, Windrädern, Hybridmotoren und anderen Hochtechnologieprodukten benötigt.
Um die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft zu sichern, haben zwölf Konzerne, darunter BASF, ThyssenKrupp und Evonik, Ende Januar diesen Jahres die „Allianz zur Rohstoffsicherung“ gegründet. Innerhalb von fünf bis zehn Jahren wollen die beteiligten Unternehmen bis zu einer Milliarde Euro investieren, um den deutschen Zugriff auf weltweite Vorräte an Seltenen Erden, Wolfram und Kokskohle zu sichern.
Der Gründung der Allianz gingen seit 2010 intensive Vorarbeiten durch den BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) voran. Angela Merkel hatte sich in diesem Zusammenhang bereits im Juli 2010 mit dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew getroffen und dabei Geschäfte und Abkommen mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro vereinbart
Im vergangenen Jahr besuchte die Kanzlerin Kasachstan bereits zweimal. Das heutige Treffen dient vor allem dem Abschluss eines zwischenstaatlichen Abkommens. Dieses soll deutschen Firmen die Suche und die Förderung der begehrten Rohstoffe in Kasachstan ermöglichen. Im Gegenzug sollen deutsche Unternehmen bei der Industrialisierung des zentralasiatischen Landes helfen.
Merkels Bereitschaft, entsprechende Abkommen und Verträge mit dem kasachischen Präsidenten abzuschließen, stößt nicht nur bei der Opposition sondern auch bei den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch auf scharfe Kritik.
Menschenrechte gegen Rohstoffe
Die Menschenrechtsorganisationen werfen der kasachischen Regierung nicht nur die Unterdrückung Oppositioneller und eklatante Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien vor. Im Zentrum der Kritik steht zusätzlich ein Vorfall aus dem vergangenen Dezember, der sich in der Ölstadt Schanaosen ereignete.
Dort hatten Polizei und Militär auf Ölarbeiter schießen lassen, die für höhere Löhne demonstrierten. Dabei waren nach offiziellen Angaben 17 Menschen erschossen worden. Die Gewerkschaften in Kasachstan sprechen dagegen von bis zu 70 Getöteten. Darüber hinaus wurde über Hunderte Verletzte und Folter gegenüber den Teilnehmern an den friedlichen Protesten berichtet.
Im vergangenen Jahr war in Kasachstan außerdem die Gewerkschaftsführerin Natalja Sokolowa verhaftet und am 8. August 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Als ehemalige Personalchefin des Ölunternehmens KazMunaiGaz war Sokolowa für eine angemessene Bezahlung von Ölarbeitern eingetreten, die unter extremen klimatischen und gefährlichen Bedingungen arbeiten müssen.
Als ihre Forderung von der Unternehmensleitung blockiert wurde, wechselte sie als Justitiarin auf die Seite der Gewerkschaft und organisierte im Mai 2011 zunächst einen Hungerstreik und schließlich einen Vollstreik. Verhaftet und verurteilt wurde Sokolowa für das „Schüren sozialer Konflikte“. Inhaftiert ist sie in der kasachischen Stadt Atyrau, wo Andrej Hunko sie Mitte Januar, als bislang einziger internationaler Beobachter, besuchen konnte.
Hunko kritisiert die Bundesregierung vor allem dafür, dass sie Kasachstan aufgrund seiner angeblichen Stabilität als vorbildliches Land der Region betrachtet. Zwar sähe man in Berlin die Probleme bei der Menschenrechtslage. Stabilität habe allerdings die oberste Priorität. Andrej Hunko hierzu in einem Interview vom 27. Januar diesen Jahres:
„Ich sage ganz klar, dass bei dem momentanen Kurs der kasachischen Regierung keine „Stabilität“ zu erwarten ist. Ohne demokratische und soziale Rechte für die Bevölkerung kann man nicht von wirklicher Stabilität sprechen.“
Der Zentralasien-Experte von Human Rights Watch, Hugh Williamson, beurteilt die Bereitschaft der Bundesregierung, den kasachischen Präsidenten Nasarbajew zu empfangen und mit ihm Verträge und Abkommen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu schließen, ebenfalls kritisch:
„Ein Land, das grundlegende Menschenrechte verletzt, bietet kein gutes Umfeld für Investitionen.“
Nach Auffassung der Grünen-Abgeordneten Viola von Cramon, die ebenfalls als Wahlbeobachterin in Kasachstan im Einsatz war, stellt die Bundesregierung „wirtschaftspolitische Interessen über Menschenrechte und demokratische Mindeststandards“. Cramon sagte hierzu:
„Ohne jegliche Schamfrist belohnt die Bundesregierung Präsident Nasarbajew nun mit einem Staatsempfang in Berlin und der Unterzeichnung einer Rohstoffpartnerschaft.“
Marktkonforme Demokratie
Angela Merkel nutzt ihre zweite Amtszeit als Kanzlerin immer wieder, um Verträge, Abkommen und Geschäfte mit Staaten abzuschließen, in denen Menschrechte mit Füßen getreten und demokratische Mindeststandards ignoriert werden. War ihre erste Amtsperiode vor allem von der personellen und inhaltlichen Umgestaltung der CDU geprägt, so haben sich ihre Aktivitäten in den vergangenen zwei Jahren immer stärker auf das Ausland konzentriert.
Im vergangenen Jahr waren dabei vor allem Merkels Bemühungen um Waffengeschäfte mit Angola, Saudi-Arabien oder Indien in die Kritik geraten. Für 2012 hat sich die Kanzlerin nun offenbar vorgenommen, der deutschen Wirtschaft einen verbesserten Zugang zu Rohstoffen zu ermöglichen. Durch den Empfang des kasachischen Präsidenten in Berlin erhebt sie Nasarbajew in den Stand der geschätzten internationalen Partner.
Dass dieser, selbst nach Verfassungsrecht in Kasachstan, bereits seit zehn Jahren gar nicht mehr Präsident des Landes sein dürfte, dass er die Opposition unterdrückt, die Medien kontrolliert und das Internet zensiert, scheint die Kanzlerin dabei nicht zu stören. Ein autoritärer Diktator, der sich vor kurzem die Präsidentschaft auf Lebenszeit gesichert hat, scheint der Bundesregierung vor allem ein Garant für Stabilität zu sein. Alle anderen Anforderungen an eine internationale Partnerschaft geraten angesichts dessen in den Hintergrund und spielen keine Rolle.
Die Freilassung der inhaftierten Gewerkschaftsführerin Natalja Sokolowa, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der das Massaker von Schanaosen im Dezember 2011 unabhängig aufklärt und ein Bekenntnis zu demokratischen Mindeststandards sollten die Grundvoraussetzung dafür bilden, dass die deutsche Regierung einen Staatschef empfängt und Verträge mit ihm abschließt.
Hiervon ist die Kanzlerin allerdings weit entfernt. Lieber befriedigt sie die Bedürfnisse ihrer mächtigen Freunde aus der deutschen Industrie und nimmt es hierzu mit Menschenrechtsverletzungen nicht allzu genau. Ein weiterer Schritt in Richtung der „marktkonformen Demokratie“ nach merkelschem Vorbild.