Menschliches unter dem schwarzen Jilbab

Menschliches unter dem schwarzen Jilbab Ich will weg. Ich muss weg. Ich kann nicht weg. Nur weg hier! Vier Aussagen von drei Muslimas und einem jungen Österreicher, die am Anfang der neuen Theaterproduktion des Jungen Salon stehen. Am Ende des Stückes werden sie sich alle treffen. Auf einem Bahnhof in Berlin. Aber bis es soweit ist, bekommt das meist junge Publikum eine ganze Menge Einblick in die Lebensumstände dieser jungen Menschen.

Ein Stück, bei dem es zur Sache geht

Dabei geht es tatsächlich  ganz schön zur Sache. Zumindest verbal. Und das, obwohl viele der Darstellerinnen und Darsteller einen Jilbab tragen. Ein langes, schwarzes Gewand mit einem schwarzen Kopftuch, bei dem das Gesicht frei bleibt. In einer puzzleartigen Assemblage, die von dem Ensemble erarbeitet und von der jungen, rumänischen Autorin Anna Neata in eine dramatische Form gegossen wurde, zeigt die Regisseurin und Leiterin des Jungen Salon, Isabella Wolf, den vielfältigen Zugang zu Sexualität von Muslimas aber auch Muslimen, die in Österreich leben. Die gezeigte Vielfalt deckt sich punktgenau mit einer jüngst vorgestellten Studie des Institutes für Islamische Studien in Wien. Darin wird überdeutlich, dass es „die Muslime“ eigentlich gar nicht gibt, sondern unter dieser Bevölkerungsgruppe eine große Diversität herrscht.

Ein buntes Kaleidoskop

Basierend auf den Theatermonologen "Schwarze Jungfrauen" von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel erarbeiteten sich die Jugendlichen - Einheimische und Flüchtlinge - das Stück, in dem ganz unterschiedliche, weibliche Rollenbilder im Islam aufgezeigt werden. Eingerahmt in eine Liebesgeschichte eines jungen, Paares, das, noch bevor es richtig zusammenfindet, schon auseinandergerissen wird, entwickelt sich ein buntes Kaleidoskop unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten. Da gibt es eine kleine Gruppe religiöser, junger Frauen, deren Lebenseinstellung von Tratsch und Klatsch und einem unantastbaren religiösen Wertekanon bestimmt ist. Ganz anders hingegen jene junge Muslima (dargestellt von einem Mann), die sich, völlig unerfahren, von einer Zufallsbekanntschaft schwängern lässt. Beeindruckend und unter die Haut gehend dabei jene Szene, in welcher die junge Frau, getrieben von der Angst der Schande und damit zusammenhängend auch der Ausgrenzung, beschließt, ihre Heimatstadt zu verlassen. [caption id="attachment_24814" align="alignleft" width="427"]Menschliches unter dem schwarzen Jilbab Saubere Mädchen, dreckige Schlampen (c) Junger Salon[/caption] Die Geschichte einer jungen Verkäuferin wiederum, die sich Hals über Kopf in einen Studenten, einen Nicht-Moslem, verliebt hat, kommt so oder ein wenig anders auch bei Tausenden Nicht-Muslimas vor. Kurz vor der Hochzeit bekommt der Bräutigam Fracksausen und setzt sich ins Ausland ab. Markus Schramm agiert in der Rolle dieser jungen Frau souverän humorig, sodass sich durch seine Interpretation ein nachvollziehbarer Zugang zu einer Lebensrealität finden lässt, für welche Nicht-Gläubige sonst schwer Verständnis aufbringen könnten. Nicht zu vergessen jene junge Rebellin, die sich auf nach Berlin macht, um dort als Kellnerin mit gutem Einkommen den europäischen Lebensstil in vollen Zügen zu genießen. Gerade sie wird es zum Schluss sein, die aus freien Stücken zu ihrer Religion zurückfindet und damit ein neues, wenngleich auch wieder selbstbestimmtes Leben beginnen möchte.

Die einen fügen sich, die anderen rebellieren

Es sind nicht nur die Einblicke in sehr persönliche Lebensgeschichten, sondern auch in die damit zusammenhängenden, gänzlich unterschiedlichen Wertvorstellungen, die dabei vermittelt werden. Gelingt es den einen, sich mit den religiösen und sozialen Tradierungen zu arrangieren oder sich ihnen auch zu unterwerfen, rebellieren  andere dagegen. Das Bühnenbild (Lydia Hofmann) besteht aus einer Treppenkonstruktion, welche mit einem großen, schwarzen Stoff verhangen ist, der bei einzelnen Szenen einmal zum Teil hochgezogen wird, oder als überdimensionaler Jilbab erscheint, gibt der Aufführung etwas unglaublich Schweres, zugleich aber auch Geerdetes. Trotz einer niedrigen Subvention lässt sich Isabella Wolf nicht entmutigen, mit Jugendlichen Theater für junges Publikum zu machen. „Bezahlen kann ich damit das Bühnenbild, die Regieassistentin und meinen Kollegen, Markus Schramm. Ich und alle anderen – wir bekommen nichts für unser Engagement“. Erstaunlich, wenn man weiß, dass der Junge Salon 2010 gegründet wurde und kontinuierliche Theaterarbeit leistet, die noch dazu jede Menge gesellschaftspolitische Relevanz hat und für alle offen ist, die gerne mitmachen möchten. [caption id="attachment_24812" align="aligncenter" width="466"]Menschliches unter dem schwarzen Jilbab Saubere Mädchen, dreckige Schlampen (c) Junger Salon[/caption] "Saubere Mädchen, dreckige Schlampen" ist weit davon entfernt, ein Betroffenheitstheater zu sein und wirft auch Fragen auf, die für die muslimische Gemeinde unangenehm sind. Wie jene heimliche Zustimmung zu 9/11 oder den jüngsten Terroranschlägen in Europa, die hinter vorgehaltener Hand von einigen Moslems aber auch Muslimas gutgeheißen werden. Das Stück gibt keine Antworten auf viele darin gestellte, höchst brisante Fragen. Dabei verurteilt und wertet es nicht, sondern zeigt einen Ist-Zustand auf. Einen Status quo unserer Gesellschaft, die sich permanent verändert und in der jeder und jede immer wieder aufs Neue gefordert ist, seinen Wertekompass nachzustellen und eventuell auch neu zu bestimmen. Auf der Bühne agierten: Hasti Azimi, Taghi Azimi, Said Behtak,Vanessa Dorlijski, Ines Khannoussi, Iris Nussbaum, Maria Oertel, Clemens Pöchhacker, Roxana Rahnama, Faiz Rasuli, Katharina Schöch, Markus Schramm

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