"Mental Diary" im Kunstverein Hannover - nur noch bis 23. August 2015

"Mental Diary" ist eine weitere Austellung, mit der die neue Direktorin Kathleen Rahn die Nahtstelle zwischen realer und virtueller Welt zeigen möchte und wie KünstlerInnen damit umgehen. So, wie unser aller Alltagsleben durch die Einwirkung immer schneller entwickelter digitaler Gerätschaften und Programme radikalen Veränderungen unterworfen ist, so wird auch das künstlerische Schaffen massiv von den virtuellen "Wirklichkeiten" geprägt. Was bedeutet es heute, ein ständiges "Tagebuch" zu führen, den Alltag, das Alltägliche künstlerisch zu reflektieren? Von sechs Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen und mit den verschiedensten Positionen im Zusammenspiel von Ich und Welt werden im Kunstverein noch bis zum 23. August Arbeiten gezeigt, die es wert sind, schnell noch betrachtet zu werden. Die besondere Raumstruktur des Kunstvereins ermöglicht einen Ausstellungsrundgang, "der als assoziativer, poetischer Gang mit facettenreichen Ansichten über das Leben anhand sechs aufeinander folgender Einzelpositionen lesbar wird" (Pressetext).

"Zeigt her eure Füße", der Spruch fiel mir ein, als ich die Ausstellung zuerst besuchte: Über Jahre hinweg hat Christiane Möbus (geb. 1947 in Celle) auf Reisen und zu Hause ihre Füße und deren unmittelbare Umgebung fotografiert (Serie "gestiefelte Katze"). "Vorsicht, nicht stolpern", könnte ihre neueste Arbeit, eine Installation extra für den Kunstverein, überschrieben werden, die sie "Ansichtssache" nennt: Auf dem Boden liegen schollenartig geschnittene Holzparkettelemente, die in griechischer wie in deutscher Sprache die Worte "Ägäis" bilden und damit auf einfache Weise einen Sehnsuchtsort markieren und einen Bezug zur aktuellen politischen Realität herstellen.

Die Fotografin Ketuta Alexi-Meskhishvilis (geb. 1979 in Tiflis, Georgien) hat ihre analogen Fotografien mit Motiven aus ihrem Atelier, ihrem Alltagsleben, von Reisen einem vielschichtigen Arbeitsprozess unterworfen: Collagen, Kratzspuren auf den Negativen, Überblendungen, digitale Bearbeitung u.a. lassen abstrakte poetische Bilder von einer besonderen atmosphärischen Qualität entstehen. Extra für den Kunstverein hat sie Vorhänge mit Fotomotiven installiert. 

Als präziser Beobachter des Zeitgeschehens zeigt sich der Rumäne Dan Perjovschi (geb. 1961 in Sibiu) in den temporären Wandzeichnungen, die pointiert, anarchisch, oft humorvoll, immer aber politisch sind - bewundernswert, wie er mit wenigen Linien eine kaum zu erschließende Fülle ausbreitet. Seine schwarzen Notizbücher - deren Inhalte hier an die Wände projiziert werden - hat er im Zusammenhang mit Ausstellungen und Projekten geführt.

Um die selbstverständliche Verknüpfung von Kunst und Leben geht es auch Dietmar Lutz (geb. 1968 in Ellwangen) in seinen Malereien. Mit dem unverstellten Blick eines Flaneurs sammelt er Eindrücke aus seinem sozialen Umfeld. Mit schnellen, gekonnten und präzisen Pinselstrichen malt er auf dem Boden auf Papierbahnen, großen Leinwänden u.a. In einer Gruppe von Bildern gibt er Impressionen aus der Privatsphäre wieder - doch geht es ihm, wie er sagt, nicht um die individuellen Momente, sondern um Universelles.

Die oder der älteste der KünstlerInnen, von denen hier Werke gezeigt werden: Jonas Mekas (geb. 1922 in Biržai, Litauen), wurde einbezogen, weil er als Erfinder des Filmtagebuchs gilt. Ihm geht es um die Schönheit eines alltäglichen Moments. Über 30 Jahre hat er Alltagsszenen gesammelt - in dem hier gezeigten Film As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty (2000) werden sprunghafte, fragmentierte Erinnerungen des über Neunzigjährigen wiedergegeben, die er mit der Handkamera und in einer von ihm entwickelten rhythmisierendenTechnik aufgenommen hat. Sehenswert!

Von Sol LeWitt (geb. 1928 in Hartford, USA) wird das Künstlerbuch Autobiography (1980) präsentiert. Durch die sequenzielle Abfolge der Fotografien wird die betrachtende Person zu einer konzeptuellen Mitgestalterin gemacht. Der Künstler selber spricht von "mentalen Landschaften".

 Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bilder (Pressebilder, nicht frei verfügbar), von oben: Christiane Möbus »Kunstverein Hannover«, 1998/2004, Color Print Kodak endura, 130 × 87,5 cm ©VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Dan Perjovshi, »Mental Diary«, Installationsansicht, »Mental Diary«, Installationsansicht: Dan Perjovshi , Kunstverein Hannover, 2015, Foto: Raimund Zakowski.


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